Sex auf Rezept?

Bedürfnisse von Behinderten ernst nehmen

Eine Frau liebkost einen körperlich und geistig behinderten Mann.
Sexualbegleitung - ein Thema, das zurzeit kontrovers diskutiert wird. © David Ebener/dpa
Von Volker Finthammer |
Politisch kann die Schlagzeile "Grüne fordern Sex auf Rezept" natürlich eine K.O.-Schlagzeile sein, weil die dahinterstehende Frage und ausführliche Argumentation selten ganz wahrgenommen wird. Aber mit dem Thema beschäftigen sollten wir uns schon.
Allein die Reaktionen aus den Reihen der Grünen zeigen, welche parteipolitische Sprengkraft das Thema in Wahljahr haben kann. "Kann man denn als Bundestagsabgeordnete gut gemeinte Ideen nicht einfach mal im Koffer lassen, wenn sie so offensichtlich dazu dienen können, uns als weltfremde Spinner abzustempeln?", schrieb Tübingens Bürgermeister Boris Palmer auf seiner Onlineseite. Und Parteichef Czem Özdemir sprach von einer bunten Partei, wo nicht immer alle am gleichen Strang ziehen würden.
Politisch kann die Schlagzeile: "Grüne fordern Sex auf Rezept" natürlich eine K.O.-Schlagzeile sein, weil die dahinterstehende Frage und ausführliche Argumentation selten ganz wahrgenommen wird.
Politisch klug war das sicherlich nicht, zumal es auch keinen Beschluss der Grünen zu diesem Thema gibt. Gegenüber unserem Programm erklärt die Grüne Pflegeexpertin Elisabeth Scharfenberg, sie habe dazu auf Nachfrage ihre persönliche Meinung geäußert. Es sei ihr wichtig, dass das Thema nicht länger verdrängt wird.
In dem Interview hatte sie lediglich gesagt, eine Finanzierung für Sexualassistenz sei für sie vorstellbar und weiter, die Kommunen könnten über entsprechende Angebote vor Ort beraten. Dieser Konjunktiv ist weit von einer konkreten Forderung entfernt. Aber in einem Wahljahr zählen politische Schlagzeilen oft mehr als konkrete Aussagen. Das werden wir 2017 gewiss noch öfter erleben.

Auch Behinderte haben Bedürfnisse

Auch für mich war das Thema neu. Wer an Pflegeheime oder Wohngruppen für Behinderte denkt, dem fällt das Bedürfnis nach Sex wohl nicht gleich ein. Nach diesem Tag und meinen Recherchen habe ich einen anderen Eindruck gewonnen.
Gewiss steht das Thema Sex für Behinderte und Pflegebedürftige nicht an erster Stelle, aber es ist da und nicht wegzudenken wie alle anderen Grundbedürfnisse auch. In den Pflegeheimen ist das Thema bis hin zu übergriffigen Handlungen der Pflegebedürftigen bekannt. Und es gibt bereits zahlreiche Ratgeber dazu.
Sexualität und Demenz lautet etwa eine aktuelle Broschüre, unterstützt vom Bundesfamilienministerium und der Deutschen Alzheimergesellschaft, die Angehörige und Pflegekräfte aufklären und unterstützen soll. Etwa durch mehr private und intime Räume in Pflege- und Wohnheimen und einem respektvollen Umgang mit diesen Fragen.
Auch die Vermittlung sexueller Dienstleistungen ist ein Thema. Die Kosten dafür müssen jedoch privat übernommen werden. Erfahrungen mit Sexualbegleitungen, so heißt es weiter in der Broschüre, würden aber auch zeigen, dass regelmäßige Treffen den Betroffenen gut tun und zu einer spürbaren Entlastung der Pflegesituation beitragen.
Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Thema Sexualität in Pflegeheimen gewichtiger ist, als wir es in der öffentlichen Debatte wahrnehmen, oder wahrhaben wollen.
Ob und unter welchen Bedingungen das auf Rezept geschehen kann ist gewiss eine Frage, die wir jetzt nicht beantworten müssen. Aber mit dem Thema beschäftigen sollten wir uns schon.
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