Sharon Dodua Otoo: "Adas Raum"
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021
317 Seiten, 22 Euro
Gott war ein Berliner
06:56 Minuten
Lyrisch, albern, philosophisch - Sharon Dodua Otoo zeigt mit "Adas Raum", wie man Zeitgeschichte aus ungewohnten Perspektiven erzählen kann. Der langerwartete erste Roman der Bachmannpreisträgerin hat allerdings auch Schwächen - er will zu viel.
Da ist er nun, der lang erwartete Debütroman von Sharon Dodua Otoo! 2016 wurde die Autorin in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, die Erwartungen sind also groß. Keine komfortable Situation für die Autorin. Die in London geborene Aktivistin, Publizistin und Erzählerin, die seit 2006 in Berlin lebt, hat diesen Roman auf Deutsch geschrieben. Mit einer Leichtigkeit und sprachlichen Kraft, die viele Muttersprachler nicht hinbekommen würden. Dennoch hat das Buch Schwächen.
"Adas Raum" ist ein lebendiger, verspielter Roman, ein vielfarbiges Panorama, ein Hallraum unterschiedlichster Tonlagen: lyrisch, albern, philosophisch. Kunstvoll konstruiert, ehrgeizig, überambitioniert. Ein großer Wurf. So groß, dass der geworfene Gegenstand irgendwann nicht mehr sichtbar ist und auch das Ziel nur als Idee erkennbar: Geschichte aus einer ungewohnten Perspektive zu erzählen.
Arbeitssklaven im KZ-Bordell
Auf gut dreihundert Seiten führt die Erzählerin durch mehrere Jahrhunderte. Ada ist ihr Orlando und Adas Raum ist weiter als ein Zimmer für sich allein. Markiert ist ein Dorf an der Küste Afrikas, in das 1459 ein portugiesischer Kaufmann mit "Krummsäbel" und "Kollegen" eindringt. Es kommt zu einer Konfrontation mit den dort lebenden Menschen, eine Verständigung ist schwierig. Am Ende gibt es eine Tote, eine junge Frau aus der Siedlung: Ada, die von dem europäischen, weißen Mann erschossen wird, bevor er sie versklaven kann.
1848 ist Ada eine mit einem Baron verheiratete Frau in London, die eine außereheliche Beziehung pflegt. Ada Lovelace, Tochter Lord Byrons, die Frau, die das erste Computerprogramm schrieb. Eine reale Person, eine hochbegabte Mathematikerin, die jung starb, im Roman, anders als in der Realität, aber erschossen wird – von ihrem weißen Mann.
Und dann gibt es 1945 im KZ Mittelbau-Dora noch eine Ada, eine Polin. Sie muss im KZ-Bordell schlotternde Arbeitssklaven in gestreifter Häftlingskleidung befriedigen, dünne weiße Männer, doch in der Opferkonkurrenz sieht sich Ada an erster Stelle: "So viel Opfer kannst du nicht sein, wenn dir noch dein Pimmel gehört." In dem Lager gibt es "Leichen, die wie stolze Reichsfahnen im Wind flatterten", das möge man sich vorstellen, wie auch "Wasser, das unter Pfützen läuft". Es ist nicht auszuhalten und Ada wird erschossen. Na, von wem wohl?
Schleifen sind manchmal Knoten
Und es gibt noch Ada, die 2019 nach Berlin kommt, schwanger und auf Wohnungssuche, eine schwarze Maria ohne Josef, die schließlich eine Bleibe zu finden scheint, bei einem alten weißen Mann, in dessen Besitz sich ein aus Afrika stammendes Armband aus dem 15. Jahrhundert befindet, das zuvor oder einst schon in Totope, in London und im KZ aufgetaucht war.
In Schleifen führt Sharon Dodua Otoo durch ihre Geschichten, sie wechselt die Erzählperspektiven, lässt neben ihren Protagonistinnen auch einen Reisepass, eine Brise, einen Türklopfer oder Handbesen erzählen. Selbst ein Gott, der berlinert, kommt zu Wort. Das ist originell, stark im Dialog, aber zeigt auch, dass Schleifen manchmal eben nur Knoten mit dekorativer Wirkung sind. Otoo schreibt an einer Stelle ihres Romans, die Berufung des Schriftstellers sei, zu verführen und zu verwirren. In diesem Fall gelingt ihr vor allem das Zweite vorzüglich.