"Interessante und bunte Stoffe"
Aus der Longlist von 20 Romanen hat die Jury heute jene sechs Titel nominiert, die ins Finale des Deutschen Buchpreises kommen. Unsere Literaturkritiker loben, dass die Jury bei den Themen der Romane über "den engeren deutschen Zusammenhang" hinausgegangen sei.
Nach der Longlist kommt die Shortlist: Aus den 20 besten Romanen der Saison, die die Jury im August vorgestellt hatte, sind nun sechs Romane ausgewählt worden, die in der Endausscheidung für den Deutschen Buchpreis miteinander konkurrieren.
Hier die nominierten Titel mit unseren Rezensionen:
Nino Haratischwili: "Die Katze und der General"
Eine junge Tschetschenin wird während des Krieges in den 90er-Jahren von russischen Militärangehörigen vergewaltigt und ermordet. Nino Haratischwili fragt: Was sind die Täter für Menschen, wie kann man mit so einer Tat leben, und kann es danach eine Form von Gerechtigkeit geben?
Eine junge Tschetschenin wird während des Krieges in den 90er-Jahren von russischen Militärangehörigen vergewaltigt und ermordet. Nino Haratischwili fragt: Was sind die Täter für Menschen, wie kann man mit so einer Tat leben, und kann es danach eine Form von Gerechtigkeit geben?
Inger-Maria Mahlke: "Archipel"
Rosa kehrt nach Teneriffa zurück. Die Ankunft in ihrer alten Heimat ist zugleich der Beginn der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte – einer Geschichte von Verwicklungen, Verbitterungen und Verletzungen aus den letzten 100 Jahren.
Rosa kehrt nach Teneriffa zurück. Die Ankunft in ihrer alten Heimat ist zugleich der Beginn der Auseinandersetzung mit ihrer Familiengeschichte – einer Geschichte von Verwicklungen, Verbitterungen und Verletzungen aus den letzten 100 Jahren.
Susanne Röckel: "Der Vogelgott"
Multiperspektivisch beschreibt Susanne Röckel die Konfrontation der Protagonisten mit dem Teufel – fleischgeworden in der Figur des Vogels. Alle jagen dem Vogel Greif nach: zuerst der Lehrer Konrad Weyde und später auch seine drei Kinder Thedor, Dora und Lorenz. Der Greif ist ein mächtiges Vogelwesen, das man nur noch aus Märchen oder anderen vormodernen Angsttexten kennt. Für die Weydes aber ist er sehr real!
Multiperspektivisch beschreibt Susanne Röckel die Konfrontation der Protagonisten mit dem Teufel – fleischgeworden in der Figur des Vogels. Alle jagen dem Vogel Greif nach: zuerst der Lehrer Konrad Weyde und später auch seine drei Kinder Thedor, Dora und Lorenz. Der Greif ist ein mächtiges Vogelwesen, das man nur noch aus Märchen oder anderen vormodernen Angsttexten kennt. Für die Weydes aber ist er sehr real!
Stephan Thome: "Gott der Barbaren"
Die Taiping-Rebellion in China Mitte des 19. Jahrhunderts kostete etwa 30 Millionen Menschen das Leben. Die Aufständischen errichteten eine theokratische Diktatur in China. Die Ereignisse schildert Stephan Thome in seinem Roman "Der Gott der Barbaren".
Die Taiping-Rebellion in China Mitte des 19. Jahrhunderts kostete etwa 30 Millionen Menschen das Leben. Die Aufständischen errichteten eine theokratische Diktatur in China. Die Ereignisse schildert Stephan Thome in seinem Roman "Der Gott der Barbaren".
María Cecilia Barbetta: "Nachtleuchten"
In "Nachtleuchten" erzählt María Cecilia Barbetta vom Leben in einer argentinischen Stadt in den 1970er-Jahren. Im Sog der Erinnerung gelingt der Autorin eine großartig geschriebene Hommage an die Gemeinde Ballester und ihre Bewohner.
In "Nachtleuchten" erzählt María Cecilia Barbetta vom Leben in einer argentinischen Stadt in den 1970er-Jahren. Im Sog der Erinnerung gelingt der Autorin eine großartig geschriebene Hommage an die Gemeinde Ballester und ihre Bewohner.
Maxim Biller: "Sechs Koffer"
Die Hauptfiguren in Maxim Billers Buch "Sechs Koffer" sind Juden, die in Russland, Deutschland oder Südamerika leben und über Verfolgung, Antisemitismus, Zusammenhalt und Betrug berichten. Eine intelligente und rührende Geschichte.
Die Hauptfiguren in Maxim Billers Buch "Sechs Koffer" sind Juden, die in Russland, Deutschland oder Südamerika leben und über Verfolgung, Antisemitismus, Zusammenhalt und Betrug berichten. Eine intelligente und rührende Geschichte.
"Literatur ist kein Hundert-Meter-Sprint"
Wer letztlich der Gewinner des Deutschen Buchpreises wird, das wird Anfang Oktober zu Beginn der Frankfurter Buchmesse bekannt gegeben.
Unsere Literatur-Experten Wiebke Porombka und Kolja Mensing können die Auswahl der Jury nachvollziehen. Mit einer Einschränkung, die aber eher grundsätzlicher Natur ist und für alle Preisverleihungen gilt:
"Natürlich sind es nicht die sechs besten Romane des Jahres", sagte Porombka im Deutschlandfunk Kultur. Weil Literatur ja "glücklicherweise kein Hundert-Meter-Sprint" sei, wo man klar sagen könne, wer als Erster, Zweiter oder Dritter ins Ziel gekommen sei.
Mensing lobte die "interessanten und bunten Stoffe", für die sich die Jury entschieden hat. Als Beispiel führte er "Nachtleuchten" von Maria Cecilia Barbetta an. Porombka sagte, auf den ersten Blick wirke die Liste sehr heterogen, eine Geschichte spiele in China, eine in Argentinien, eine auf Teneriffa, eine in Tschetschenien.
Bücher über Diktaturen und Extremismus
Dann werde aber klar, dass es eine monothematische Liste sei, "beinahe wie ein Konzeptalbum" in der Musik, denn alle Bücher erzählten von Diktaturen oder politischem Extremismus. Die Jury habe sich thematische Gedanken gemacht, betonte sie.
Es sei interessant, dass die Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem "engeren deutschen Zusammenhang" herausgegangen seien, sagte Mensing. Man wolle ja auch tatsächlich nicht immer wieder Bücher über das deutsche Bildungsbürgertum oder "Mama-Papa-Kind-Romane" lesen.
Mensing attestiert den Büchern auf der Liste zudem, die "Wahrheitsfrage" zu stellen - sich also damit zu beschäftigen, was wir über Geschichte, die eigene Familiengeschichte, die Wirklichkeit wissen können.
Ständig auf der Suche nach der Wahrheit
"Wir leben ja in einer Zeit, wo wir uns ständig diese Wahrheitsfrage stellen", sagte Mensing. Und die Literatur könne bei der Erkenntnis helfen, dass es nicht nur Wahr und Falsch gebe, sondern auch "irgendetwas dazwischen". Literatur könne uns "Empathie lehren" und ein Gegengift für den Populismus sein, ergänzte Porombka. Denn Literatur sei vieldeutig und zeige, dass Eindeutigkeit nicht so einfach sei.
Seit 2005 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels den Deutschen Buchpreis zu Beginn der Frankfurter Buchmesse: Die Siegerin oder der Sieger erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf Nominierten der Shortlist jeweils 2500 Euro.
Im vergangenen Jahr hatte Robert Menasse den Preis für seinen Roman "Die Hauptstadt" erhalten. Dieser mache "unmissverständlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können", hieß es in der Begründung der Jury. (ahe)