Was sie denkt, wenn sie höflich lächelt
Mit ihrer Geschichte "Herr Gröttrup setzt sich hin" gewann Sharon Dodua Otoo 2016 den Bachmann-Preis. Dabei hatte die Britin und Tochter ghanaischer Eltern zum ersten Mal einen Text auf Deutsch verfasst.
Ihre Kindheit hat Sharon Dodua Otoo vorwiegend in London verbracht. Ihre aus Ghana eingewanderten Eltern hätten dabei eine sehr klare Vorstellung davon gehabt, wie sie und ihre Geschwister dort nun aufwachsen sollten, erzählt sie "Im Gespräch".
"Sie waren auch sehr klar in ihren, sage ich mal, Gender-Bildern. Mein Schwester hatte viel im Haushalt zu tun, mein Bruder durfte rausgehen und mit seinen Kumpels abhängen. Ich durfte gar keine Freunde haben. Ich sollte mich auf die Schule konzentrieren. Das war sehr streng, aber rückwirkend kann ich das sehr gut verstehen. Sie wollten natürlich wie viele Eltern ihr Bestes versuchen mit den Mitteln, die sie haben und sie haben sich für die Schiene entschieden akademische Excellence und dann guter Job und auf jeden Fall selbständig sein."
Eine Novelle in der Elternzeit
In Berlin hatte sie sich vor allem als politische Aktivistin in antirassistischen Projekten engagiert. Während einer Elternzeit verfasste die vierfache Mutter ihre erste Novelle.
"Ein Ziel, das ich hatte, war, Literatur zu schreiben aus der Perspektive einer schwarzen Frau, einer schwarzen Mutter, weil ich finde, es gibt so wenig darüber in der deutschen Literatur oder in der britischen Literatur, wo es mit Leichtigkeit, mit Humor, mit Irritation arbeitet und diesen Tiefgang trotzdem auch hat."
Ihre erste Erzählung erschien auf Englisch und Deutsch im Verlag edition assemblage unter dem Titel "die dinge, die ich denke während ich höflich lächle".
"Manchmal also finde ich, erleben wir alle Situationen - sei es auf der Arbeit oder in Amtssituationen -, wo wir das Gefühl haben, wir wären gerne viel ehrlicher und würden etwas sagen, aber wir haben das abgewägt und sagen: 'Okay, heute sage ich mal nichts.'"
Die mit dem Bachmannpreis ausgezeichnete Geschichte "Herr Göttruo setzt sich hin" sollte ursprünglich ein wissenschaftlicher Text werden. Sie habe dann aber fest gestellt, dass zu Rassismus schon genug gutes geschrieben worden sei.
Privilegierung als Prozess
"Und deswegen habe ich gedacht: Ich versuche das mal belletristisch umzusetzen, was macht das Weiß-sein mit einer Person. Ich versuche zu beschreiben, dass Privilegierung ein Prozess ist und es macht mit einem, dass man sich so sicher fühlt und durch den Alltag geht und denkt: 'Alles ist normal, alles ist gut.' Wenn ich mich so verhalte, dann wird die Welt auch so reagieren entsprechend. Wir merken in dem Text, dass die weibliche Person schon eine Ahnung hat, dass manchmal die Welt nicht so eins zu eins zu lesen ist. In meinem Kopf habe ich so die Sexismus-Erfahrung damit verbunden, dass viele Frauen wissen, wie das ist."
Inzwischen kann sich Sharon Dodua Otoo ganz dem Schreiben widmen und aus der preisgekrönten Geschichte von Herrn Gröttrup wird ein Roman. Ihr Engagement gegen Rassismus hat sie dabei nicht aufgegeben.
"Es hat sich so entwickelt, dass mein Aktivismus jetzt sehr eng verknüpft ist mit Kunst. Zum einen durch mein eigenes Schreiben. Also ich sehe auch meine Literatur als eine Art Intervention, in der deutschen Literaturlandschaft zu sagen: 'Es gibt sehr viel mehr als wir bisher wahr genommen haben. Ich versuche auch meinen Zugang zu Verlagshäusern zu teilen mit anderen Menschen, die sich das vielleicht wünschen, aber diesen Zugang nicht so schnell finden. Deswegen habe ich eine Buchreihe, die heißt 'Witnessed' - das heißt so was wie Zeugenschaft. Neulich haben wir z.B. ein Theaterstück im 'English Theatre Berlin' aufgeführt. Das ist eines von diesen Büchern "The Most Unsatisfied Town", das in der "Witnessed"- Reihe erschienen ist."