Hier geht's zu unseren Rezensionen der nominierten Bücher:
Raphaela Edelbauer: "Das flüssige Land"
Klett-Cotta, 350 Seiten, 22 Euro
Miku Sophie Kühmel: "Kintsugi"
S. Fischer, 297 Seiten, 21 Euro
Tonio Schachinger: "Nicht wie ihr"
Kremayr & Scheriau, 304 Seiten, 22,90 Euro
Norbert Scheuer: "Winterbienen"
C.H.Beck, 320 Seiten, 22 Euro
Saša Stanišić: "Herkunft"
Luchterhand, 355 Seiten, 22 Euro
Jackie Thomae: "Brüder"
Hanser Berlin, 432 Seiten, 23 Euro
Ein Debütantenball in Frankfurt
06:20 Minuten
Die Auswahl der sechs Kandidaten für den Deutschen Buchpreis ist eine Überraschung: Drei Autorinnen und Autoren schafften es mit ihrem Debütroman auf die Shortlist, die Jury spricht von einem Generationenwechsel. Es könnte auch an den Themen liegen.
Was die Jury beim Deutschen Buchpreis auf die Shortlist 2019 gesetzt hat, ist eine faustdicke Überraschung: Unter den sechs nominierten Titeln finden sich drei Debüts, die von Autoren oder Autorinnen geschrieben wurden, die 1990 oder später geboren sind: Raphaela Edelbauer, Miku Sophie Kühmel und Tonio Schachinger. Das ist ein Novum beim Deutschen Buchpreis, für den bislang in der Regel ältere oder etablierte Autoren oder Autorinnen nominiert wurden – aus dieser Kategorie sind Norbert Scheuer oder Saša Stanišić dabei.
Die Jury vollzieht damit bewusst einen Generationswechsel und stellt ihn auch in einen Zusammenhang zu den Inhalten. Jury-Sprecher Jörg Magenau erklärt, ein großes Thema eine die Bücher auf der Shortlist: "In allen geht es um familiäre Zusammenhänge, um den Ort in der globalen Welt, von dem aus das eigene Dasein zu begreifen ist." Später mutmaßt er: "Vielleicht hat der Generationenwechsel, der sich mit drei Debüts im Finale andeutet, damit zu tun, dass die Jüngeren bei diesen Themen schärfer hinschauen."
Überzeugende Titel
Man darf getrost davon ausgehen, dass dieser Generationswechsel und die Shortlist noch kontrovers diskutiert werden. Erfrischend und überzeugend an den nominierten Titeln ist, dass sie durchaus schwerwiegende gesellschaftspolitische Themen verhandeln, Fragen nach der Identität, nach Rassismuserfahrungen oder nach den Auswirkungen neoliberaler Lebenszusammenhänge. Das allerdings gelingt den Romanen nahezu durchweg ohne ideologischen Furor, sondern mit Leichtigkeit und Humor.
So erzählt Raphael Edelbauer, Jahrgang 1990 in "Das flüssige Land" voller barocker Erzähllust über ein Dorf, das mehr und mehr in einem Loch zu versinken droht. Der Untergrund, auf dem gelebt wird, ist fadenscheinig – eine Metapher dafür, dass die NS-Zeit, dass die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs immer noch anwesend und nicht aufgearbeitet sind. Das holt die Nachgeborenen ein – mit Edelbauer behandelt eine junge Autorin noch mal auf sehr eigenwillige Weise ein großes Thema der österreichischen Literatur nach 1945.
Hautfarbe und Herkunft
Auf ähnliche Weise substantiell und zugleich gesellschaftspolitisch wesentlich ist das Debüt von Tonio Schachinger: "Nicht wie ihr". Schachinger lässt darin einen österreichischen Profi-Fußballer in Wiener Dialekt über seine Leidenschaft für seinen Bugatti genauso erzählen wie über den Rassismus, der seinem Protagonisten aufgrund seines bosnischen Hintergrunds immer dann entgegenschlägt, wenn er gerade einmal keine Tore für das Nationalteam schießt.
Auch ein Roman wie "Brüder" von Jackie Thomae, der von zwei Männern mit dunkler Hautfarbe erzählt, die in der DDR aufwachsen, verhandelt das Thema Rassismus – allerdings beinahe beiläufig, als ein Thema unter anderen. Gerade in dieser Beiläufigkeit manifestiert sich eine Hoffnung: Jene nämlich, dass Fragen nach Hautfarbe oder Geschlecht oder sexuelle Vorlieben Gesellschaften nicht spalten müssen.