Sexueller Missbrauch

"Den Opfern die quälenden Schuldgefühle nehmen"

Symbolfoto zum Thema Kindesmissbrauch: Man sieht ein Mädchen in einer Zimmerecke mit Teddy von hinten und im Vordergrund die Beine eines Mannes
Nach wie vor werde zu viel geschwiegen, sagt die Sozialpädagogin Urte Paulsmeier, die Opfer sexualisierter Gewalt berät. © imago/imagebroker
Urte Paulsmeier im Gespräch mit Katrin Heise |
Ohnmacht und Scham – das kennt die Sozialpädagogin Urte Paulsmeier auch aus eigener Erfahrung. Sie berät Opfer von sexuellen Übergriffen bei "Dolle Deerns" in Hamburg. "Erwachsenensexualität in Kinderleben zu bringen, ist Gewalt", sagt sie.
Als Kind wurde Urte Paulsmeier jahrelang von ihrem Großvater missbraucht. Sie erlebte, wie sich das Schweigen über sexuelle Gewalt in der Familie über Jahre und Jahrzehnte halten kann:
"Es war immer in ganz alltägliche Begegnungen verpackt, sag' ich mal, gar nicht so spielerisch, sondern eher in Situationen von Begrüßung und Verabschiedung. Und er hat immer dafür gesorgt, dass die Tür zu ist, dass niemand dabei ist. Und ja, was da passiert ist, das möchte ich nicht so genau erzählen. Also da hat er sich sexuell an mir befriedigt, und ich wusste als Kind nicht, was das ist. Das war irgendwie komisch und irgendwie eklig; und ich fand es nicht toll. Aber er war halt so. Und das war mir als Kind überhaupt nicht bewusst, dass das irgendetwas mit Sexualität zu tun hat."
Urte Paulsmeier lachend im Porträt
"Erwachsenensexualität in Kinderleben zu bringen, ist Gewalt", sagt Urte Paulsmeier.© privat
Erst als Erwachsene vertraute sich Urte Paulsmeier ihren Geschwistern an und schaffte es, ihre Ohnmacht zu überwinden. Seit 23 Jahren berät die Sozialpädagogin Opfer sexueller Gewalt. Sie selbst spricht eher von sexualisierter Gewalt:
"Sexualisierte Gewalt ist eigentlich die richtige Bezeichnung, weil es einfach um Gewalt geht. Das ist ganz wichtig. Ich sag' immer: Erwachsenensexualität in Kinderleben zu bringen, ist Gewalt."

Vertrauensschutz in der Beratung

Ihr geht es darum, Vertrauen zu den Betroffenen aufzubauen, ihnen einen geschützten Raum zu geben. Nach wie vor werde zu viel geschwiegen:
"Wir sind immer sehr froh über alle, die sich auf den Weg machen und sich Hilfe holen. Das ist total mutig und das ist ein großer Schritt." Und es gehe darum, dieses Schweigen zu brechen, die Schuldigen zu benennen – und den Opfern die quälenden Schuldgefühle zu nehmen.
"Das Gefühl, womit wir am meisten zu tun haben, ist, in irgendeiner Weise selber schuld zu sein, an dem was passiert ist. Und das ist, was vielen Mädchen und Jungs tatsächlich auch suggeriert wird. Das muss gar nicht gesagt werden, aber das so ein Gefühl entsteht: 'Du wolltest das doch auch, ist doch gar nicht so schlimm. Ist doch schön, du magst mich doch auch und hast mich doch lieb.' Dass im Grunde die Kinder mit eingeflochten werden in diese Handlungen und damit für sich mit verantwortlich werden für diese Handlungen. Und das ist ja nicht 'ne Verantwortung, die ein Kind tatsächlich hat, sondern da ist dieses eklige, fiese, schwere Schuldgefühl, weil irgendwann klar wird: Das war nicht schön, das war nicht richtig, aber ich hab' ja selber irgendwas da dran auch mitgemacht. Oder ich bin ja auch nicht weggelaufen oder ich hab' nicht gesagt: 'Nein, ich will das nicht.'"
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