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"Das Wort 'Rasse' muss gestrichen werden"
09:30 Minuten
Vor vier Jahren gewann Sharon Dodua Otoo selbst den Ingeborg-Bachmann-Preis, nun hält sie die Eröffnungsrede. Sie beschäftigt sich mit antirassistischer Sprache und plädiert dafür, das Deutsche Grundgesetz umzuschreiben.
Dieter Kassel: Die "Tage der deutschsprachigen Literatur" in Klagenfurt beginnen. Die ganze Veranstaltung findet diesmal aber im Wesentlichen virtuell statt. Das war vor vier Jahren natürlich anders. Damals gewann Sharon Dodua Otoo den Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Live vor Ort las sie vor Publikum. Das geht wegen der Corona-Epidemie nun nicht. Am Abend wird ihre Rede per Video die "Tage der deutschsprachigen Literatur" eröffnen. Wir werden über die Rede noch nichts verraten, sondern über das reden, was Sharon Otoo eigentlich ihr ganzes Leben lang schon beschäftigt hat: Sprache und das, was sie verhindern, aber auch das, was sie anrichten kann.
Ich hätte Sie am liebsten als in Berlin lebende Schwarze britische Schriftstellerin angekündigt, und ich weiß, dass Sie das auch nicht gestört hätte. Der Grund, warum ich mich das nicht getraut habe, ist, dass ich noch keinen Weg gefunden hab, das Wort Schwarz so auszusprechen, dass man das große S hört. Aber ich weiß, es ist Ihnen wichtig: Deutsch das große S, englisch Black, das große B. Warum?
Otoo: Das ist eine schöne Frage. Das hört man beim Aussprechen nicht, deswegen sagen wir das einfach so – Black and proud oder so. Es ist wichtig für mich zu betonen, wenn ich das Wort Black oder Schwarz verwende, dass es nicht um eine Beschreibung der Hautfarbe geht. Es gibt keine Hautfarbe, die tatsächlich schwarz ist in dem Sinne, und Schwarz bezeichnet Menschen mit sehr vielen Hautschattierungen. Manche werden sogar sogenannt weiß gelesen, also können passen als weiß, und manche sind wie ich dark skinned.
Schwarz verstehe ich als ein Verb vielleicht. Die Erfahrung, die man macht, wenn man in einer überwiegend weißen Gesellschaft lebt, wie das ständige Praxis ist, kulturelles Wissen, also Sachen, die wir als Kollektiverfahrung machen, das verstehe ich unter Schwarz. Ich möchte anregen, dass alle darüber nachdenken, denn bei Diskriminierung geht es nicht faktisch um das, was die Person ist. Ich werde nicht diskriminiert, weil ich so aussehe, sondern weil jemand sich etwas in den Kopf gesetzt hat und das etwas mit mir verbindet, was mit mir gar nichts zu tun hat.
Der Begriff "Rasse" ist hochgefährlich
Kassel: Nach der Ermordung von George Floyd wird viel demonstriert, diskutiert und auch nachgedacht. Glauben Sie, dass die Debatten, die wir gerade über Rassismus erleben, auch und gerade in Deutschland Einfluss auf Sprache haben werden? Dass Menschen sich vielleicht im Moment mehr bewusst machen, welche Begriffe sie benutzen?
Otoo: Ich freue mich sehr, dass diese Debatten zwar aus diesem sehr tragischen Anlass losgetreten wurden. Ich merke, dass viel mehr Menschen verunsichert sind – was die richtigen Begriffe sind und welches Wissen ich bisher mir noch angeeignet habe. Das ist Teil unseres Kanons: Was ist Deutschland, wer sind wir als deutsche Menschen oder in Deutschland lebende Menschen? Es ist wichtig, dass wir uns dann entsprechend mit Begrifflichkeiten auseinandersetzen. Das führt zu Verunsicherung, wie Sie am Anfang gesagt haben: Schwarz, wie spreche ich das aus? Wir klären das nur, wenn wir ins Gespräch miteinander kommen, wenn ich sage, ja, so und so sehe ich das, dieses Buch empfehle ich und so weiter.
Kassel: Wie ist es eigentlich mit dem Begriff "Rasse"? Es wird ja bei uns darüber diskutiert. Dieses Wort steht im Grundgesetz, in Artikel 3, und das ist insofern ein besonderes Paradoxon, weil gerade dieser Artikel 3 sozusagen der Antidiskriminierungsartikel in unserem Grundgesetz ist. Es ist nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden, nach der Nazi-Zeit. Gerade um Rassismus zu verhindern, steht da Rasse drin. Heute sagen viele, dieses Wort ist hochgefährlich, auch im Grundgesetz. Muss es gestrichen werden?
Otoo: Hochgefährlich - Rasse verhält sich wie das Wort Schwarz, wenn man denkt, dass es eine Tatsache ist. Es gibt keine Menschenrasse, das wissen wir inzwischen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Wenn wir das Wort einfach so verwenden, dann setzt sich in unseren Köpfen fest, dass ein Mensch wirklich etwas anderes ist, als er tatsächlich ist. Deswegen gibt es inzwischen viele Aktivistinnen und Aktivisten und Politikerinnen und Politiker, wie zum Beispiel Aminata Touré, die neulich eindrücklich davon gesprochen hat. Die sagen, das Wort "Rasse" muss gestrichen werden, aber wir müssen trotzdem in der Lage sein, über Rassismus und Diskriminierung zu reden. Es werden verschiedene Vorschläge gemacht, wie man damit umgehen kann. In aktivistischen Kreisen reden wir von Rassifizierung, also dem Prozess, dass eine Person zu einer anderen gemacht wird. Das wäre eine Möglichkeit.
Mehr auf Täterinnen und Täter schauen als auf Merkmale von Opfern
Kassel: Wir sind beide keine Juristen und ich begreife es auch nicht ganz, aber mir haben Juristen erklärt, würde man im Grundgesetz das Wort 'Rasse' ersatzlos streichen, könnte es sogar ein Problem bei der Verfolgung von Hassverbrechen geben, weil es dann wirklich schwierig wäre zu definieren. Bei Hassverbrechen gegen Homosexuelle und viele andere wäre es nicht schwierig, das zu definieren, aber bei gewissen Formen der Hassverbrechen. Das heißt, so etwas wie Rassifizierung, wie Sie gerade gesagt haben, wäre ein möglicher Ersatz. Wir bräuchten eigentlich ein Ersatzwort.
Otoo: Genau. Es gibt zum Beispiel Hassverbrechen, ich glaube, das ist festgesetzt, man darf nicht wegen Religion diskriminieren, und es gibt viele Menschen, die werden diskriminiert aufgrund von deren vermeintlichem Muslimisch-sein. Die müssen nicht mal wirklich muslimisch sein, die müssen nur als Muslim wahrgenommen werden. So funktioniert Diskriminierung. Es ist wichtig, dass wir auf die Täterinnen und Täter schauen, finde ich, und nicht so sehr auf die Merkmale von Opfern.
Kassel: Ich finde es besonders spannend, mit Ihnen darüber zu reden, wie auch die Unterschiede zwischen Sprachen sind. Sie leben schon eine Weile in Berlin, sprechen sehr gut Deutsch, schreiben auf Deutsch, aber Sie kommen aus London. Ihre Muttersprache ist Englisch, und ich frage mich, ist man eigentlich in der englischsprachigen Welt weiter, was eine nicht rassistische Sprache, eine antirassistische Sprache angeht? Oder bilde ich mir das als Deutscher, für den Englisch eine Fremdsprache ist, nur ein?
Otoo: Dieser Diskurs um Rassismus wird auf einem anderen Niveau geführt. Ich kann nicht wirklich behaupten – obwohl ich das gerne möchte –, dass England weiter ist, weil wir sehen, dass es noch immer Rassismus, institutionellen Rassismus und strukturellen Rassismus in Großbritannien und den USA gibt. Es kann sein, dass die Menschen, wenn sie von "race" sprechen, also irgendwie der Übersetzung von "Rasse", dann tatsächlich Sozialisierung und Politisierung meinen. Trotzdem haben wir diese Probleme.
Meine Erfahrung ist, dass Menschen im englischsprachigen Raum um schwierige Begriffe wissen, und vielleicht würden sie das N-Wort nicht aussprechen, solche Sachen. Aber trotzdem haben wir Probleme und die müssen wir angehen. Es ist nicht linear zu betrachten, sondern kreisförmig: Wir haben Probleme und wir müssen miteinander reden, um sie zu lösen.
Bewusst machen, was wir mit Worten auslösen
Kassel: Sie sind Schriftstellerin und halten die Eröffnungsrede in Klagenfurt. Ihr Text "Herr Gröttrup setzt sich hin" - mit diesem Ausschnitt haben Sie vor vier Jahren gewonnen - ist gerade im deutschsprachigen Original und in englischer Übersetzung erschienen. Das heißt, Sie sind – und das ist mir an der Stelle wichtig – ja auch Künstlerin. Das ist man als Autorin - und die Kunst ist frei, die Literatur ist frei. Aber Sie sagen ja selber, wir haben alle als Schriftstellerinnen eine Aufgabe, nämlich die, unsere Worte auch so zu wählen, dass sie niemanden verletzen. Ist das nicht manchmal ein Widerspruch: Freiheit und diese Aufmerksamkeit?
Otoo: Ich würde nicht sagen, wir sollen niemanden verletzen. Ich würde sagen, wir sollen uns bewusst sein, was wir mit unseren Worten auslösen. Tatsächlich ist es für mich so: Ich bin nur wirklich frei in meiner Kunst, wenn ich mir wirklich im Klaren bin, was ich mit meiner Kunst auslöse und was ich damit mache. Wenn ich einfach irgendwas mache und bestimmte rassistische Bilder immer wieder vorkaue, dann ist meine Kunst nicht wirklich frei. Sie ist verhaftet in alten Mustern, die überholt sind, und ich möchte eigentlich etwas Progressiveres machen und viel mehr Menschen erreichen, als sich vielleicht bisher abgeholt fühlen von dem deutschsprachigen Literaturbetrieb.
Kassel: Ihrer Klagenfurter Rede haben Sie den Titel "Können Schwarze Blumen malen?" gegeben. Ich hab keine Ahnung, was Sie damit meinen und das wird für uns alle auch noch viele Stunden so bleiben, bis wir es am Abend erfahren.
Die Eröffnungsrede von Sharon Dodua Otoo können Sie am Abend ab 23 Uhr im Deutschlandfunk Kultur "Fazit" hören oder ab 19 Uhr im ORF-Livestream verfolgen.