Sex, Gewalt und Perversionen aller Art
Die Bücher des holländischen Autors Arnon Grünberg wurden in 20 Sprachen übersetzt. "Der jüdische Messias" aber ist erst jetzt auf Deutsch erschienen, weil der Roman seinem Verlag wohl nicht ganz geheuer war. Er lässt kein Tabu aus - und mündet in eine in Israel angesiedelte Hitler-Persiflage.
Neun Jahre hat der Verlag gezögert, diesen Roman des niederländischen Erfolgsautors Arnon Grünberg ins Deutsche übersetzen zu lassen. Offenbar waren die Skrupel groß, das deutsche Publikum mit der wüsten Satire allein zu lassen. Schließlich lässt Grünberg kein Tabu aus, das sich literarisch brechen lässt. Sex, Gewalt und Perversionen aller Art, offener Anti-, gepaart mit pervertierten Philosemitismus, am Ende mündet das Ganze auch noch in eine in Israel angesiedelte Hitler-Persiflage - darf man das?
Vorab: Man darf das, und der Verlag hätte das Buch ruhig früher publizieren können. Schließlich fängt Satire, gerade, wenn sie so offensichtlich ist, den Tabubruch immer bis zu einem gewissen Grad auf. Beim in der Tat gefährlichen Spiel mit dem Motivarsenal des Antisemitismus stellt sich der Effekt erst recht ein, wenn der Autor Jude ist.
Der junge Berner Xavier ist der Enkel eines ranghohen Nazis und verliebt sich in Awrommele, den Sohn eines (falschen) Rabbiners. Xavier entdeckt den Trieb in sich, die Juden trösten zu müssen, während Awrommele nicht nein sagen kann, wenn Männer Sex mit ihm haben wollen. Um die Juden trösten zu können, muss Xavier Opfer und Jude werden. Das gelingt in einer grob fahrlässig durchgeführten Beschneidung, in deren Folge er einen Hoden verliert, den er in Spiritus einlegt und "König David" nennt.
Vorab: Man darf das, und der Verlag hätte das Buch ruhig früher publizieren können. Schließlich fängt Satire, gerade, wenn sie so offensichtlich ist, den Tabubruch immer bis zu einem gewissen Grad auf. Beim in der Tat gefährlichen Spiel mit dem Motivarsenal des Antisemitismus stellt sich der Effekt erst recht ein, wenn der Autor Jude ist.
Der junge Berner Xavier ist der Enkel eines ranghohen Nazis und verliebt sich in Awrommele, den Sohn eines (falschen) Rabbiners. Xavier entdeckt den Trieb in sich, die Juden trösten zu müssen, während Awrommele nicht nein sagen kann, wenn Männer Sex mit ihm haben wollen. Um die Juden trösten zu können, muss Xavier Opfer und Jude werden. Das gelingt in einer grob fahrlässig durchgeführten Beschneidung, in deren Folge er einen Hoden verliert, den er in Spiritus einlegt und "König David" nennt.
Er verliert einen Hoden, legt ihn in Spiritus ein - und nennt ihn "König David"
Gemeinsam übersetzen Xavier und Awrommele Hitlers "Mein Kampf" ins Jiddische. Sie gehen nach Amsterdam, wo Xavier erfolglos versucht, als Maler zu reüssieren, dann nach Israel, wo Xavier es zum Likud-Ministerpräsidenten bringt, der alle Welt mit Atombomben beliefert und immer mehr Züge aus der Biografie Adolf Hitlers auf sich vereint – vom verlorenen Hoden über die Ablehnung an der Kunsthochschule bis zum Rückzug in den Bunker. Awrommele muss derweil sein erotisches Können auch bei Verhandlungen mit dem alternden Hamas-Chef einsetzen. Schließlich hat Xavier festgestellt, alles Schlechte entspringe dem weiblichen Geschlecht, alles Gute hingegen dem After.
Im Buch wird das sehr viel expliziter formuliert. Überhaupt gehört das Explizite, Detaillierte bei allen möglichen Perversionen, Grausamkeiten, physischen und psychischen Überwältigungen zum auffälligen Stilmittel. Das ist nichts für empfindsame Gemüter. Getragen wird das Ganze von Grünbergs literarischem Können. Er beobachtet genau und kann sehr witzig sein. Er hat Gespür für verdichtete Szenen, überraschende Coups und lakonische Kommentare. Die ihm eigene literarische Ironie, die seine Bücher auszeichnet, haucht auch noch den tragisch-düsteren Figuren und Szenen Leben ein.
Die Crux der Satire liegt allerdings in der Gefahr einer gewissen Blutleere aufgrund der intellektuellen Distanz des Autors zum Sujet. Blutleer, im Wortsinn wie auch metaphorisch, ist dieser Roman nun gerade nicht, in der Wiederholung verliert der Tabubruch allerdings trotz aller motivischen Steigerung an Reiz, sodass sich die Frage stellt, ob 630 Seiten nicht doch zu viel des Guten sind - selbst wenn einer schreiben kann wie Arnon Grünberg.
Besprochen von Hans von Trotha
Arnon Grünberg: Der jüdische Messias
Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten
Diogenes Verlag, Zürich 2013
640 Seiten, 24,90 Euro
Im Buch wird das sehr viel expliziter formuliert. Überhaupt gehört das Explizite, Detaillierte bei allen möglichen Perversionen, Grausamkeiten, physischen und psychischen Überwältigungen zum auffälligen Stilmittel. Das ist nichts für empfindsame Gemüter. Getragen wird das Ganze von Grünbergs literarischem Können. Er beobachtet genau und kann sehr witzig sein. Er hat Gespür für verdichtete Szenen, überraschende Coups und lakonische Kommentare. Die ihm eigene literarische Ironie, die seine Bücher auszeichnet, haucht auch noch den tragisch-düsteren Figuren und Szenen Leben ein.
Die Crux der Satire liegt allerdings in der Gefahr einer gewissen Blutleere aufgrund der intellektuellen Distanz des Autors zum Sujet. Blutleer, im Wortsinn wie auch metaphorisch, ist dieser Roman nun gerade nicht, in der Wiederholung verliert der Tabubruch allerdings trotz aller motivischen Steigerung an Reiz, sodass sich die Frage stellt, ob 630 Seiten nicht doch zu viel des Guten sind - selbst wenn einer schreiben kann wie Arnon Grünberg.
Besprochen von Hans von Trotha
Arnon Grünberg: Der jüdische Messias
Aus dem Niederländischen von Rainer Kersten
Diogenes Verlag, Zürich 2013
640 Seiten, 24,90 Euro