Shekib Mosadeqs Initiative "Kunst gegen Taliban"

Exil-Popstar unterstützt mit Musik den Widerstand in Afghanistan

05:55 Minuten
Shekib Mosadeq trägt auf dem Foto eine Sonnenbrille. Er hat einen Rauschebart und dunkle Haare.
Während der ersten Taliban-Herrschaft bekam Shekib Mosadeq von seiner Mutter ein Keyboard geschenkt. Nun sucht der Musiker Frauenstimmen für "Kunst gegen Taliban". © Bild: © Saied Afshal
Von Goetz Steeger |
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Der afghanische Sänger Shekib Mosadeq lebt seit Jahren in Deutschland. In seiner Heimat ist er ein ebenso gefeierter wie kontroverser Superstar. Er hat einen Plan, um den Widerstand gegen die alten, neuen Herrscher in Afghanistan zu unterstützen.
Das Entsetzen angesichts der Lage in Afghanistan ist gerade mal ein paar Wochen her, und die Bilder sind uns noch gegenwärtig: Wie das Chaos auf dem Flughafen in Kabul ausbrach, als viele Menschen verzweifelt darauf warteten, rechtzeitig außer Landes gebracht zu werden.

Klagen über die "kopflose Heimat"

Wie es für in Deutschland lebende Afghaninnen und Afghanen sein muss, aus der Ferne wahrzunehmen, was den Angehörigen oder Freunden in der Heimat gerade widerfährt, lässt sich nur schwer vorstellen. Der afghanische Musiker Shekib Mosadeq lebt seit Jahren in Deutschland. Als Mensch, der sich offen gegen Fundamentalismus, Frauenfeindlichkeit und Repression geäußert hatte, musste er Afghanistan 2011 verlassen.

"Deinen Kopf haben die Taliban abgetrennt,
Wohin soll ich jetzt mit meinen Klagen
in dieser kopflosen Heimat,
die nur mein Blut will"

Das sind harte Worte für einen Popsong, für Shekib Mosadeq sind sie ein geeignetes Mittel, die Realität nicht nur drastisch zu beschreiben, sondern sie auch verändern zu wollen.

In Afghanistan eine Art Megastar

Und man hört ihm zu: Auf Youtube haben manche seiner Lieder über 500.000 Klicks. Es sind Lieder, die den Menschen aus der Seele sprechen. Der nachdenklich wirkende Sänger, in Afghanistan seit langem eine Art Megastar, sitzt in seinem kleinen Studio und erzählt von seinem Vorhaben, mit Musik gegen die Taliban-Herrschaft vorzugehen:
"In meinen Social Media – Facebook und Instagram – habe ich 100.000 Follower. Die hören mich, die akzeptieren mich, und das ist eine große Chance, die ich als Möglichkeit nutzen kann."
Er kenne viele Stimmen in Afghanistan, sagt Mosadeq, "tolle und wunderbare Stimmen - aber die brauchen Hilfe, denn Musik ist verboten!" Die scheinbar aufgelockerte Taliban-Agenda mit Berufs- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen sei nur ein Farce, sagt der Musiker. Kunst und Kultur seien dabei, abgeschafft zu werden.
"Meine Idee ist: Ich finde diese Stimmen in Afghanistan, besonders Frauenstimmen, ich schreibe ein Lied und schicke die Musik nach Kabul. Ich kenne ein paar Untergrundstudios in Kabul, oder man nimmt das einfach mit einem Handy auf und dann schickt man es uns", erklärt Mosadeq.

"Jede Woche ein Lied gegen die Taliban"

"Jede Woche ein Lied gegen die Taliban, gegen Fundamentalismus, und dann veröffentliche ich das für meine Follower, 100.000 Menschen, und sage: Bitte verbreiten, wie einen Virus! Und dann geht das an Musiker in der ganzen Welt: Komm, wir singen zusammen! – Denn unsere Nachricht ist Liebe, unsere Nachricht ist Frieden, unsere Nachricht ist zusammen zu leben, aber die Nachricht der Fundamentalisten ist nur Hass und Terror!"
"Kunst gegen Taliban" nennt Shekib Mosadeq seine Initiative, von der er sich eine weltweite Resonanz erhofft. Schon jetzt schicken ihm zum Beispiel organisierte Frauen Clips von ihren Aktionen, zu denen er Musik macht. Die Ergebnisse stellt er ins Netz, um andere zu ermutigen, Ähnliches zu tun.
Shekib Mosadeq stammt aus Herat im Westen Afghanistans. Als die Taliban vor über zwanzig Jahren schon einmal an der Macht waren, war er ein kleiner Junge. Auch da war Musik verboten, dennoch war er, dank des Einflusses seiner Mutter, versessen auf Musik.

Kritische Texte seit 2006

Unter größter Gefahr habe sie ihm auch das erste Instrument verschafft, sagt Mosadeq: "Sie hat ein kleines Casio-Keyboard gefunden. Unter der Burka hat sie es durch den Taliban-Checkpoint nach Hause mitgebracht." Es gab ja kein Frauenpersonal beim Checkpoint der Taliban, so wurde sie nicht näher kontrolliert und kam damit durch.
Shekib spielte sich die Finger wund, und eine Woche nach dem Regimewechsel 2001, als es wieder Musik im einzigen Radiosender gab, ging er dorthin und performte live. Etwas später zog er nach Kabul, dem einzigen Ort mit ein bisschen Perspektive für Musiker, hatte dort eine eigene Band und wurde bekannt, auch wegen seiner Haltung:
"Ich habe 2006 angefangen mit kritischen Liedern – gegen Krieg, gegen die Taliban, gegen die US- und Nato-Bombardierung, alle Probleme in Afghanistan."

Flucht über Iran, Türkei und Griechenland

Shekib Mosadeq brachte die unterschiedlichsten Gruppierungen gegen sich auf. Konzerte wurden verboten, es gab Morddrohungen, auch an seine Frau und seine kleine Tochter. Die junge Familie trat die Flucht an, drei Monate lang über Berge und Meer – Iran, Türkei, Griechenland und schließlich Deutschland.
Und dann neu anfangen in der Fremde: "Ich habe vier, fünf Jahre versucht, in Deutschland als Musiker zu arbeiten", erzählt Mosadeq. "Ich habe im Restaurant und auf der Straße gesungen, ich habe auf dem Bahnhof geschlafen."
Mit der Zeit ergaben sich Perspektiven. Er lernte Konstantin Wecker kennen, dessen Label "Sturm und Klang" zwei Alben von ihm veröffentlichte.

Boykott einer Show zu Ehren des Militärs

2019 lud ihn der afghanische Sender Tolo TV als Jury-Mitglied in die dortige Talentshow à la "Deutschland sucht den Superstar" ein. Ein Podium, das er nutzte, um zum Beispiel Sexismus anzuprangern. Bei einer Show zu Ehren des Militärs, das auch anwesend war, lehnte er die Teilnahme ab und verließ seinen Platz.
Wieder gab es Morddrohungen, er musste schnellstens zurück nach Deutschland.
Zurzeit ist Shekib Mosadeq unermüdlich aktiv, reist von Kundgebung zu Kundgebung, um auf die Katastrophe in Afghanistan aufmerksam zu machen. Die Verzweiflung darüber hält er nicht zurück, ebenso wenig aber auch den Elan für seine Idee, mit Musik dagegen vorzugehen.
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