Sexueller Missbrauch

"Täterinnen und Täter bagatellisieren, was passiert"

09:19 Minuten
Der Schatten eines Kindes wird berührt von dem Schatten eines Erwachsenen.
Für Kinder ist es sehr schwierig, über Missbrauch zu sprechen, sagt Tanja von Bodelschwingh. © Getty Images / iStockphoto
Tanja von Bodelschwingh im Gespräch mit Axel Rahmlow |
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Keine Berührung - kein Missbrauch? Diesen Fehlschluss scheint ein Satz des späteren Papstes Benedikt XVI. nahezulegen. Tanja von Bodelschwingh vom Verein N.I.N.A. sieht darin "deutlich Tätersprache", die die Perspektive des Kindes nicht ernst nimmt.
In seiner Inschutznahme eines Pfarrers, der vor vorpubertären Mädchen masturbiert und pornografisches Material gezeigt haben soll, schrieb Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., dass es "in keinem der Fälle" zu einer Berührung gekommen sei. Das ist in dem Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising festgehalten.
Ratzingers Stellungnahme sei eine Verharmlosung und Bagatellisierung und "deutlich Tätersprache", sagt Tanja von Bodelschwingh vom Verein N.I.N.A., der ein bundesweites Hilfetelefon zum Thema sexueller Missbrauch betreibt. "Er stellt es so dar, als hätte er die Definitionsmacht darüber zu sagen, was für die Betroffenen schlimm ist und was nicht."

Das stimmt mich ernsthaft fassungslos.

Tanja von Bodelschwingh

Täter und Täterinnen zeigten häufig ein sehr ähnliches Vorgehen, "dass erst mal sexueller Missbrauch angebahnt wird, eigene Hemmschwellen überschritten werden und die Grenzen der Kinder Stück für Stück überschritten werden. Dazu gehört auf jeden Fall auch, dass viele Täter und Täterinnen verharmlosen und bagatellisieren, was da passiert."

Das Kind wird in seinen Gefühlen manipuliert

Bodelschwingh weist darauf hin, dass es für Kinder sehr schwierig sei, über ein solches Erlebnis zu sprechen und wahrzunehmen, dass etwas passiert ist, das falsch ist. Das sei eine Riesenhürde, weil die Tatperson, die in der Regel sehr geplant vorgehe, das Kind in seinen Gefühlen manipuliere, das Ganze anders darstelle und auch bagatellisiere. Häufig sei die Täterin oder der Täter für das Kind eine sehr wichtige Person oder aber es bestehe eine Abhängigkeit: "Es sind oft Menschen, zu denen eigentlich alle großes Vertrauen haben." Dann sei es für Kinder wahnsinnig schwer zu erkennen, ab wann das so nicht mehr in Ordnung sei, was sie erleben.
Zu den Grenzüberschreitungen zählt Bodelschwingh zum Beispiel das Duschen nach dem Sport, wenn die Trainer mitduschen, oder Eltern in der Umkleidekabine, wenn die Kinder nackt aus der Dusche kommen: "Wenn alle Erwachsenen das nicht kommentieren und das einfach in Ordnung ist, dann ist es für Kinder fast unmöglich einzuordnen, dass das eine Grenzüberschreitung ist und dass das nicht geht."
Dies etwa im Sportverein zu thematisieren und Regeln zu finden, sei der einzige Weg, ein Schutzkonzept zu entwickeln: "Ohne dass gleich von anderen Eltern kommt 'Ihr glaubt doch nicht, dass hier was passiert? So was brauchen wir hier nicht, wollt ihr jemandem etwas unterstellen?' Letztlich würde das aber allen Beteiligten Sicherheit geben, meint Tanja von Bodelschwingh.