Frankreichs Sportministerin will Schweigen brechen
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Es müsse leichter werden, über Missbrauch zu reden. Das fordert die französische Sportministerin Roxana Maracineanu und hat eine Debatte über sexuelle Gewalt im Sport anstoßen. Dafür schloss sie einen Kooperationsvertrag mit dem ehemaligen Rugbyspieler Sébastien Boueilh.
Man müsse von einer "Omertà" sprechen, einem Schweigegelöbnis wie bei der italienischen Mafia, sagt Roxana Maracineanu: Sexuelle und sexualisierte Gewalt wie auch Kindesmissbrauch gäbe es leider auch im Sport. Doch werde darüber allenfalls hinter vorgehaltener Hand geredet, eine Debatte darüber gebe es nicht einmal im Ansatz.
"‘Omertà - einfach weil in der Welt des Sports niemand über sowas spricht, als könne es das gar nicht geben! Doch in vielen Bereichen der Gesellschaft wird jetzt über diese Themen gesprochen, also will ich es auch im Sport tun. Es ist bitter nötig: Die Vereine betreuen die Kinder schließlich jahrelang, genau wie die Schulen. Dort nimmt man das Thema sehr ernst, das Personal wird besser ausgebildet, wird sensibilisiert – meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass das in den Vereinen auch passiert."
Kooperation mit Hilfsorganisation
Gerade in den Sportvereinen, so Roxana Maracineanu, sei der gesellschaftliche Zusammenhalt noch wirklich spürbar. In den meisten Fällen ohne irgendeine Form von Diskriminierung auch erlebbar. Dieses Vertrauen in die Vereine müsse unbedingt geschützt und erhalten werden. Die weltweit geführte #MeToo-Debatte biete jetzt die gute Gelegenheit, bestehende Tabus anzusprechen.
"Diese Debatten haben doch das Wort befreit. Aber: Wichtig ist nicht nur, was Erwachsene, was insbesondere Frauen sagen, wichtig ist auch, was Kinder sagen. Und sie werden in unserer Gesellschaft noch nicht genug gehört. Dafür müssen wir ihnen Möglichkeiten geben, es muss für Kinder und Jugendliche leichter werden, über diese Fragen zu sprechen. Wir müssen ihnen auch erklären, was ihre Lehrer machen dürfen, was nicht, wie ihre Körper berührt werden dürfen und wie nicht. Auch die Eltern müssen einbezogen werden, sie müssen verstehen, was in einem Gymnastiksaal passiert, in einem Schwimmbad, in einem Stadion."
Für ihr Vorhaben hat die Sportministerin jetzt einen Kooperationsvertrag mit dem früheren Rugbyspieler Sébastien Boueilh abgeschlossen: Er war selbst als Kind jahrelang Opfer sexueller Gewalt und gründete vor fünf Jahren die Hilfsorganisation "Colosse aux pieds d’argile" - deutsch: Koloss auf tönernen Füßen.
"Wir wollen aufklären und vorbeugen, auf die Risiken hinweisen, darauf, dass es Pädophilie natürlich auch im Sport gibt und wir begleiten und betreuen die Opfer. Das Ziel ist, dass alle im Sport sensibilisiert werden, in allen Sportarten – von den fünfjährigen Kindern bis zum freiwilligen Betreuer von 77 Jahren."
Vereine als Redeorte
Genau das will Roxana Maracineanu auch: landesweite Aufklärungskampagnen und Gesprächsangebote sowie geänderte Ausbildungsprogramme und strenge Kontrollen. Und das sowohl im Amateur- wie im Profibereich, insbesondere in den staatlichen Ausbildungszentren von "Pole France", in denen Sportstudenten einjährige diplomierte Lehrgänge absolvieren und dabei in abgeschlossener Umgebung mit Trainern und Ausbildern zusammenleben.
"Wir wollen insbesondere die späteren Ausbilder in den Sportzentren erreichen, mit ihnen ins Gespräch kommen, auch über Themen wie das der Pädophilie. Sie müssen genau wissen, was sie dürfen und was nicht. Beim Unterrichten mancher Sportarten muss man die Kinder berühren, umso wichtiger ist es, dass Lehrer und Ausbilder ihre Grenzen kennen – und wissen, was das Gesetz darüber sagt."
Die Reaktionen auf Maracineanus Initiative sind noch verhalten. Die großen Verbände haben Zustimmung signalisiert, in vielen Vereinen scheinen die Ideen der Ministerin noch nicht angekommen zu sein. Gerade dort aber dürfte sich am meisten ändern, sind die Vereine doch für Roxana Maracineanu die "Grundlage des sportlichen Lebens". Diese will sie zu "Redeorten" machen, wo auch ein Thema wie "Homosexualität im Sport" enttabuisiert werden könnte. Wo aber jetzt noch das Schweigegelöbnis der "Omertà" herrscht, dürfte das gewollte "freie Sprechen" außerordentlich schwer werden.