Sexualität

"Selbstachtung ist das beste Aphrodisiakum"

Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
David Schnarch ist ein führender Sexualtherapeut in den USA. © Deutschlandradio / Bettina Straub
David Schnarch im Gespräch mit Katrin Heise |
Abnehmende erotische Lust sei in langen Beziehungen völlig normal, sagt David Schnarch. Wenn sich Paare dann aber nicht trennen, sondern Neues wagen, können sie den besten Sex ihres Lebens haben, so der US-amerikanische Therapeut und Autor.
Katrin Heise: Tausend Leute und mehr kommen zu seinen Vorträgen. Er veranstaltet gut besuchte Seminare. Das hat er gerade wieder in Berlin bewiesen an diesem Wochenende. Sein Thema: sexuelle Leidenschaft in dauerhaften Beziehungen. Vor der Sendung sprach ich mit dem US-amerikanischen Sexualtherapeuten David Schnarch, der übrigens alle langjährigen Beziehungen, ob jetzt mit oder ohne Trauschein, gleichgeschlechtlich oder gemischt, sie alle marriage nennt und eben nicht nur die Ehe meint. Die Zeitschrift "Stern" hat vor einigen Jahren die Spielarten länger andauernder Beziehungen mal als "Sonntags nach dem Tatort Sex" oder "wir sollten mal wieder Sex", "Trostsex", "die Kinder sind bei Oma Sex", "aber dann spätestens im Urlaub Sex" beschrieben. Bei so viel Tristesse wollte ich von Mr. Schnarch wissen, ob langjährige Liebe und Sex einfach nicht zusammen passen.
David Schnarch: Leider ist das die Art, wie die meisten über das Thema denken. Viele gehen auch in die Scheidung hinein, weil sie diese Erwartung hegen, und sie wissen nicht, dass Ehe sehr viel schwieriger ist, als in diesem Vorurteil zu vermuten ist. Sexualität und Intimität sind eben etwas, was sich allmählich entwickelt, und in meinen Büchern versuche ich, dafür Erklärungen zu geben, weshalb in gesunden, ganz normalen Beziehungen Sexualität und Intimität schwächer werden. Das ist einfach ein Tatbestand. Viele Paare sehen die Schwierigkeiten bei der Sexualität dann als Anzeichen für ein Verschwinden der Liebe, oder für andere Probleme, und deswegen warten die meisten Paare auch fünf bis sieben Jahre, ehe sie dann Hilfe bei uns suchen, weil eben dieses Stigma auf dem Verblassen des Sex haftet. Aber die Tatsache, dass mehr als tausend Menschen in die Hörsäle kommen und dann sehr vergnügt zuhören, was wir über Sex und Intimität sagen, das zeigt, dass solche lang dauernden Beziehungen keineswegs Liebestöter sind oder Sextöter, sondern dass Ehe, lang dauernde Beziehungen eine Art Wachstumsmaschine für diese Beziehung ist. Etwas was einen verändert und was einen dann auch instand setzt, den anderen wahrhaft zu lieben.
Heise: Aber trotzdem: Eine stabile Partnerschaft beruht auf Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Sorge füreinander. Leidenschaft und Erotik speist sich natürlich aus anderen Quellen?
Schnarch: Nein, dem ist nicht so. Es ist wirklich das Verlangen nach dem Vertrauten, was letztlich auch zu sexueller Langeweile führt, etwas was immer wiederkehrt, was verlässlich ist, und diese Langeweile am immer gleichen führt dann dazu, dass man auf Abwege geht, dass man versucht, etwas gegen diese Langeweile zu tun. Letztlich aber speist sich das Verlangen nach Verlässlichkeit und dieses Verlangen nach dem anderen aus dem gleichen Trend, und das ist dann auch der Ansatzpunkt, um etwas Neues zu erfahren in diesen Schwierigkeiten.
Heise: Aber guter Sex ist ja durchaus an den eigenen, an den ganz eigenen Bedürfnissen orientiert, und das hat man sich in einer langen Beziehung ja vielleicht eher abgewöhnt, immer nur auf sich zu gucken.
"Viele Frauen verlieren ihr eigenes Selbst in der Ehe"
Schnarch: Das stimmt üblicherweise für einen der beiden Partner. Der eine der Partner passt sich an und passt sich an, vergisst die eigenen Bedürfnisse. Ganz häufig ist es die Frau und viele Frauen verlieren ihr eigenes Selbst dann in der Ehe, und genau das ist der Punkt, wo sie dann sagen, nein, ich kann da nicht mehr mitspielen, und dieser Prozess des Wandels, der dadurch eingeleitet wird, führt auch dann zu einer Änderung, und der Endzustand könnte dann sein, dass man Selbstachtung wiedergewinnt, und diese wiedergewonnene Selbstachtung ist das beste Aphrodisiakum, das man sich denken kann.
Heise: Vielleicht dann aber auch für den nächsten Partner. Vielleicht, wenn so viel Langeweile eingekehrt ist, sollte man sich eher trennen?
Schnarch: Das ist in der Tat das, was viele tun. Wir dagegen setzen darauf, dass statt sich zu trennen die Paare zusammen bleiben und dann zusätzlich noch guten Sex haben. Das wollen auch die Meisten. Wie erreichen wir das nun? Dieser Wahnsinn, dass Sex in langjährigen Beziehungen langweilig wird, hat eine bestimmte Methode. Wir schlagen vor, dass man dieses wirklich regulär auftretende Phänomen anders angeht. Ich habe erst kürzlich in der Urania wieder mit tausend Leuten gesprochen und gesagt, guter Sex besteht im wesentlichen aus Überbleibseln, aus dem, was bisher nicht verwirklicht worden ist. Wenn man wissenschaftlich nachweisen kann, dass fast notgedrungen auch in den besten Beziehungen Sexualität langweilig wird, dann kann man das als Anlass nehmen, um zu reifen, um erwachsen zu werden, indem man hinaustritt aus dem, was man immer schon gemacht hat, und ins Unbekannte hineinschreitet und dadurch sexuell reift und ein wirklich Erwachsener wird. Und dann wird man erkennen, sobald man sagt, fünf Jahre, nachdem wir uns getroffen haben, wird Sexualität fast notgedrungen langweilig, also müssen wir etwas Neues tun, versuchen wir es doch. Und solange der Partner dann nicht sagt, nein, das ist aber abstoßend, das kann ich nicht machen, besteht auch eine Chance, dass man sich weiterentwickelt, indem man das tut, was man bisher nicht getan hat, und sehr viele Paare können dann den besten Sex ihres Lebens in dem fortgeschrittenen Alter erreichen.
Heise: Der US-amerikanische Sexualtherapeut David Schnarch zum Thema Sex in langjährigen Beziehungen macht also Mut. – Dieses Thema, Herr Schnarch, scheint aber momentan doch ziemlich Konjunktur zu haben, oder liegt das an den gesellschaftlichen Veränderungen, oder war es eigentlich immer schon so und wir reden jetzt nur darüber?
Fehlende Wertschätzung führt zur Trennung
Schnarch: Es ist wichtig, dass man darüber spricht. Es gibt ja viele Paare, die häufig Sex haben und nicht darüber sprechen, und andere, die keinen Sex haben und auch nicht darüber sprechen. Ich kenne viele Paare, die zölibatär leben, ganz bewusst. Ein Problem wird es, wenn die Paare das deswegen so eingeführt haben, weil einer nicht mehr will, wenn es den Partner, der weniger Verlangen hat, dazu führt, dass er den anderen Partner dazu verleitet, auf Sex ganz zu verzichten. Es gibt Paare, die die Monogamie vereinbart haben und die dann einander bedrohen, wenn du fremd gehst, werde ich dich finanziell ausbluten lassen. Da sind gravierende Probleme dahinter. Es ist nicht so sehr das Fehlen von Sex, sondern es ist das Fehlen von Wertschätzung. Auch wenn Paare fünfmal pro Woche Sex haben und dennoch einander diese Wertschätzung nicht entgegenbringen, ist es ein Problem. Deshalb muss man darüber sprechen.
Es kommt darauf an, dass man, unabhängig ob man nun miteinander ins Bett geht oder nicht, diesen emotionalen Austausch führen kann. Ein Austausch, der in der Regel verknüpft ist mit diesem körperlichen Zusammenkommen. Wenn diese Wertschätzung und dieser Gefühlsaustausch zwischen den Partnern fehlt, dann kommt es häufig auch zum Auseinanderbrechen von Paaren, selbst wenn sie 50 Jahre zusammen sind.
Heise: Sie, Mr. Schnarch, und Ihre Frau sind seit 29 Jahren verheiratet. Obwohl Sie ja eigentlich wissen sollten, was zu tun ist, um Ihr Leben dynamisch zu halten, hatten Sie auch schwere Ehekrisen oder eine schwere Ehekrise, von der Sie auch in Ihren Büchern oder in einem Ihrer Bücher berichten. Wie ist es so weit gekommen bei Ihnen, der es ja eigentlich besser weiß?
Schnarch: Die Dinge, über die wir hier sprechen, sind kein Kinderspiel. Nein, ich bin mit meiner Frau auch durch diese Feuerprobe gegangen, die allen anderen Paaren auch bevorsteht, und nicht das sich darüber erheben, sondern der bessere Umgang damit verleiht letztlich auch Widerstandsfähigkeit und die Beständigkeit, das ganze durchzustehen.
Heise: Letztlich ist es eine Paartherapie, die notwendig ist?
Schnarch: Ich glaube, was wirklich Not tut, ist, dass man glaubt, die Beziehung wirke auf einen ein, statt dass man sich bemüht, auf die Beziehung einzuwirken. Die Ehe ist nicht erfunden worden, um Arbeit für Therapeuten am College zu schaffen. Nein, Ehe ist so angelegt, dass sie selbst die große Lehreinrichtung wird. Ich glaube, die Eheleute sollten sich bestreben, ihre Ehe genauer ins Auge zu fassen, sie zu studieren, statt immer auf etwas anderes zu schauen, wenn Schwierigkeiten auftauchen, dass man dann sagt, hier ist ein Fehler im System. Nein, die Ehe funktioniert wirklich gut, wenn man sie als das nimmt, was sie ist, eben kein sich selbst tragender Mechanismus, und wenn man diesen anderen Weg einschlägt, dann wird sie sich auch als haltbar und gut erweisen.
Heise: Erfahrungen und Ratschläge in Sachen Sex in langjährigen Beziehungen – der US-amerikanische Sexualtherapeut David Schnarch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema