Sex für das Immunsystem

Wie wehrt sich der menschliche Organismus gegen Viren, Bakterien und Parasiten? Durch immer neue Kombinationen von weiblichen und männlichen Genen. Ohne Sex, schreibt die Biologin Andrea Kruse, hätte die Menschheit den Wettlauf mit den Erregern längst verloren.
Gäbe es keine Krankheitserreger und kein Immunsystem, das sie bekämpft, hätte sich die zweigeschlechtliche Fortpflanzung möglicherweise nie entwickelt. Also, ohne Immunsystem kein Sex. Auch wenn wir einen Partner wählen – egal ob für eine Nacht oder fürs Leben – dann redet das Immunsystem dabei ein Wörtchen mit.

In ihrem wissenschaftlichen Sachbuch stellt die Biologin Andrea Kruse einfache Fragen nach dem Zusammenhang von Erregerabwehr und Fortpflanzung, die sie dann kompetent und mit viel Sinn für biologische Details beantwortet. Sie beginnt mit einer sorgfältig aufgebauten Einführung in die moderne Immunbiologie und verknüpft dabei aktuelle Forschungsergebnisse mit bekanntem Lehrbuchwissen. Nach den ersten 70 Seiten (nahezu die Hälfte des Buches) beginnt dann das eigentliche, sehr spannende Hauptthema.

Genetisch gesehen sind kleine Krankheitserreger dem Organismus großer Vielzeller überlegen. Durch schnelle Vermehrung und genetische Anpassung mit Mutation und Selektion können sich Viren, Bakterien und Parasiten auf die Abwehrmaßnahmen des Organismus einstellen und darauf reagieren. Große Organismen wie der Mensch wehren sich dagegen mit einer Art Immungedächtnis und einem genetischen Würfelspiel, das die Möglichkeiten der Immunabwehr immer wieder neu kombiniert.

Die Sexualität bietet dem menschlichen Organismus und den meisten Tieren die Möglichkeit, Erbinformationen für das Immunsystem innerhalb einer Generation neu zu mischen und zusammenzustellen. Die Kombination von weiblichen und männlichen Genen führt immer wieder zu neuen Strategien im Wettlauf mit den Erregern. Aber egal, wie viele Tricks ein Erreger auf Lager hat, es gibt immer wieder Menschen, die eine Immunität entwickeln. Ohne Sex hätte die Menschheit, wie viele andere Arten, den Wettlauf mit den Erregern längst verloren.

Da verwundert es nicht, dass das Immunsystem auch bei der Partnerwahl eine Rolle spielt: So bevorzugt es etwa Partner mit straffer Haut, symmetrischem Körperaufbau und gesundem Haar. Außerdem braucht die Immunabwehr biologische Vielfalt, um auf möglichst viele Eventualitäten vorbereitet zu sein. Die Volksweisheit "Gleich und gleich gesellt sich gern" macht zwar im Alltagsleben Sinn, weil sie das Zusammenleben vereinfacht, ist aber biologisch betrachtet kontraproduktiv.

Unbewusst sucht das Immunsystem innerhalb gewisser Grenzen nach einem Partner, der immunologisch anders ist als man selbst. Es arbeitet wie ein "heimlicher Dirigent" im Hintergrund. Eine wichtige Rolle spielen dabei möglicherweise bestimmte Geruchsfaktoren, die bei verschiedenen Tierarten schon gut erforscht sind – beim Mensch hingegen weniger. Hier gehen Forscher von einer Fülle von Einflussfaktoren aus.

Das Buch von Andrea Kruse steckt voller interessanter Informationen und erklärt dabei immer wieder biologische Details der Zell- und Molekularbiologie. Begriffe wie "Heterozygotie", "Allele", "kodominanter Erbgang" oder "Genkonversion" werden zwar erklärt, häufen sich aber in einer Dichte, die es Biologieeinsteigern schwer machen dürfte. Wer sich aber durcharbeitet, der wird belohnt: mit neusten Forschungsergebnissen zu einem spannenden Thema. Früher oder später wird man so selbst zum Experten, wie bei einem Lehrbuch.

Besprochen von Michael Lange

Andrea Kruse: Der heimliche Dirigent
Wie das Immunsystem Partnerwahl und Schwangerschaft beeinflusst
Springer Spektrum, Heidelberg 2013
202 Seiten, 24,95 Euro