Wie das Undarstellbare darstellen?
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In Berlin zeigt eine Filmreihe 50 Filme zum Holocaust. Lange wurde die Vernichtung der europäischen Juden im Film nur als Nebenaspekt thematisiert, sagt Kuratorin Cathy Gelbin. Das habe sich erst in den siebziger Jahren geändert.
Wie das Unsagbare sagen, das nicht Darstellbare darstellen? Seit 75 Jahren gibt es Filme, die versuchen, die systematische Vernichtung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten im Film darzustellen. Die Shoah-Filmtage in Berlin zeigen jetzt einen Querschnitt durch diese Werke – vom Neun-Stunden-Epos "Shoah" von Claude Lanzmann über große Hollywood-Produktionen wie Steven Spielbergs "Schindlers Liste" bis hin zu schmerzhaften persönlichen Auseinandersetzungen mit der eigenen Familiengeschichte wie Malte Ludins Dokumentation "2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß".
Ein Plakat, das Fragen aufwirft
Schon das Plakat zu den Filmtagen haut einem die Füße weg: Zu sehen ist das nachkolorierte Foto eines kahl geschorenen Mädchens in Anstaltskleidung, bleich, abgemagert, mit eingerissenen Lippen. Ihr Blick erzählt von unfassbarer Angst.
Filmwissenschaftlerin Cathy Gelbin hat die Shoah-Filmtage kuratiert. Sie erläutert die Hintergründe zu dem Plakat: Das Bild zeige ein Mädchen aus dem KZ Auschwitz, es stamme aus der Häftlingsdatei und sei von einer Künstlerin nachkoloriert worden. Das Foto habe viele Diskussionen ausgelöst und es werfe Fragen auf, die sich an Filme ganz ähnlich stellen ließen.
"Ist das Mädchen dadurch zu einem Kunstobjekt geworden? Oder ist diese Kolorierung nochmal eine Form, die Vergangenheit in die Gegenwart zu holen und dadurch den Blick aufzufrischen", nennt Gelbin die Streitpunkte. Diese Crux gebe es eben auch bei Spielfilmen zur Shoah. "Aber was das Foto wahrscheinlich vor allem zeigt, ist, dass die Spielfilme das historische Ereignis und das, was den Menschen geschehen ist, eigentlich nicht darstellen können."
Randaspekt bis in die siebziger Jahre
Der erste deutsche Film, der die Shoah thematisiert hat, sei "Die Mörder sind unter uns" von 1946 gewesen, erläutert die Professorin an der Universität von Manchester. Darin komme die Ermordung von Zivilisten vor und es werde angedeutet, dass es sich bei den Opfern um Juden handelt, indem ein sechszackiger Stern auf die Erde fällt. Für die frühe Darstellung sei es typisch, dass die Ermordung der europäischen Juden, wenn sie thematisiert wird, nur am Rande der Filmhandlung auftaucht.
Bis in die späten siebziger Jahre, so Gelbin, werde die Vernichtung eher symbolisch dargestellt, etwa durch rauchende Schornsteine. Dann entstanden die US-Fernsehserie "Holocaust" und der Meilenstein "Shoah" von Claude Lanzmann, des französischen Regisseurs, der im Sommer verstorben ist. Die Werke seien sehr unterschiedlich mit der Darstellung der Ermordung umgegangen:
1978 und 1979 lief im Fernsehen "Holocaust", "wo die Kamera das erste Mal versucht, in die Gaskammern hineinzugehen und zu zeigen, was dort drin passiert. Und das auf eine sehr problematische, auf eine sehr voyeuristische Weise", sagt Gelbin.
Lanzmanns Blick auf die Gegenwart
Claude Lanzmann habe eine andere Strategie gewählt und erst gar nicht versucht, mit der Kamera nachzuvollziehen, was in der NS-Zeit geschehen war. Er habe sich auf seine Gegenwart in den achtziger Jahren fokussiert und auf Bilder, die er in dieser Gegenwart filmte.
"Er interviewt die Überlebenden, er interviewt die Mitläufer, er interviewt die Augenzeugen, und er versucht auch die Täter zu interviewen, da wo es ihm gelingt. Die Täter sind natürlich wirklich willens, über ihre Teilnahme an diesem Verbrechen zu sprechen. Aber er schafft es zum Teil trotzdem, auch Täter vor die Kamera zu bringen." Und er zeige diese Protagonisten dann eben an den Orten der Erinnerung, so wie sie in den achtziger Jahren aussehen.
"Schindlers Liste" von Steven Spielberg sei beim Erscheinen sehr kritisiert worden, als eine Sensationalisierung und auch als eine Erotisierung der Verbrechen. Die größte Bedeutung des Films, so Filmwissenschaftlerin Gelbin, sei wahrscheinlich, "dass das Publikum damals in diesen Film gegangen ist, sich diesen Film angeguckt hat und dass es noch einmal zu einer Aufklärung über die Verbrechen des Nationalsozialismus geführt hat."
Interviews mit Opfern erstmals im Kino
Bei der Filmreihe in Berlin werden auch noch nie in einem Kino gezeigte Interviews mit Holocaust-Überlebenden aus den aus den 90er Jahren und aus den 2000er-Jahren gezeigt. Es seien Aufnahmen, die normalerweise in Gedenkstätten gezeigt werden, an einem Monitor.
Gelbin sagt, Kino sei anders. "Es ist nochmal ein anderes Medien und eine andere Herangehensweise. Das Kino ist ja ein Gemeinschaftserlebnis und wenn man diese Aufnahmen in einer Gemeinschaftssituation erlebt und sich hinterher auch darüber austauschen kann, dann führt das auch noch mal zu einer anderen Emotionalität im Umgang damit, gerade dadurch, dass man es zusammen, in einer Gruppe mit anderen Menschen tut."
(mf)