Shahla Ujayli: „Unser Haus dem Himmel so nah“
© Kupido Verlag
Zeitreise durch ein syrisches Haus
05:36 Minuten
Shahla Ujayli
übersetzt von Christine Battermann
Unser Haus dem Himmel so nahKupido, Köln 2022347 Seiten
28,00 Euro
In jedem Stockwerk eine andere Zeit: Im Roman von Shahla Ujayli steckt hinter jeder Tür eine Geschichte aus Syrien aus den letzten hundert Jahren. Es entsteht ein Erinnerungsbuch in Zeiten des Krieges.
Syrien – das Bild des Landes erscheint heute düster. Zerbombt, ausgelaugt nach Jahren des Krieges, ein kaputter Spielball strategischer und politischer Interessen verschiedener Mächte. Dass auch Syrien ein zivilisiertes und kulturell reiches Land war, wird vergessen, wenn man bloß an die Scharen von Flüchtlingen, die Ruinen von Raqqa, die Gewaltherrschaft des Diktators Assad oder den Terror des IS denkt.
Nominiert für den arabischen Booker Preis
Aus Raqqa, der Stadt im Norden des Landes, die multikulturell und liberal war, bevor der „Islamische Staat“ sie 2014 eroberte, stammt die Schriftstellerin Shahla Ujayli. 1976 geboren, studierte sie in Aleppo und promovierte im jordanischen Madaba in moderner arabischer Literatur. Heute unterrichtet sie an der dortigen Universität, hat Bände mit Kurzgeschichten und mehrere Romane veröffentlicht. Mit „Unser Haus dem Himmel so nah“ war Shahla Ujayli 2016 für den arabischen Booker Preis nominiert.
Ihr Roman beginnt Mitte des 20. Jahrhunderts in Aleppo in der Villa des Rechtsanwalts Al-Haffar. Aufgrund der politischen Verhältnisse verlegt er seinen Wohnsitz nach Damaskus. Emigration, der Verlust von Heimat, ist bereits auf den ersten Seiten des Romans präsent.
Al-Haffar führt ein offenes Haus, Dichter, Sänger, Politiker und Professoren versammeln sich gerne bei ihm zu Diskussionen, „die sich in erster Linie um Politik und die Kochkunst“ drehen. Sein Enkel Nasser al-Amiri, ein Klimaexperte, trifft viele Jahre später auf einem Flug nach Amman Djuman Badran, die Icherzählerin. Eine Kulturanthropologin, die auch aus Raqqa stammt, wie Nassers Großvater und wie die Autorin selbst. Die beiden kommen sich näher, erst als Freunde, dann als Liebende.
Erzählungen wie ein bunter Teppich
Innerhalb kurzer Zeit legt die Autorin inhaltliche Fäden, die sie in der Folge in immer neuen Varianten verknüpft und verlängert, sodass ein bunter Teppich an Erzählungen entsteht. Ujaylis Roman setzt sich aus unzähligen Binnenerzählungen zusammen, die sich über einem Zeitraum von gut hundert Jahren erstrecken, aus der Vergangenheit in die Gegenwart ragen oder aus der Gegenwart in zurückliegende Zeiten weisen.
Das Personal ist zahlreich, die Schauplätze sind es auch. Und alles hat mit allem zu tun: Die Wege vom osmanischen Jaffo ins französisch regierte Aleppo, nach Jordanien, ins italienische Portofino, die USA oder ins zerbombte Raqqa sind kurz. Die Autorin erzählt Lebens-, Familien- und Landesgeschichten nicht chronologisch, sondern über ihre Figuren, die sich stets mit den Geschichten ihrer Verwandten aus vorherigen Generationen verbunden fühlen.
Tiefe Verbundenheit mit Stadt und Umgebung
Im Blick dieser syrischen Autorin ist die Landschaft ihrer Erzählungen eben nicht „Naher Osten“, sondern das Zentrum persönlicher und historischer Ereignisse. Das macht dieses Buch wertvoll besonders für europäische Lesende. Ujayli ist Tochter eines Architekten, der sich auch dem Erhalt und der Restaurierung von Städten gewidmet hat. Das spürt man in den Stadtschilderungen, die so präzise, liebevoll und sinnlich sind.
Die Menschen dieses Romans sind mit ihrer Umgebung und Heimat, den Verwandten und Freunden, mit den Pflanzen, dem Licht, mit jedem Stein innig verbunden, so dass sie häufig einen großen Schmerz mit sich tragen, denn immer wieder müssen sie ihre gewohnte Umgebung verlassen.
Djuman, die dem Krieg in Syrien entkommen ist, muss plötzlich einen anderen Kampf bestehen: Bei ihr wird Krebs diagnostiziert und über weite Strecken des Romans beschreibt sie ihre Ängste, ihre Schwäche und die verschiedenen Therapien.
Erinnerung in Zeiten des Krieges
„Unser Haus dem Himmel so nah“ ist ein Erinnerungsbuch in Zeiten des Krieges. In den Kampfpausen – sei es, wenn gerade keine Bomben fallen, oder in der Pause vor der nächsten Chemotherapie – ist Zeit, über die Vergangenheit und das Leben nachzudenken.
Shala Ujayli tut das mit einer zu Herzen gehenden Intensität, dabei klug und und mit empathischem Blick für die unterschiedlichen Erfahrungen ihrer Figuren.