Sex und Gewalt auf Japanisch

Von Ulrich Fischer |
Der japanische Autor Haruki Murakami ist auch hierzulande eine bekannte Größe, nicht zuletzt wegen seiner erotischen Darstellungen. In Edinburgh wurde sein Erfolgsroman "The Wind-Up Bird Chronicle" – auf Deutsch: "Das Aufzieh-Vogel-Tagebuch" - nun für die Bühne adaptiert.
Seit Jonathan Mills das Edinburgh International Festival leitet, sitzt das Schauspiel am Katzentisch. Kein Wunder, Mills, Australier, ist von Haus aus Komponist. In seinem Programm dominieren Oper, Tanz und Konzert. Aber auch ein blinder Hahn findet einmal ein Korn. Das Festival am Firth of Forth präsentierte am Samstag eine Uraufführung: die Bühnenbearbeitung von Haruki Murakamis Erfolgsroman "The Wind-Up Bird Chronicle" – auf Deutsch: "Das Aufzieh-Vogel-Tagebuch". Ein sonderbarer Titel, aber für Sonderlichkeiten ist Haruki Murakami ja bestens bekannt, der japanische Autor hat auch bei uns auf dem Kontinent viele Freunde.

Das Aufziehvogel-Tagebuch ist das Protokoll einer Liebesgeschichte. Ein junger Japaner, um die 30, lebt in einer erfüllten Beziehung mit seiner Frau in Tokio, als sie ihn eines Tages aus heiterem Himmel verlässt – zunächst ohne Nachricht. Der junge Mann beginnt eine langwährende Suche nach seiner Frau; das Tagebuch verzeichnet Abenteuer – Abenteuer phantastischer, aber auch ganz realistischer Art. Der junge Mann lernt durch Wände zu gehen, sich selbst von seinem Körper zu lösen – dann wieder folgen wirklichkeitsnahe Schilderungen über Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Höhepunkte bilden Schilderungen Entsetzen erregender Grausamkeiten wie die Häutung eines Mannes bei lebendigem Leibe auf der einen, und saftige, gepfefferte Sexszenen auf der anderen Seite. Die Zuspitzung und Stilisierung erinnert mitunter an Mangas, japanische Comic Strips. Und wenn Murakami auch mit intertextuellen Anspielungen glänzt, die von Mozarts "Zauberflöte" über Edgar Ellen Poe bis Franz Kafka reichen, so wirkt das nicht eklektisch, der Autor gewinnt vielmehr ein unverwechselbares Profil.

Der Roman hat viele Schichten – eine gewichtige ist die Auseinandersetzung zwischen rückwärtsgewandten und fortschrittlichen Japanern. Die Reaktionäre bilden eine starke, unheimliche Kraft.

Stephen Earnhart und Greg Pierce haben den Roman für die Bühne bearbeitet – Earnhart hat auch Regie geführt. Er hat den Stoff gut durchdrungen und legt größten Wert darauf, die verschiedensten Bewusstseinszustände zu schildern und voneinander abzuscheiden. Er verwendet Schattenrisse, projiziert Dias, Videos, Filme und benutzt ein raffiniertes System von transparenten Schiebewänden, hinter denen die Kontur der Schauspieler verschwimmt – so werden Träume sichtbar, Ängste, Ungewissheiten, Orientierungslosigkeit. Auch Puppen werden eingesetzt. Einmal beschreibt Murakami, wie sich das Bewusstsein des Helden vom Körper löst. Auf der Bühne liegt der Darsteller auf einem Bett, auf ihm eine lebensgroße Gliederpuppe aus Holz; drei Puppenspieler heben sie langsam empor und tragen sie weg, während der Akteur liegen bleibt – so wird die Dissoziation sinnfällig. Dagegen wirkt das Spiel der Darsteller im klaren Scheinwerferlicht als Realität, der das Bewusstsein gegenübergestellt wird. Das Bewusstsein spiegelt nicht das Sein, die Beziehung ist wesentlich komplexer und undurchschaubarer, folgt man Murakami. - So virtuos Earnhart und sein Ensemble diese Theatermittel benutzen, so wenig originell ist die Grundidee. Robert Lepage hat sie schon weitgehend umgesetzt, der kanadische Theatermann war mit seinen "Seven Streams of River Ota" auf dem gleichen Weg.

Bei all den Formüberlegungen verliert Earnhart nie das Inhaltliche aus den Augen. Ganz in Übereinstimmung mit dem Roman stellt er ein Dreieck in den Mittelpunkt: den jungen Mann, seine verschwundene Frau und deren Bruder, einen Karrieristen, der für das alte Japan steht. Die Frau will ihren Bruder beseitigen, sie fühlt, dass er eine zerstörerische, rückwärtsgewandte, menschenfeindliche Position vertritt. Ihr Mann dagegen repräsentiert das moderne Japan. Nicht die Karriere oder Macht ist ihm wichtig, sondern Empathie, Mitmenschlichkeit, Liebe. Am Ende besteht Aussicht, im Theaterstück wie im Roman, dass das Paar wieder zueinander finden und die finsteren Kräfte der Vergangenheit überwinden könnte (die "Zauberflöte" zitiert Komponistin Bora Yoon in ihrer Bühnenmusik ausgiebig.).

Am Ende wirkt die knapp zweistündige Uraufführung noch unfertig, die Erzählung fahrig. Wer den Roman nicht gelesen hat, wird einige Bilder kaum entschlüsseln können. Dennoch ist die Uraufführung ein Wurf – Earnhart sollte weiter an ihr arbeiten.

Aber eines bleibt klar: Der Roman ist besser.
Mehr zum Thema