Sexualassistenz für Pflegebedürftige

    "Weil es gesund macht"

    Eine Frau liebkost einen körperlich und geistig behinderten Mann.
    Sexualassistenz - ein Thema, das zurzeit kontrovers diskutiert wird. © David Ebener/dpa
    Gabriele Paulsen im Gespräch mit Maurice Wojach |
    Die Grünen haben eine Diskussion darüber entfacht, ob der Staat Pflegebedürftige unterstützen sollte, die sexuelle Dienste in Anspruch nehmen. Gabriele Paulsen betreibt eine Agentur, die solche Dienste vermittelt − und freut sich, dass ein Tabu zu bröckeln beginnt.
    Geht es nach der pflegepolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg, ist Sex nicht in jedem Fall Privatsache. Mit ihren Äußerungen in der "Welt am Sonntag" hat sie eine Diskussion über die sexuellen Bedürfnisse von pflegebedürftigen und behinderten Menschen ausgelöst. "Eine Finanzierung für Sexualassistenz ist für mich vorstellbar", sagte sie der Zeitung. "Die Kommune könnte über entsprechende Angebote vor Ort beraten und Zuschüsse gewähren."
    Selbst aus der eigenen Partei erntet Scharfenberg für ihren Vorstoß Kritik. Auf seiner Facebookseite schrieb der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer: "Kann man denn als Bundestagsabgeordnete gut gemeinte Ideen nicht einfach mal im Koffer lassen, wenn sie so offensichtlich dazu dienen können, uns als weltfremde Spinner abzustempeln?"

    "Sexualität ist keine Krankheit"

    Gabriele Paulsen sieht das ganz anders. Die Hamburgerin betreibt eine Agentur, die immobilen Menschen − meist Senioren − erotische Dienstleistungen vermittelt. Sie freut sich darüber, dass ein Tabtuthema zu bröckeln beginnt.
    Deutschlandradio Kultur: Frau Paulsen, sollen behinderte und pflegebedürftige Menschen sexuelle Dienste auf Rezept erhalten und dabei staatlich gefördert werden?
    Gabriele Paulsen: Sexualität ist keine Krankheit, deshalb bin ich nicht dafür, sie zu pathologisieren. Ich fände es nicht gut, sich dafür ein Rezept beim Hausarzt holen zu müssen. Trotzdem finde ich es super, dass das Thema auf den Tisch kommt. Ich wäre eher dafür, dass stationäre Einrichtungen und ambulante Dienste ein Budget erhalten. Ein Mensch, der sich nach Sexualassistenz sehnt, sollte eine direkte Anlaufstelle haben und das nicht immer wieder rechtfertigen müssen.
    Deutschlandradio Kultur: In den Niederlanden gibt es eine staatliche Unterstützung für Pflegebedürftige, die sexuelle Dienste in Anspruch nehmen wollen − allerdings per Attest.
    Gabriele Paulsen: Ja, leider. Warum muss so etwas über einen Arzt laufen. Pflegebedürftige Menschen, die sexuelle Bedürfnisse haben und keine finanziellen Mittel, sind nicht krank. Es ist eine größere Hürde, über Sexuelles mit einem Arzt zu sprechen. Besser wäre es, mit den für die Pflege Zuständigen zu sprechen, mit denen ein pflegebedürftiger Mensch täglich in Kontakt steht.

    Kritik an kirchlichen Trägern

    Deutschlandradio Kultur: Sind Sie sich sicher, dass kirchliche Träger solch ein Budget für sexuelle Dienstleistungen überhaupt wollen?
    Gabriele Paulsen: Leider öffnen kirchliche Träger ihre Türen dafür nicht. Das finde ich grenzwertig. Schließlich soll für mich als Bewohner mein Pflegeheim doch mein Zuhause sein. Und da darf ich doch eigentlich machen, was ich will. Die Einrichtung hat zwar eine Fürsorgepflicht, sie sollte aber nicht per se entscheiden dürfen, was richtig oder falsch für mich ist.
    Deutschlandradio Kultur: Mal ganz grundsätzlich − warum ist Sex keine Privatsache, sondern eine, die der Staat unterstützen soll?
    Gabriele Paulsen: Weil Sex gesund macht. Es gibt eine körperliche Verarmung in unserer Gesellschaft − eine Kontaktarmut im körperlichen Sinne. Nicht umsonst werden Bezüge hergestellt zum Anstieg seelischer Erkrankungen in Deutschland. Im Internet sind wir alle vernetzt, zwischenmenschlich nehmen die Beziehungen und Berührungen ab − gerade bei älteren Menschen.
    Gabriele Paulsen betreibt eine Agentur in Hamburg, die erotische Dienste für Pflegebedürftige vermittelt.
    Gabriele Paulsen betreibt eine Agentur in Hamburg, die erotische Dienste für Pflegebedürftige vermittelt.© Daniel George
    Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, dass Sex gesund ist. Das Gesundheitsministerium hat aber schon erklärt, sich mit der Forderung der Grünen nicht befassen zu wollen.
    Gabriele Paulsen: Für viele − und wohl auch für das Gesundheitsministerium − beschreibt Sex den Austausch von Körperflüssigkeiten. Das wiederum schließt ein hohes Infektionsrisiko ein. Der penetrative Sex spielt für unsere Agentur aber zum Beispiel gar keine Rolle. Es geht um Intimität und Nähe − und davon holt sich keiner was weg.
    Deutschlandradio Kultur: Sollten Menschen, die starke Probleme haben, sich anderen sexuell zu öffnen, aber eben nicht behindert oder pflegebedürftig sind, auch staatlich unterstützt werden?
    Gabriele Paulsen: Das Problem ist, dass sich solche Menschen nicht melden werden. Viele sind froh, dass es uns gibt, da sie sich dadurch eben nicht staatlichen Stellen gegenüber erklären müssen.

    "Zärtlichkeit und Kuscheln sind ganz normale Wünsche"

    Deutschlandradio Kultur: Was passiert in den Begegnungen mit den Sexualassistenten?
    Gabriele Paulsen: Es kommt zu erotischen Berührungen. Wir schließen die Geschlechtsteile beim Streicheln nicht aus. Die Sexualassistenten, die für unsere Agentur arbeiten, bieten aber keinen Geschlechts- und Oralverkehr.
    Deutschlandradio Kultur: Gibt es auch männliche Sexualassistenten?
    Gabriele Paulsen: Bei uns arbeiten vier Männer und zehn Frauen.
    Deutschlandradio Kultur: Und um was für Menschen kümmern die sich?
    Gabriele Paulsen: Frauen melden sich wesentlich seltener als Männer. Wenn doch, dann sind sie häufig demenzkrank. Generell ist es so, dass sich die Einrichtungen bei uns melden, weil sich Bewohnerinnen und Bewohner herausfordernd verhalten.
    Deutschlandradio Kultur: Was bedeutet das?
    Gabriele Paulsen: Dass sie ihre Wünsche sehr offen und laut äußern. Leider machen Pflegekräfte da schnell ein Problem draus. Die Pflege muss lernen, damit umzugehen. Mein Ziel wäre es, dass die Mitte der Gesellschaft akzeptiert, dass Zärtlichkeit und Kuscheln ganz normale Wünsche sind − und zwar unabhängig vom Alter und dem Gesundheitszustand.
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