Berliner Nahrungsmittel-Start-ups
© Deutschlandradio / Von Ernst-Ludwig von Aster
Shakshuka vom Roboterkoch
29:13 Minuten
Rund 400 Start-ups tüfteln in Deutschland an neuen Lebensmitteln und ihrer Zubereitung. Der Kampf um die Kunden ist hart, die Gewinnmargen sind gering. Manche setzen auf Robotik, andere auf überliefertes Handwerk. (Erstsendung: 13.03.2022)
Berlin-Mitte: Ein Pärchen schlendert durch die Auguststraße. Die beiden bleiben vor einem Eckladen stehen, blicken neugierig durchs Fenster. Im Innern bewegt sich leicht ruckelnd ein Roboterarm, füllt einen Topf mit Zutaten, ein anderer greift zur Pappschale: Küchentraining. In einigen Monaten soll der Roboter-Koch Kunden bewirten.
Hinter der Scheibe beugen sich Julian Stoß und Emanuel Pallua über ihren Laptop, mit dem sie die Roboterarme steuern. Frühjahr 2021: Im Showroom von „Aitme“ sollen Investoren für die Küche der Zukunft begeistert werden. „Wenn wir hier die Fenster aufhaben, dann lädt das schon dazu ein, dass die Leute zuschauen, weil es das in dieser Form noch nicht gibt, wenn der Roboter am Kochen ist und die Leute hier am Essen sind. Es ist schon oft vorgekommen, dass wir hier auf einmal ein Essen zum Probieren rausgegeben haben.“
Küche und Robotik zusammenbringen
Proben aus der Blech-Knecht-Küche: Ein Container gut drei Meter lang, zwei Meter hoch, füllt den Raum. Die Kühlung surrt: eine große Kochbox, permanent auf vier Grad gekühlt. Hinter Glas, sicher ist sicher, liegt der Küchentrakt. Viel Edelstahl, Kabel, Schläuche und zwei Roboterarme. Jeder kostet einige zehntausend Euro. „Der Linke ist verantwortlich für unsere Töpfe, der Rechte für die Teller. Dann haben wir eine Reihe von sechs Töpfen, die alle auf Induktionsfeldern stehen, in einer ähnlichen Position wie eine Betonmischanlage, die man von Baustellen kennt.“
Seit zwei Jahren tüfteln sie am Koch-Roboter. Wie man fertige Mahlzeiten an den Kunden bringt, damit kennen die beiden sich aus. Pallua gehörte zu den Gründern des Foodora Lieferdienstes. Stoß organisierte dort das Marketing. Beide sind Mitte 30 und wollen Küche und Robotik zusammenzubringen. Geschmack und Technik. „Aitme", so der Kunstname. Mit „AI“ vorne. Das soll für „Artificial Intelligence“, künstliche Intelligenz, stehen. Mit mehr als zwei Millionen Euro unterstützen Investoren die Startphase. „Zielmarkt sind für uns natürlich kleine und mittelständische Betriebe, die zurzeit entweder keine Kantine haben, sich aber viele Gedanken um Mitarbeiterverpflegung machen.“
120 Gerichte pro Stunde
Kochen rund um die Uhr, Gerichte vom Roboter angerührt und frisch serviert – das ist die Geschäftsidee. Für Ende des Jahres hat ein Kunde das erste Modell bestellt, zur Miete, für 2500 Euro im Monat. 120 Gerichte sollen die beiden Roboter-Arme am Ende pro Stunde anrühren. Doch bis dahin bleibt noch viel zu tun: technisch und kulinarisch. „Bei der Pasta haben wir bestimmt um die hundert Versuche gemacht, bis wir wirklich den Al-dente-Moment richtig hingekriegt haben, sodass wir mit dem Vorkochen und dann in der Anlage aufwärmen auch den richtigen Biss hinkriegen.“
Während in Berlin-Mitte der Roboter für seinen Küchen-Einsatz trainiert wird, flimmert nur wenige Kilometer weiter, in einem Tiefparterre in Kreuzberg, ein Film über die Leinwand. Eine Ziege erzählt vom Käsemachen. Leyla Rohrbeck kann den Text fast auswendig mitsprechen. Schließlich geht es um den Käse ihrer Tante Ute. „Ich habe einen Großteil meiner Kindheit bei meiner Tante Ute verbracht. Die wohnt ja in Mecklenburg. Die hat ein altes Gutshaus dort gekauft und hat dann angefangen, bei sich in der Küche Ziegenkäse herzustellen. Daraus wurde dann eine Ziegenkäsemanufaktur: Kunst und Käse.“
Faszination Käse-Handwerk
Sie verkaufte im Hofladen, machte eine Ausbildung zur Köchin und landete dann doch wieder beim Käse, zusammen mit ihrem Freund Philipp Kossack. Der hat auch Koch gelernt, unter anderem im Hilton gearbeitet. Beide faszinierte die jahrhundertealte Form der Milchveredelung und das Handwerk von Tante Ute. So reifte die gemeinsame Geschäftsidee: Käsekurse. „In den letzten fünf Jahren ist der Trend ja immer mehr dahingegangen, dass man Dinge selber macht, alle machen Kombucha, Sauerteig, Kefir, solche Sachen. Wir fanden, der Käse fehlt total, und da wir handwerklich beide sehr begabt sind, haben wir gesagt, wir übernehmen das.“
Utes Vermächtnis, aber ohne Ziegen und ohne Gutshof. Ein Kreuzberger Keller tut es auch. „Bei uns sind das wirklich nur wir beide, wir stemmen das alles von Grund auf selber: sei es Laden umbauen, neue Sachen entwickeln. Design machen wir zum Teil auch selber. Da ist kein großer Hai im Background, der uns irgendwie noch mit Geld zupumpt, das stemmen wir alles von uns selber aus.“ Käse für alle, die selber machen wollen. Das ist die Idee. Low-Tech. Naturprodukt und echte Handarbeit. „Es geht ja heutzutage immer darum. Was ist neu, was ist trendy, was hat es noch nie gegeben. Jeder will immer das, was es noch nie gab. Wir sind eher mit dem Ansatz ganz andersherum rangegangen, sehr traditionell, und ich kenne niemanden, der keinen Käse mag.“
Sechs Euro pro Gericht
In der Auguststraße tippt Julian Stoß die letzten Befehle in den Laptop. Anweisungen für den Robo-Koch. „Dann wollen wir mal ein Shakshuka kochen.“ Shakshuka – das traditionelle tunesische Gericht, eine würzige Tomatensauce, mal mit Auberginen, mal mit Kartoffeln, aber immer mit Ei und arabischen Gewürzen. „Wir wählen einmal die verschiedenen Zutaten aus, in diesem Fall sind das die Kartoffeln, dann nehmen wir einmal das Rührei.“
Während Stoß das Shakshuka Zutat für Zutat zusammenstellt, präsentiert Pallua auf dem Tablet das Zukunftsmenü für Investoren, Kunden und ihre Angestellten. Die Arbeitgeber sollen den Robo-Koch in Zukunft mieten, für rund 2500 Euro im Monat, "Aitme" wartet und betreibt die Hightechküche, die Belegschaft zahlt sechs bis sieben Euro pro Gericht. „An einem typischen Tag würde unseren Kunden zwischen sechs und acht Gerichte vorgeschlagen werden. Da sieht man einfache Gerichte wie Käsespätzle oder Pasta Carbonara oder mit Pesto, aber auch komplexere Sachen wie unsere Miso, Basil, Tofu Bowl.“
Pochiertes Ei ist schwierig
Stoß ist inzwischen fertig mit der Eingabe, drückt „Enter“ und dreht sich erwartungsvoll um. „Ich würde hier mal eine Bestellung abschicken, mal gucken, ob er heute gut gelaunt ist, dann wird er nämlich gleich anfangen zu kochen.“ Die Laune scheint zu stimmen. Das grüne Licht am Roboterarm eins signalisiert zumindest Betriebsbereitschaft. Er ruckt nach vorne, greift zu einem der Töpfe, dreht sich nach links oben. Dort sind kleine Stahlcontainer wie Schubladen angebracht, mit den einzelnen Zutaten. „Er hat jetzt ein bisschen Rührei abgeholt, als nächstes fährt er zu den Tomaten. Tofu haben wir auch noch mit drin.“
Geräuschlos arbeitet der Roboter-Arm, nur die Kühlung surrt. Die Zutaten landen im Topf, langsam platziert der Maschinen-Koch ihn auf dem Induktionskochfeld und geht wieder in Wartestellung. Der Topf beginnt zu rotieren.
Jetzt kommt David Schoensee aus dem Nebenraum. Der Koch hat gleich Feierabend. „Lead Culinary Director“ steht auf seiner Visitenkarte. Er hat das Shakshuka-Rezept entwickelt und auf Robotertauglichkeit abgespeckt. „Am liebsten macht man ja ein pochiertes Ei rein, aber das ist schwierig", sagt er. "Ein gekochtes Ei hätte auch geklappt, dann müssten wir es aufschneiden und dann wäre am Ende nur Eiersalat rausgekommen, deshalb haben wir es mit Rührei gemacht. Aber ich glaube, wir haben den Geschmack ganz gut getroffen.“
Es riecht und schmeckt nach Shakshuka
Ganz neues Kochen. Eigentlich kommt Schoensee aus der gehobenen Gastronomie. Vor zweieinhalb Jahren kochte er noch in Sydney in einem hippen Restaurant. Dann kamen Corona und das Angebot aus Berlin. Jetzt entwickelt er täglich neue Gerichte für den Roboter-Einsatz. Nach knapp drei Minuten stoppt die Rotation des Kochtopfs, Roboterarm Nummer eins greift wieder zu. Roboterarm Nummer zwei geht mit einer Pappschale in Position. „Das heißt: Der rechte Arm ist für das Tellerhandling verantwortlich. Er reicht dem Topf-Arm den Teller. Dann gibt es die Übergabe.“
Das Shakshuka landet in der Pappschale. Arm Nummer zwei bugsiert sie in eines der neun Wärmefächer. Arm Nummer eins wäscht den Topf ab. Es riecht nach Shakshuka, es schmeckt nach Shakshuka. Kräftig gewürzt, reichlich Kreuzkümmel.
Das Rührei allerdings ist gewöhnungsbedürftig. Der menschliche Koch wird weiter daran arbeiten, und nicht nur daran. „Ich glaube, was im Augenblick noch schwierig ist, sind solche Sachen wie Kartoffelbrei. Wenn es erwärmt ist, ist es ja sehr sämig und geschmeidig. Aber weil wir ja in einer gekühlten Anlage lagern und auch fördern und auch kochen müssen, ist es ein bisschen schwierig, da den Twist zu finden. Ich würde sagen, Kartoffelbrei ist im Moment noch nicht möglich.“
Keine Kurse, kein Käse, keine Kohle
Sommer 2021: Im Kreuzberger-Käse Keller bereiten Leyla Rohrbeck und Philipp Kossack alles für den Abendkurs vor. „Das ist unser Kursraum. Da hat jeder so einen kleinen Kessel und jeder Kursteilnehmer hat zwei Liter Milch, aus denen er Käse machen kann, und dann gibt es hier so ein kleines Blech, das ist das ganze Zubehör." Dazu kommen Palette, Schaumkelle, Thermometer "und dann natürlich so ein Blech, wo man die Molke später auffängt“. Die beiden freuen sich, dass es endlich wieder losgehen kann, die monatelange Zwangspause vorbei ist. Drei bis vier Käsekurse pro Woche brauchen sie, um langfristig finanziell über die Runden zu kommen, haben sie ausgerechnet.
Die zwei Lockdowns haben die beiden Käse-Freunde voll erwischt. Keine Kurse, kein Käse, keine Kohle. „Das war ein extremer Dämpfer im Frühling, dann ging es im Spätsommer mal ganz kurz weiter für ein, zwei Monate. Dann haben wir kurz aufgeatmet und relativ schnell im Herbst gemerkt, jetzt ist es schon wieder vorbei." Die zweite Pause habe sich lange hingezogen. "Da waren wir dann irgendwann an einem Punkt, wo wie gesagt haben, wenn es jetzt noch länger geht, dann können wir das nicht mehr stemmen.“
Käse-Kurse zum Verschicken
En Plan B musste her. Philipp Kossack steht auf, holt eine Pappbox aus dem Regal. Ihr Rettungspaket. Für die Lockdown-Zeiten. Wenn die Kunden nicht zu den Käse-Kursen kommen können, dann müssen die Käse-Kurse eben zu den Kunden. „Milch muss man sich dazuholen, und hier gibt es dann Salz für die Salzlauge, ein Käseförmchen, eine Spritze, um das Lab aufzuziehen, einen kleinen Pflegeschwamm für den Käse später." Ein Thermometer ist auch dabei. "Dann kommen auch noch Kulturen und Lab. Die machen wir immer frisch rein. Die müssen wir immer kalt lagern." Dazu gebe es noch eine Anleitung. "Dann kann man loslegen.“
In dem Paket steckt viel Erfahrung und Entwicklungsarbeit. Denn viele Fehlschläge dürfen sich junge Unternehmen auf dem Selbstmachmarkt nicht leisten. In den sozialen Medien wird schnell gewertet und vor allem getadelt. Auf dem Weg von der Idee zur Markteinführung bleiben viele Food-Gründer auf der Strecke.
Die beiden Käsefreunde haben ihr Selbstmach-Set deshalb ausführlich getestet, in einem sogenannten „Food-Inkubator“, einem Entwicklungsraum für Lebensmittel-Pioniere, wo auch die Crew vom Roboter-Koch an ihren Zukunftsgerichten tüftelt.
Ein Markt mit geringen Gewinnmargen
Ein modernes Hochhaus, der Mercedes-Tower, gleich hinter dem Alexanderplatz. „Kitchentown“ steht in stylischen weißen Lettern an der großen Fensterfront im Erdgeschoss, und „For the food and foodtech innovators“.
Rund 140 Milliarden Euro setzt der Lebensmittelhandel in Deutschland alljährlich um. Der Kampf um die Kunden ist hart, die Gewinnmargen gering. Mit trendigen Neuigkeiten aber lässt sich noch ordentlich Profit machen. Ob mit Haferdrinks oder veganem Fischersatz. Rund 400 Start-ups tüfteln hierzulande dann auch an neuen Lebensmitteln, neuen Zubereitungsformen, neuen Liefermodellen. Doch nur die wenigsten überleben die ersten Jahre.
„Wir können uns Slots buchen, haben dadurch ein Kontingent und können auf alle Geräte zurückgreifen", sagen Julian Stoß und David Schoensee. "Ob das nun der Kombidämpfer ist, der Schockfroster, wir haben eine komplette Waschstraße. Wir haben ein komplettes Hygienekonzept mit Hygieneschleuse, wenn man selber so etwas einrichten würde, wäre man Riesensummen los.“
Die beiden sind im „Kitchentown“ Stammkunden, kommen fast jeden Donnerstag. Hier finden sie alles für die Produktentwicklung und Lebensmittelproduktion. Große Unternehmen wie Dennree, Käfer oder das KaDeWe sind Partner, einige investieren, andere stellen Präsentationsflächen zur Verfügung. Alle hoffen auf den nächsten Nahrungsmittel-Scoop. Gleich hinter dem Eingang steht eine gläserne Säule mit den Namen der Entwickler- und Entwicklerinnen und deren Produkten.
Mut-Mach-Mottos auf Kaffeetassen
Gut ein Dutzend Unternehmen tüfteln hier an Zukunftsprodukten, testen Geschäftsideen, nutzen die Infrastruktur und den kollegialen Beistand. Auch die Käse-Kurs-Macher haben hier angefangen, Leyla Rohrbeck sogar für eine Zeit die gesamte Produktionsstrecke geleitet.
An „Kommunikationsboxen“ geht es vorbei, einer Art neuzeitlicher Telefonzelle für das ruhige Gespräch. Dahinter liegt der Besprechungsraum: großer Tisch, Loungemöbel, Küchentresen. Darauf der „Genußguide Berlin-Brandenburg". An der Wand personalisierte Kaffeetassen mit Mut-Mach-Mottos: „Yanis, you make the world a better fish place“ steht auf einer, „Miriam, let's get seaweed great again“ auf einer anderen. Ein paar Schritte weiter liegt David Schoensees Test-Küche: der Proberaum für das Roboter-Menü.
Alle Zutaten, die der Robo-Koch verarbeitet, müssen vorbereitbar und dosierbar sein. Dazu lagerfähig. Zwei bis drei Tage gekühlt in den kleinen Stahlcontainern. Am Ende müssen auch noch Haptik und Konsistenz stimmen. „Da hat man dann so langsam ausprobiert: Welches Fördersystem nehmen wir? Wie lange kochen wir eigentlich welches Gericht, wieviel Soße muss da rein, wieviel Soße verdampft beim Kochen, wieviel Soße bleibt übrig, was passiert, wenn ich statt einer Portion Nudeln zwei Portion Nudeln haben will, wenn ich statt einer Portion vielleicht nur eine halbe Portion Fleisch haben möchte? Diese ganzen Parameter, die wir da an Zahlen sammeln konnten, das war der Anfang.“
Überall fehlt Personal
Und schnell wurde klar: Eine gute Vorbereitung ist alles. Jede Zutat muss speziell vorgegart werden, um nachher wie frisch gekocht auf dem Teller zu landen. Jeder Garpunkt muss exakt bestimmt werden, damit am Ende der Roboter nur noch rühren und erhitzen muss.
Während Schoensee Schritt für Schritt das Roboter-Rezept-Repertoire erhöht, kümmern sich Kollegen in München um die Hardware. Immer wieder hat sich die Auslieferung verzögert. Jetzt soll es in drei Monaten soweit sein.
Investoren haben noch einmal 7,5 Millionen Euro nachgeschossen. Die Zeit aber drängt. Die Kunden warten. Die Corona-Krise hat dem Roboter-Koch zusätzliche Nachfrage beschert. Überall fehlt menschliches Personal. „Ich glaube, dass zeigt sich jetzt auch nach der Covid-Krise, dass viele Restaurants auch Probleme haben, gute Mitarbeiter zu finden und vor allem auch Mitarbeiter zu halten.“
Zurück im Kreuzberger Käse-Keller: Es ist Spätsommer 2021, die Kursteilnehmer trudeln ein. Erst Corona-Check, dann eine kurze Einführung: Käsegeschichte, eine Hommage an Tante Ute und dann geht es an die Milchtöpfe. Hier übernimmt Philipp. Leyla hält sich im Hintergrund. Sie ist im achten Monat schwanger.
Anja drückt nochmal auf den Thermometer-Knopf. Aus 97,7 Grad Fahrenheit wird 36,6 Grad Celsius. Passt. Phillip erklärt: Zwei Liter Milch braucht es für 200 Gramm Käse. Der Rohstoff kommt vom brandenburgischen Ökohof Brodowin.
Dann hält er ein winziges Beutelchen in die Höhe: Milchsäurebakterien. Die Booster für die Käseproduktion. Jamal, Ralf und Anja lauschen gespannt. 90 Euro haben sie pro Person für den Abend gezahlt. „Wenn wir mal alt sind, wollen wir auf so einen Vierseitenhof ziehen, und ich mache Käse. Dann hat sie mir den Link geschickt und hatte Geburtstag. Da haben wir gesagt, dann gehen wir schon mal üben.“
Üben, das bedeutet als nächstes: Lab aufziehen, in die Milch geben und dann rühren, mit Gefühl, und dann den Milchwirbel sanft stoppen. „Über diesen Vierseitenhof spinnen wir uns ja immer was zusammen, und Ralf meinte, er möchte Käse machen. Ich backe sehr gerne. Jeder hat so seine Sachen.“
Philipp geht von Topf zu Topf. Nickt zufrieden. Dann heißt es warten. Zeit für etwas mehr Theorie. Käsekunde, über den Feta, Ursprung, geschützte Bezeichnungen, andere Käsesorten.
Testlauf auf dem KI-Campus
Berlin-Mitte, September 2021: Auf dem KI-Campus der Merantix AG erledigen Handwerker die letzten Arbeiten. Ein imposanter Neubau: 5000 Quadratmeter Fläche für Dutzende Digital-Start-ups. Die meisten entwickeln hier Anwendungen für Künstliche Intelligenz, Sprachlernprogramme, digitale Diagnosewerkzeuge für Mediziner.
Der KI-Campus ist der erste Robo-Koch-Kunde. David Schoensee schleppt zwei große Thermokisten am Empfang vorbei. Kleine Schweißtropfen glänzen über seiner Maske. Sein Kollege, der hier mit anpacken sollte, hatte gerade einen Fahrradunfall, ist im Krankenhaus, Verdacht auf Rippenbruch. Rein geht es in den Fahrstuhl, hoch in den zweiten Stock. Hier soll der Robo-Cook seine Premiere feiern. In einer trendigen Kantine, die hier „Community Space“ heißt. Doch bisher ragen am zukünftigen Standort nur zwei Rohre aus dem Boden.
Das Ding aber, der Roboter, ist noch gar nicht da. Die Kollegen in München sind noch dran, erledigen die letzten Arbeiten. Also muss in Berlin Schoensee selbst ran und für die Kunden der Zukunft kochen, nach Roboter-Rezepten, hier in der kleinen Küchenzeile.
Schale für Schale mit Zutaten holt der Koch aus der Thermokiste. „Jede Zutat ist einzeln sichtbar. Genauso wird die Zutat dann auch hinterher in der Anlage verbaut werden", sagt Schoensee. "Wir haben ein Silo mit Karottenraspeln, eines mit den Rote-Beete-Würfeln, ein Silo mit Blumenkohl.“
Ein Testlauf unter Humanoiden im Roboter-Modus. Zutaten, Bestell-Liste, alles ist auf den Robo-Cook abgestimmt. „Wir haben zwei Gerichte. Wichtig ist bei uns immer, dass wir einen Salat haben. Heute haben wir einen Thai-Beef-Glasnudel-Salat. Das ist unsere Kaltvariante. Dann haben wir immer eine vegane Option. Das ist heute eine Quinoa-Bowl mit einer Asia-Kokos-Soße, Kichererbsen, Blumenkohl, rote Beete und spicy Koreanderdressing.“
Am Eingang zur Küchenzeile packt Jana Seidenath Laptop und Kartenleser aus. Sie ist heute die Schnittstelle zu den Kunden, koordiniert die Bestellungen. Die ersten Kunden kommen, holen sich Besteck aus der Schublade. Jana gleicht die Namen mit der Bestell-Liste ab. 27 Portionen sind vorbestellt. Routiniert wirbelt Koch Schoensee am Herd. Den Gästen schmeckt es. Doch sie wollten eigentlich mehr, nämlich den Roboter.
"Wir wachsen organisch"
Im Kreuzberger Käse-Keller geht der Kurs auf die Zielgerade. Alle Teilnehmer rühren konzentriert in ihren Milchtöpfen. Die Käse-Macher witzeln und rühren und rühren. Philipp geht von Wärmetopf zu Wärmetopf, gibt Tipps. Dann das Finale, das große Käsestürzen. Jeder hat am Ende einen butterstückgroßen Feta vor sich.
Der Käse muss jetzt noch ein bis zwei Wochen in Salzlake reifen. Derweil können die Kursteilnehmer entspannt Molke trinken. Alle bekommen eine Flasche mit nach Hause. Nach zwei Stunden ist Feierabend mit der Käse-Produktion. Philipp Kossack öffnet einige Weinflaschen vom Gut eines Verwandten, dazu gibt es eine Käseplatte und zu jeder Sorte eine Geschichte.
Leyla Rohrbeck sitzt am Tisch, trinkt Wasser. In einem Monat kommt das Kind. Sie sieht zufrieden aus. „Wenn man sich so ein bisschen durchbeißt, ist man hinterher eigentlich total froh, weil man dann hinterher auch ein bisschen ein härterer Knochen ist. Wenn wir jetzt die letzten zwei Jahr betrachten, können wir eigentlich auch ganz zufrieden sein.“ Langsam weiter, aber beharrlich: Das ist ihr Plan für die Käse-Kurse der Zukunft.
Die Nachfrage ist da, die Ausrüstung komplett, das Marketing läuft, der Versand auch – jetzt investieren sie vor allem ihre eigene Arbeitskraft. „Wir wachsen jetzt nicht total steil wie viele andere. Aber wir wachsen über einen längeren Zeitraum organisch. Mal gucken, vielleicht gibt es uns dann ja noch in zehn Jahren dafür, hoffentlich.“
Betreutes Roboter-Kochen bei der Premiere
Mitte Januar, Merantix-Campus: Premiere für den Robo-Koch. David Schoensee tigert mit Maske zwischen Order-Terminal und dem großen stahlgebürsteten Container auf und ab. Praxistest für die Millionen-Euro-Entwicklung.
Eine Cali-Bowl ist geordert, vegan, für 6,50 Euro. „Jetzt geht er auf seine Kochstation. Langsam lässt er ihn los. Jetzt fängt der Topf an, sich zu drehen, perfekt.“ Schoensee nickt zufrieden.
Seine Kollegin Vanessa Hofbauer lehnt sich entspannt zurück. Sie sitzt an einem kleinen Tisch vor ihrem tragbaren Computer, gleich neben der Kochbox. Hofbauer lässt die Roboterarme nicht aus den Augen. Sie ist Mitte 20, hat erst Elektroinformationstechnik studiert, sich dann auf Robotik spezialisiert. „Ich bin für die Roboterprogrammierung zuständig, von den zwei Roboterarmen, die für uns kochen in der Zelle. Langfristig ist natürlich geplant, dass das alles autonom funktioniert und die Roboter tun, was sie sollen. Denn normalerweise sitze ich in München und arbeite an den nächsten Zellen.“
Jetzt aber ist sie hier, managt das betreute Roboter-Kochen. Wenn etwas nicht klappt, muss sie ran, per Befehl nachsteuern. Vorerst kann der Blech-Knecht auch nur zwei Gerichte gleichzeitig kochen, später sollen es sechs sein.
Heute auf dem Menü stehen vier: Quinoa Bowl, Cali Bowl, Fusilli Bolognese, Fusilli mit Spinat Sahne-Sauce. Es ist Tag sieben des Robo-Koch-Einsatzes. Die ersten Stammkunden gibt es schon. „Ich habe mir wirklich so ein angepasste Quinoa-Bowl gemacht. Das habe ich dann bei fast noch jeder Kategorie verändert, ganz nach meinen Bedürfnissen.“
Die Hochzeit der Roboterarme
Martin, 28 Jahre, Mathematiker, groß, schlaksig, in Jeans und Norwegerpullover, programmiert sonst ein Stockwerk höher, versucht Maschinen selbständiges Lernen beizubringen. Der Kochroboter hier unten folgt anstandslos seinen Befehlen. Keine Rote Bete, doppelt Edamame. Alles unter den kritischen Augen von David Schoensee. „Ich nenne das immer die Hochzeit, der linke Roboterarm hat jetzt den Topf unten gegriffen und jetzt fahren sie zu der Mitte das Raumes, der rechte Arm kommt jetzt mit dem Teller an, positioniert sich über dem Topf.“
Martin guckt gespannt zu. Kooperierende Roboter-Arme sind eine große Herausforderung, weiß er. Die Koordination, die Abstimmung. „Am Anfang sind die Pappschüsseln mal hingefallen bei der Roboterübergabe oder die Suppe ist mal nicht im Topf gelandet, sondern daneben." Es sei eben etwas Neues. "Ich glaube, da muss man erwarten, dass das nicht von Anfang an perfekt funktioniert. Aber in den letzten Tagen läuft das eigentlich ziemlich gut hier.“
David Schoensee nickt zufrieden. Martin lächelt. Er muss sich um sein zukünftiges Essen keine Sorgen machen. „Erstens ist halt super, dass die bis sieben Uhr hier sind, dann kann man abends auch noch ein bisschen was essen. Es ist auch ziemlich günstig im Vergleich zu dem, was hier um die Ecke ist.“
Heute hat der Robo-Koch um 19 Uhr Feierabend und somit auch seine Betreuer. Bald aber soll er allein rund um die Uhr kochen. Vanessa blickt auf den Computerbildschirm, checkt die Zug-Abfahrtszeiten. Gleich geht es zurück nach München. Da warten schon die nächsten Roboter-Arme auf die Programmierung.
Die Erstsendung dieser Reportage war am 13.03.2022 im Deutschlandfunk Kultur.