Sexualstrafrecht

Warum "Nein heißt Nein" sinnvoll ist

Eine Frau hält sich die Hände vor das Gesicht.
Das Sexualstrafrecht wird nicht einfacher, aber konsequenter - sagt die Journalistin Simone Schmollack. © imago / Pixsell
Von Simone Schmollack · 04.07.2016
Das neue Prinzip im Sexualstrafrecht "Nein heißt Nein" wird die Strafverfolgung nicht einfacher machen, meint die Journalistin Simone Schmollack: Genauso oft wie vorher wird Aussage gegen Aussage stehen. Doch die Änderung sei trotzdem sinnvoll.
Stellen Sie sich folgende Szene vor: Eine Frau und ein Mann trinken das eine oder andere Glas zusammen, sie küssen sich und landen wenig später in einem Bett. Doch plötzlich steigt die Frau aus dem Liebesspiel aus und sagt: "Ich will nicht mehr." Vielleicht weist sie den Mann auch nur mit einer Geste zurück. Er ist irritiert. Was ist los? Mache ich etwas falsch? Bis eben hat ihr doch noch alles gefallen.
Es ist kompliziert: Will sie tatsächlich nicht mehr? Oder will sie die Erotik des Moments nur ein wenig befeuern? Wollte sie von Anfang an nicht mehr als nur einen kleinen Flirt? Und wie soll er erkennen, was sie meint?
Das novellierte Sexualstrafrecht wird da eine klare Regel vorgeben: Nein heißt Nein. Ob verbal geäußert, mit Gesten oder durch Weinen verdeutlicht. Wer sich darüber hinwegsetzt, soll künftig bestraft werden. Dafür haben Frauen- und Menschenrechtsorganisationen jahrzehntelang gekämpft.

Fast nichts ist so privat wie die Erotik

Doch es bleibt kompliziert. Schon warnen Eros-Wächter davor, das Gesetz sei lebensfremd. Rituale des Kennenlernens und Flirtens würden ihre Unschuld verlieren. Denn Uneindeutiges gehöre schlichtweg dazu. Am besten trüge man einen Fragebogen bei sich und ließe im Zweifelsfall ankreuzen: Ich will. Ich will nicht. Ich weiß nicht.
So kann man das sehen. Und es stimmt ja auch: Das Sexualstrafrecht reicht tief in den intimen Nahbereich hinein. Fast nichts ist so privat wie der erotische Umgang miteinander. Ob und wie sich zwei Menschen nähern und wie sie sexuell miteinander umgehen, läuft in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab.
Gerade deshalb braucht es dafür klare Spielregeln: Was beiden gefällt, ist erlaubt. Was eine Person nicht will, darf nicht passieren. Diese schlichten Vorgaben werden allzu oft missachtet. Unbewusst oder mit voller Absicht. Besonders in Liebesbeziehungen und beim Sex lässt sich Macht leicht ausnutzen, die schwächere Person ist dabei immer im Nachteil.

Mythen über die angebliche Freude halten sich

Auch, weil sich Mythen über die angebliche weibliche Freude an vielerlei sexuellen Spielarten hartnäckig halten: Sie wollte es doch auch, sonst hätte sie ja nicht mitgemacht. Sie hat nur stillgehalten, weil sie nicht "so heiß war" wie er. Wieso war das eine Vergewaltigung? Sie kennt ihn doch, und Vergewaltigungen gibt es nur zwischen Unbekannten.
Ist sie nicht selber schuld, warum zieht sie sich auch so sexy an? Und dann noch dieses "Nein heißt eigentlich Ja": Frauen wollten "erobert" werden und spielten daher gern einen bisschen Katz und Maus.
Das ist, mit Verlaub, alles Quatsch. Natürlich gibt es mit Ironie gespickte Wortgeplänkel. Zweideutige Kommunikation und Ambivalenz können sehr erotisch sein. Für diejenigen, die sich dabei auf Augenhöhe begegnen, wird daraus selten ein grenzwertiger Übergriff. Diejenigen wissen letztlich auch ohne Gesetz, wie sie sich fair zu verhalten haben.

Das Strafverfahren wird nicht einfacher

Das reformierte Sexualstrafrecht ist richtig und wichtig. Allerdings dürfte eher die Zahl der Anzeigen als der Verurteilungen zunehmen. Denn einfacher wird ein Strafverfahren keineswegs. Wie kann ein Opfer beweisen, dass es ausdrücklich Nein gesagt hat? Wie, dass der Täter nicht von ihm abgelassen hat, obwohl es geweint hat? Auch künftig wird häufig Aussage gegen Aussage stehen.
Was also bringt ein schärferes Strafrecht, wenn der Beweis unverändert schwer zu führen ist? In jedem Fall das allgemeine, nicht zu gering schätzende Signal, dass der Intimbereich eines Menschen keine rechtsfreie Zone ist. Nur weil sie vermeintlich privat ist und sich dem öffentlichen Blick entzieht.

Simone Schmollack, geboren 1964 in Berlin, ist Redakteurin bei der "Tageszeitung" in Berlin und Autorin zahlreicher Bücher, darunter "Kuckuckskinder. Kuckuckseltern", "Deutsch-deutsche Beziehungen. Liebe zwischen Ost und West" und "Damals nach der DDR. Geschichten von Abschied und Aufbruch". Sie beschäftigt sich vor allem mit Themen an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Privatheit. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Journalistik in Leipzig, Berlin und Smolensk.

© Dietl
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