Shida Bazyar: "Drei Kameradinnen"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021
350 Seiten, 22 Euro
Wie man sich fühlt, wenn man täglich infrage gestellt wird
05:28 Minuten
Wenn Identitätspolitik zum Romanstoff wird, ist es mit ihrer Eindeutigkeit nicht mehr allzu weit her. Die Fiktion bringt Ambivalenzen mit sich. In ihrem zweiten Roman "Drei Kameradinnen" spielt Shida Bazyar gekonnt mit dieser Ungewissheit.
Im Mittelpunkt von Shida Bazyars neuem Roman steht ein Trio - drei Freundinnen in einer deutschen Großstadt, vermutlich Berlin. Als junge Frauen mit dunkler Haar- und Hautfarbe, deren Eltern aus ungenannt bleibenden Ländern einwanderten, teilen sie zwei oder drei "Diskriminierungskategorien".
Saya, die wütende Kämpferin gegen jedes Anzeichen von Rassismus, unterrichtet Jugendliche in Workshops im Umgang mit Vorurteilen. Die anpassungsbereite Hani setzt sich schlecht bezahlt, jedoch eifrig in einer Agentur für das Tierwohl ein, und Kasih ist privat wie beruflich ohne Anschluss: Lukas hat sich von ihr getrennt, Arbeit findet die Soziologin nicht.
Drei junge Frauen knapp unter 30 kämpfen um einen Platz in der Gesellschaft. Doch sie werden täglich in Frage gestellt. Saya, Hani und Kasih erzählen einander von Blicken, Sprüchen und Geschehnissen, um diese bewerten zu können: War dies oder jenes Diskriminierung oder Zufall? Soll man "sich ärgern oder einfach nur wundern"?
Hani plädiert fürs Wundern, einer "heulenden" Minderheit will sie nicht angehören. Saya ist meist wütend, und Kasih versteht sie, sehnt sich aber nach Normalität. Bei reichlich Alkohol wird zwischen Arbeitsamt, Kneipe, Party, WG und Hochzeitsfeier hart um Einschätzungen gerungen.
Ein Mehrfamilienhaus brennt
Shida Bazyar, Jahrgang 1988 und bereits mit dem Roman "Nachts ist es leise in Teheran" aufgefallen, hat einen Bewusstseinsroman mit exemplarischen Haltungen verfasst. Die Leser aus der weißen "Dominanzgesellschaft" ohne Diskriminierungserfahrungen spricht die Erzählerin Kasih desöfteren herablassend an: Ich erkläre Euch jetzt mal, was hier abgeht.
Kasih schreibt das Geschehen weniger Tage auf: Saya besucht sie, um mit ihr und Hani die Hochzeit einer vierten Freundin zu feiern; im Flugzeug saß sie neben einem Neonazi. Dann wird eine an den NSU-Prozess erinnernde Gerichtsverhandlung gegen rechte Terroristen eröffnet, und schließlich geht das Mehrfamilienhaus, in dem der Neonazi aus dem Flugzeug wohnt, in Flammen auf.
Viele Menschen sterben, Saya wird als Attentäterin inhaftiert – nein, korrigiert sich Kasih, es sei ja absurd, dass "Ausländer" die Häuser von Nazis in Brand setzen. Also lässt die Erzählerin das Buch am Tag vor dem Brand enden: Noch ist alles … bekannt problematisch, nicht katastrophisch.
Argumentative Volten
Wer erzählt, herrscht, auch über die Zeit. Auch in der identitätspolitischen Welt ist alles abhängig vom Urteil der Betroffenen. Fix scheint nur das Weißsein. Der Weiße hat schon verloren, auch als Flüchtlingshelfer ist er nur ein "liebevoller Rassist" und jedes weitere Wort unnötig. Suchen Weiße das Gespräch, löst das Unverständnis aus: Wollen die sich etwa für ihr Weißsein entschuldigen?
Weißen Frauen wird allerdings zugestanden, ebenso verletzt sein zu dürfen wie nichtweiße. Kasih fällt spät ein, dass sie an die Gefühle einer Weißen nicht gedacht und damit gegen die eigenen Überzeugungen verstoßen hat. Solche argumentativen Volten, die die Essentialisierung der Hautfarbe zugleich mit der Kritik an ihr vorführen, sind der nicht unbeträchtliche Reiz dieses geschickt erzählten Romans.