Sexistische Weihnachtslieder

Klassiker der Grenzüberschreitung

An kleinen Holzstäben die drei Worte "Ho Ho Ho".
Weihnachtliche Stimmung ade: In dem 1944 geschriebenen Song "Baby It's Cold Outside" akzeptiert ein Mann das Nein einer Frau nicht. © Unsplash / Mel Poole
Von Ina Plodroch · 11.12.2018
Am Ende des Jahres laufen im Radio Weihnachtslieder in Endlosschleife. Einige von ihnen triefen nur so vor Sexismus. Das missfällt offensichtlich einigen Hörern in den USA, so dass einige Lieder dort nicht mehr gespielt werden. Und hierzulande?
Weihnachten ist das Fest der Liebe. Auch wenn der Weihnachtsklassiker "Santa Baby" von Kylie Minogue eher wie der Soundtrack eines Pornos klingt. Das Bild der Frau in diesem Song: sexistisch und veraltet. Sie ist stets bereit für den Koitus, konsumorientiert und extrem lieblich.
Zur Weihnachtszeit keine Ausnahme. Der amerikanische Soulsänger Rufus Thomas bedient sich in "I’ll be your Santa" der schlagerhaften Metaphorik, in der Kamin niemals für die Feuerstelle steht, sondern für die Vagina:
"ll slide down your chimney
And bring you lots of joy
What I've got for you Mama
It ain't just a toy."
Lady Gaga hat ihm wohl zugehört. Sie zieht sich nämlich schon mal aus. Denn die Frau an Weihnachten, Sie wissen schon … "We will take off our clothes / Yes, if you want us to we will", heißt es in ihrem Song "Christmas Tree".

Auch nach 70 Jahren nicht lustig

Was in diesen Weihnachtsklassikern noch etwas antiquiert daher kommt, gipfelt aber im Song "Baby It's Cold Outside":
"I really can't stay
Baby it's cold outside
I gotta go away
Baby it's cold outside."
Frank Loesser hat den Song 1944 geschrieben. Lustig sollte er damals sein. Aber ist er das mehr als 70 Jahre später wirklich immer noch?
In der deutschen Version "Baby, Es regnet doch", gesungen von Reneé Franke und Heinz Erhardt, klingt das Ganze dann so:
"Ich muss jetzt nach Haus'
Baby es stürmt und blitzt
Egal, ich muss raus
Wie süß deine Bluse sitzt."
Noch mal. Was sagt sie da? "Ich muss jetzt nach Haus." Genau: Sie muss nach Haus’. Nein, sagt sie also. Ihm ist das aber egal: "Die Straßenbahn wird schon lang' nicht mehr geh'n."
Eigentlich ist "Baby It's Cold Outside" gar kein Weihnachtssongs. Aber weil es so schön um Sex und Winter geht, passt es für viele Radiosender seit 70 Jahren in die Weihnachtsplayliste. Bis 2018.

Sender reagieren auf Kritik

"Der Text bietet viel Interpretationsfreiraum und wir müssen anerkennen, dass es zwei Möglichkeiten gibt, ihn auszulegen", sagt Chuck Thompson, Pressesprecher des kanadischen Radiosenders CBC Music. "In Anbetracht der Zeiten, in denen wir leben, haben wir uns entschieden, den Song von unserer Playlist zu nehmen", gibt Chuck Thompson bekannt.
Im Dezember folgten weitere amerikanische Radiostationen. Der Grund: Hörerbeschwerden. Denn der Mann ignoriert das Nein der Frau. Deshalb spielen nun einzelne Sender den Song nicht mehr. Und im deutschen Radio? "Nein, nein wir spielen den nicht", sagt Martin Pohlers. Er ist Musikchef von BR1, eine der "das Beste aus den 70ern, 80ern und 90ern"-Wellen. "’Baby It's Cold Outside’ ist in Deutschland ein Song, den die breite Masse nicht so kennt."
Als Sender, der nur spielt, was die Hörer auch wirklich mögen und kennen, spielt BR1 den Song deshalb nicht.
"Was wir zum Beispiel gerade explizit beim Beispiel Weihnachtssongs nicht mehr machen, dass wir zum Beispiel den Weihnachtsklassiker von Gary Glitter noch spielen. Bei jemanden, der wie Gary Glitter wegen Kindesmisshandlung verurteilt ist, stellt sich die Frage nicht. Das hat im Radio nichts verloren."
Für BR1 scheint also klar: Verurteilter oder verdächtigter Künstler, lieber nicht. Aber der "Baby It's Cold Outside"-Fall ist komplizierter. Der Song ist zu einer Zeit entstanden, als es fast schon fortschrittlich war, dass die Frau bei dem Mann bleibt in einer kalten Nacht. Sie sorge sich ja nur um das Gerede der Nachbarn. Das ist die andere Lesart des Songs. Kritiker des Verbots meinen: Ganz so sexistisch ist der Song gar nicht.
Noch ein Klassiker: Die Pogues aus London mit "Fairytale of New York" aus dem Jahr 1987. Die Folkpunkband wünscht darin einer sogenannten "Schwuchtel" fröhliche Weihnachten. Zwei Radiowellen der BBC hatten 2007 für einen Tag "Faggot", also "Schwuchtel", aus dem Text gestrichen. Die Hörer protestierten: Zensur! Und dann kam "Faggot" zurück ins Programm. Auch WDR2 spielt den Song. Unzensiert.

Alternativen zum Altbekannten

"Die Frage ist, wenn man mit der Lupe dran geht, dann muss man wirklich viele Songs generell aus dem Programm nehmen", sagt Stephan Laack, Musikchef von WDR2.
"Dann wäre vielleicht die Frage, ob man die Pogues grundsätzlich noch spielen kann, weil da teilweise vielleicht doch eine etwas derbe Ausdrucksweise da ist. Das haben wir jetzt bislang nicht gemacht."
Pop übertreibt, Rock ist derbe und von Rap sollte an dieser Stelle besser gar nicht erst die Rede sein, klar. Außerdem habe sich der Sänger der Pogues, Shane MacGowan, in Interviews häufig gegen den Vorwurf gewehrt, es handele sich um einen homophoben Text, sagt Stephan Laack. Er findet, das Verwenden bestimmter, oft ironisch gemeinter Floskeln, war zum Ende der 80er Jahre anders konnotiert als dies vielleicht heute der Fall ist.
Das Problem an Weihnachten ist allerdings, dass jedes Jahr so tief in den Archiven gekramt wird und auch aktuelle Künstler immer wieder die alten Kamellen covern. Wenn das so weitergeht, träumen auch in 50 Jahren Frauen noch von ihrer großen Liebe, ohne die sie nicht komplett sind und der Mann vom Sex unter’m Weihnachtsbaum mit der allzeit bereiten Frau. Der Bart ist länger als der vom Weihnachtsmann. Möglicherweise ist der Song "I ought to say no, no, no" von Lydia Liza und Josiah Lemanski die Lösung:
Ich sollte "nein" sagen, sagt sie. Ja, du verdienst das Recht, "nein" zu sagen, sagt er und lässt sie fahren. Lydia Liza und Josiah Lemanski haben "Baby It's Cold Outside" einfach umgeschrieben. Der Mann lässt die Frau fahren und akzeptiert ihr Nein.
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