Sharon Dodua Otoo: „Herr Gröttrup setzt sich hin“

Ein Ei schrieb Geschichte

06:35 Minuten
Buchcover: "Herr Gröttrup setzt sich hin" von Sharon Dodua Otoo
© S. Fischer

Sharon Dodua Otoo

Herr Gröttrup setzt sich hinFischer, Frankfurt am Main 2022

64 Seiten

18,00 Euro

Von Miriam Zeh |
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Gegenstände mit Gedanken, Gesellschaftskritik mit einer Prise Humor und Gemeinsamkeiten, wo man keine vermutet hätte. Sharon Dodua Otoo erzählt auf ganz eigene Weise vom Bachmann-Wettbewerb.
Beim Bachmann-Wettbewerb kennt man fulminante Debüts. Viele, die später berühmt geworden sind, haben hier erste Schritte in die Öffentlichkeit gemacht (wie die frisch gekürte Büchnerpreisträgerin Emine Sevgi Özdamar).
Und bei der Förderung von Schreibenden, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, nimmt das Wettlesen in Klagenfurt eine Vorreiterrolle ein. Sharon Dodua Otoo war 2016 gleich zweimal die Erste: erste britische und erste schwarze Autorin, die am Wörthersee gewann.
Eine schmale Textsammlung zeigt nun die enge Verbindung von schriftstellerischem Laufbahnbeginn und Bachmann-Preis. Denn an Otoos Wettbewerbstext, ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur von 2020 und einer fiktiven Rückkehr zum Ort des Geschehens lassen sich die Charakteristika ihre Ästhetik ablesen.

Autonome Frühstückseier

Gleich im ersten, mit dem Bachmannpreis prämierten Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ wird deutlich: Bei Otoo handeln nicht nur Menschen. Auch Gegenstände haben Gedanken und Gefühle. Die Autorin lässt in ihrer Kurzgeschichte stellenweise ein zu weich gekochtes Frühstücksei aus der Ich-Perspektive erzählen.
Das Ei, in vorherigen Leben war es bereits ein Crème brulée, ein Lottogewinn oder ein roter Teppich unter den Sohlen von Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, setzt sich trotzig über Naturgesetze hinweg. Lange genug hatte der pensionierte Raketeningenieur Helmut Gröttrup schließlich seine Ehefrau mit dem Härtegrad seines Frühstückseis tyrannisiert.
In Sharon Dodua Otoos Debütroman “Adas Raum” ist es der Weltgeist, der die Dinge belebt. Doch egal, wie wir sie nennen, belebte Gegenstände fordern uns als Lesende zum Gedankenexperiment heraus. Sie fragen, wie viel Perspektiverweiterung, wie viel Empathie – mit einem Ei? mit einem im 15. Jahrhundert von der Küste des heutigen Ghana geraubten Perlenarmband? – eigentlich noch vorstellbar ist.

Spielerische Kritik

Der Text entlarvt einerseits den Muff deutscher Gewohnheiten und deutscher Geschichte. Andererseits konfrontiert Otoo beide mit der Perspektive einer schwarzen, engagierten Autorin. Bei ihr wird jedermann zu „jedermensch“ oder ein weißer „cis Mann“ als solcher markiert, auch wenn er selbst sich als „normalen Deutschen“ bezeichnen würde.

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In ihrer Eröffnungsrede zum Bachmann-Wettbewerb von 2020 „Dürfen Schwarze Blumen malen?“ appelliert Otoo an die Wandelbarkeit der deutschen Sprache, um etwa Eigenschreibweisen marginalisierter Gruppen anzunehmen.
Und sie versieht ihre Gesellschaftskritik mit der charakteristischen Prise Humor, etwa wenn sie „dürfen“ als deutschestes aller deutschen Verben entlarvt: „Selbstverständlich dürfen wir den Kontext vernachlässigen. Die interessantere Frage ist aber, warum wir das tun.“

Hierarchiefreie Vergleiche

Sharon Dodua Otoos radikalstes Stilmittel ist der Vergleich, das direkte Gegenüberstellen von Sachverhalten oder sprachlichen Bildern, die zumindest eine Gemeinsamkeit haben. Im dritten, im Band erstveröffentlichten Text „Härtere Tage“ tritt Otoo in Dialog mit Ingeborg Bachmann.
Beide sind schließlich als Ausländerinnen schon aufgefordert worden, Deutschland zu verlassen. Bachmann, die Österreicherin, nachdem sie es 1958 gewagt hatte, einen Aufruf gegen die Atombewaffnung der deutschen Bundeswehr zu unterschreiben.
Otoo stellt sich vor, ihre Eltern – unabhängig voneinander Mitte der 1960er-Jahre von Ghana nach Großbritannien gezogen – wären damals angereist zum Literaturwettbewerb nach Klagenfurt.
Lächelnd stünden sie, mit kritischem Blick und doch ein wenig verloren inmitten des Publikums, dessen Sprache sie nicht verstünden. „Könntest du überhaupt einen Text schreiben, der ihnen – und dir – gefallen würde?“ Eine Frage, die sich sicher auch Ingeborg Bachmann hätte stellen können.
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