„In diesem Video sieht man auch, wie diese iranische Frau an der Schwelle zur amerikanischen Kultur steht. Dann sieht sie plötzlich die Wüste im Iran und ihre Mutter rennt auf sie zu. Aber als sie einander nahekommen, verwandelt sich ihre Mutter in ein Monster und stößt sie weg. Ich habe den Traum so interpretiert: Nicht meine Mutter hat mich weggestoßen, sondern mein Mutterland Iran.“
Shirin Neshat in München
Manuel Martinez aus der Serie "Land of Dreams", 2019. © Shirin Neshat (Courtesy the artist, Gladstone Gallery, New York and Brussels, and Goodman Gallery, London and Capetown)
Von sehr politischen Albträumen
05:57 Minuten
Während der Präsidentschaft von Donald Trump ließ sich Shirin Neshat die Albträume der Menschen in den USA erzählen. Daraus entstanden eine 111-teilige Porträtserie und eine Videoinstallation, die in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen sind.
Wenn Shirin Neshat von ihrer Heimat Iran erzählt, dann erzählt sie mithilfe von Fotoporträts. Wütende Gesichter – verängstigt, zerfurcht von Trauer blicken sie in den Raum, dicht an dicht gehängt. Teils sind die Fotografien detailliert mit Tusche bemalt – auf Körperteilen sind Drachen zu sehen, Ritter, die blutig miteinander kämpfen.
Es sind Zeichnungen aus dem „Buch der Könige“, einer Sammlung persischer Sagen. Shirin Neshat will damit der gescheiterten Grünen Revolution im Iran ein Denkmal setzen, wie sie sagt:
„Wir haben viel Protest im Iran“, sagt sie. „Es endet immer damit, dass sie anfangen, junge Menschen zu töten. Das ‚Buch der Könige’, das Sie in der Mitte des Raumes sehen können, ist Teil der iranischen Geschichte. Es stammt aus dem zehnten Jahrhundert, also noch aus der Zeit vor der Islamisierung. Es ist ein großes Gedicht, das Heldentum, Patriotismus, Selbstaufopferung besingt. Menschen wurden getötet für die Idee des Nationalismus.“
Es sind Zeichnungen aus dem „Buch der Könige“, einer Sammlung persischer Sagen. Shirin Neshat will damit der gescheiterten Grünen Revolution im Iran ein Denkmal setzen, wie sie sagt:
„Wir haben viel Protest im Iran“, sagt sie. „Es endet immer damit, dass sie anfangen, junge Menschen zu töten. Das ‚Buch der Könige’, das Sie in der Mitte des Raumes sehen können, ist Teil der iranischen Geschichte. Es stammt aus dem zehnten Jahrhundert, also noch aus der Zeit vor der Islamisierung. Es ist ein großes Gedicht, das Heldentum, Patriotismus, Selbstaufopferung besingt. Menschen wurden getötet für die Idee des Nationalismus.“
Revolutionäre Kombination
Shirin Neshat, Jahrgang 1957, ist klein und drahtig. Quirlig und charmant führt sie durch ihre Ausstellung. Und doch trägt sie Schwarz – schwarz wie hier alles zu sein scheint. Schwarze Augen, schwarz-weiße Filme, schwarze Bilderrahmen. Nach zwei Stunden in der Ausstellung hat man die ganzen Bilder mit einem imaginären Trauerflor im Kopf. All diese ernsten aufrichtigen Porträtblicke, die sich einem einprägen und die dennoch nur die erste Ebene ihres Werkes sind.
Denn zusätzlich zu den Tuschezeichnungen ganz fein auf den Fotodrucken hat Shirin Neshat wie eine Maserung der Haut aus Henna moderne iranische Lyrik aufgetragen. Man muss nah rangehen, um diese zarten, kunstvollen Schriften zu sehen. Auch wer sie nicht lesen kann, fühlt, was für eine revolutionäre Kombination Neshat hier entwickelt hat: die westliche Gattung des Fotoporträts und die Schriftkunst des Mittleren Ostens. Eine Künstlerin, die beide Welten miteinander vereint und doch immer wieder neu ihre Position zwischen den Polen ausloten muss.
Auch Träumen ist politisch
Das sieht man im Kurzfilm „Rojah“ von 2016. Eine Frau sitzt in einer Theatervorstellung einem amerikanischen Sänger gegenüber und ist von seinem Gesang gerührt, bis dieser sie jäh auffordert, ihre Lügen zu gestehen. Sind es die Lügen einer Ausgewanderten, die ihre Vergangenheit verleugnet?
Gut möglich bei Shirin Neshat, die sich nach so vielen Jahren im amerikanischen Exil immer noch so stark der Kultur des Iran verbunden fühlt. Fakt ist: Der Film schildert einen Albtraum. Shirin Neshat hat ihn selbst geträumt. Sie erzählt:
Gut möglich bei Shirin Neshat, die sich nach so vielen Jahren im amerikanischen Exil immer noch so stark der Kultur des Iran verbunden fühlt. Fakt ist: Der Film schildert einen Albtraum. Shirin Neshat hat ihn selbst geträumt. Sie erzählt:
Träume sind für Shirin Neshat, wie alles bei ihr, eine politische Angelegenheit. Sie sagt:
„Tagsüber schützen wir uns vor Dingen, die wir nicht zeigen wollen, wir verstecken sie. Aber wenn wir schlafen, sind wir wahrhaft nackt und frei. Und alle unsere Ängste besuchen uns dann.“
Was träumt man in den USA?
„Land of Dreams“, so heißt Shirin Neshats neueste Arbeit, bestehend aus einer Porträtserie und einer Zweikanal-Videoinstallation. Der Titel ist ein Wortspiel, das die ambivalente Haltung gegenüber ihrer Wahlheimat USA in sich trägt:
„Land der Träume – Amerika ist ja dieser Ort, der Einwanderer willkommen heißt. Es ist wirklich dieses Land, dessen Identität sich aus der Diversität seiner Einwohner speist. Diese Idee über eine ethnische Reinheit Amerikas, die seit einigen Jahren diskutiert wird, steht konträr zu dem, wie wir Amerika kennen.“
Während der Trump-Jahre ließ sich Shirin Neshat die Albträume der Menschen in den USA erzählen: Hispanics, Schwarze, Native Americans, Weiße. Von ihnen hängen 111 Porträts in einem Raum – wieder mit dieser kalligrafischen Maserung, wieder alles in Schwarz-Weiß.
Besonders gelungen ist ihre neueste Videoarbeit
Doch die eigentliche Pointe von „Land of Dreams“ ist die Zweikanal-Videoinstallation, die nebenan zu sehen ist: Hier reist eine fiktive Iranerin durch amerikanische Westernlandschaften und porträtiert die Menschen in ihren Häusern, wie sie von ihren Albträumen erzählen. Als Spionin für ein dystopisches iranisches Regime. Bald eckt sie an bei den Aufsehern, weil sie sich zu sehr für die Menschen interessiert, denen sie die Träume abluchst.
Die Frau im Film ist auch hier Shirin Neshats Alter Ego – und der Film eine elegante Metapher dafür, wie sehr die Künstlerin in Amerika angekommen ist:
„Je mehr sie im Auftrag dieser iranischen Kolonie und ihrem Unbewusstsein amerikanische Albträume kennenlernt“, sagt Shirin Neshat, „desto näher kommt sie diesen Menschen, fühlt, identifiziert sich mit ihnen. In diesem Moment beginne ich, mich mit Amerika zu verbinden, weil ich sehe: Ich bin einer dieser Menschen“.