Neue Vorwürfe gegen Wedel: Wie kann ein Schweigesystem so lange existieren?
Seyran Ates im Gespräch mit Anke Schaefer:
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Neue Vorwürfe gegen Regisseur Dieter Wedel
Der Regisseur Dieter Wedel im Strudel schwerer Anschuldigungen: Im aktuellen Dossier der "Zeit" werfen erneut Frauen dem heute 75-Jährigen teils lange zurückliegende sexuelle Übergriffe und Schikanen vor - einige von ihnen an Eides statt. Beim Saarländischen Rundfunk sind Vorfälle offenbar aktenkundig.
Erneut sind schwerwiegende Vorwürfe gegen den deutschen Regisseur Dieter Wedel publik geworden. Nachdem in der "Zeit" bereits Anfang Januar Ex-Schauspielerinnen Wedel beschuldigt hatten, er habe sie in den 1990er-Jahren sexuell bedrängt, werfen in der aktuellen Ausgabe weitere Frauen dem Regisseur teils lange zurückliegende sexuelle Übergriffe und Schikanen vor. Offenbar sind einige der mutmaßlichen Vorfälle sogar aktenkundig.
Der Saarländische Rundfunk (SR) wusste nach eigenen Angaben bereits in den 1980er-Jahren von Vorwürfen sexueller Übergriffe durch Wedel, setzte aber dennoch damals die Zusammenarbeit mit ihm fort. Wegen der Recherchen der "Zeit" habe der Sender nun Akten gesichtet, die für die Vorabendserie "Bretter, die die Welt bedeuten" angelegt worden waren. Wedel soll laut "Zeit" im Jahr 1980 versucht haben, eine der Hauptdarstellerinnen zu vergewaltigen. Sie wurde aufgrund ihrer Verletzungen arbeitsunfähig, wie nach Angaben des SR aus den Akten des Senders hervorgeht. Die Frau musste demnach deshalb auch aus der Serie aussteigen, was zu einer Verdopplung der Produktionskosten führte, weil Ersatz für sie gefunden und das Drehbuch umgeschrieben werden musste.
Viele der Vorwürfe sind bereits verjährt
Die "Zeit" schreibt in ihrem aktuellen Dossier, die Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch beschuldige Wedel, sie 1980 in seinem Hotelzimmer angegriffen und versucht zu haben, sie zu vergewaltigen. "Er setzte sich rittlings auf mich, packte meinen Kopf bei den Haaren und schlug ihn immer wieder aufs Bett, einmal auch an die Wand und dann einmal auf die Bettkante", zitiert die "Zeit" Gemsch. Wedel habe ihr außerdem mit ihrem Schal die Kehle abgeschnürt. Wegen ihrer Verletzungen habe Gemsch den Dreh abbrechen müssen, ihre Rolle sei neu besetzt worden. Gemschs Nachfolgerin, die Schauspielerin Ute Christensen, habe wegen des Mobbings am Dreh durch Wedel ihr Kind verloren, notiert die "Zeit". Beide Schauspielerinnen sollen gegenüber der Zeitung eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben.
Gegen Wedel laufen bereits Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der "Zeit"-Berichterstattung zu Jahresbeginn. Damals waren die ersten Vorwürfe gegen ihn publik geworden. Einer der Fälle, der dort berichtet wurde, soll noch nicht verjährt sein, alle anderen Vorwürfe sind strafrechtlich wegen Verjährung jedoch nicht mehr zu ahnden.
Die zu Jahresbeginn erhobenen Vorwürfe wies Wedel damals per eidesstattlicher Erklärung zurück, zu den jüngsten äußerte sich der 75-Jährige nicht, sondern verwies auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand.
Filmfestival Max-Ophüls-Preis: Skandal eher kein Thema
Die Reaktionen aus der Filmbranche sind eher verhalten, berichten Susanne Burg und Patrick Wellinski vom Filmfestival Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken - zumindest unter den Nachwuchsfilmern ist das "Zeit"-Dossier eher kein Thema. Die Filmschaffenden und Besucher seien sehr jung, Anfang oder Mitte 20, sagt Wellinski, das Festival ein geschützter Raum, und da "müsse man einen Fall, der gerade von außen so hereingeströmt komme, auch ein bisschen wegdrücken", meint er. "Wir finden es konsequent und verständlich, dass die Festivalleitung gesagt hat, dass sie sich gern dazu äußern wird", sagt er - aber erst nach dem Festival.
Auf dem Festival sei aber ein Thesenpapier von jungen Filmemacherinnen präsentiert worden, in dem sie sich für die Gleichstellung der Frau in der Filmbranche stark machen, berichtet Susanne Burg. "Und außerhalb des Festivals gibt es im Augenblick eine Initiative der Deutschen Filmakademie, wo eine Arbeitsgruppe gegründet wurde und da sollen diese strukturellen Probleme aufgearbeitet werden", sagt sie.
Dokumentierte Vorwürfe und nichts geschieht - wie kann das sein? "So ein System spiegelt auch unsere Gesellschaft, insofern müssen wir uns das alle fragen", meint die Medienjournalistin Jenni Zylka. Gleichzeitig könne man daran aber auch ablesen, welchen Stellenwert das Fernsehen und seine Beteiligten damals noch gehabt habe. Hinzu käme: Die Frauenbewegung sei in den 80er-Jahren noch ganz frisch gewesen und der Blick auf sexuelle Gewalt ein anderer, meint sie. Zylkas Einschätzungen im Gespräch mit Nicole Dittmer und Julius Stucke: