Der Preis der Nationalgalerie für junge Kunstschaffende ist kein Nachwuchspreis im eigentlichen Sinne. Ausgezeichnet werden junge in Deutschland tätige Künstlerinnen und Künstler unter 40 Jahren, die bereits eine gewisse Bedeutung in der Kunstwelt erlangt haben. Ein Preisgeld gibt es nicht, dafür aber eine Einzelausstellung in einem der Häuser der Berliner Nationalgalerie.
Spiegel der vielschichtigen deutschen Kunstszene
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Zum elften Mal werden im Herbst wieder junge Kunstschaffende mit dem Preis der Nationalgalerie ausgezeichnet. Jurymitglied Franciska Zólyom skizziert die vier Künstlerpersönlichkeiten, die es diesmal in die Shortlist geschafft haben.
Die Shortlist für den Preis der Nationalgalerie steht fest: Nominiert wurden Lamin Fofana, Sandra Mujinga, Sung Tieu sowie das Künstlerduo Calla Henkel und Max Pitegoff. Der Preis wird im Oktober verliehen. Franciska Zólyom, Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig und Jurymitglied, stellt die vier Nominierten vor.
Toleranz und Vielfalt durch aufmerksames Zuhören
Die Welt sei voller Klänge, sagt Zólyom zu der Nominierung des Musikproduzenten, DJs und Klangkünstlers Lamin Fofana.
"Wir hören nur vermutlich viel zu wenig zu. Eine der Arbeiten von Fofana bezog sich darauf, dass in Zeiten der Pandemie Städte ruhiger werden, die Vögel und überhaupt andere Lebewesen viel mehr präsent sind und sich auch akustisch bemerkbar machen. Und dieses Zuhören scheint für ihn ein sehr wichtiger Aspekt zu sein. Was passiert, wenn wir einander und der Welt aufmerksam zuhören? Ist es möglich, dass wir dann mehr Toleranz und mehr Vielfalt zulassen?"
Calla Henkel und Max Pitegoff sind als Duo nominiert. Bei ihren Arbeiten bezögen sie aber darüber hinaus viele weitere Personen mit ein, sagt Zólyom.
"Das Besondere bei ihnen ist, dass sie als Fotografen ausgebildet sind, ihre Praxis sich aber weit über die Fotografie hinaus erstreckt, auf die Felder von Theater, Performance, Musik, Social Sculpture."
Seit 2019 betreibt das Duo die TV-Bar in Berlin-Schöneberg. "Das ist ein Ort, der ein Filmstudio und gleichzeitig ein Ort für Performances ist, für Erzählungen einer Generation, die ihren Platz sucht und sich Platz schafft in einer Welt, in einer Stadt, die sich sehr rapide verändert.
Das Besondere ist: Sie arbeiten mit Liveacts, die nicht dokumentiert sind und mit inszenierten Filmen, in denen Menschen aus ihrer Umgebung oder Nachbarschaft darüber berichten, wie es hier und jetzt ist, in einer Großstadt zu leben, künstlerisch tätig zu sein und sich wichtigen Lebensfragen zu stellen."
Als schwarzer Mensch in einer von Weißen dominierten Welt
Die Arbeiten von Sandra Mujinga seien sehr skulptural und sie erschaffe große Installationen. Sie beschäftige sich, ähnlich wie Lamin Fofana, mit der Frage von "Blackness", und wolle beschreiben, was es bedeute, ein schwarzer Mensch in einer von Weißen dominierten Welt zu sein.
"Ihre Figuren sind große, schwarze Figuren mit Kapuzen, die die Ausstellungsräume bevölkern, und sie sind sehr ambivalent. Das können Figuren sein, die etwas ernten, die etwas sammeln, die etwas in sich versammeln, die miteinander zusammenkommen. Aber sie sind so undefiniert, dass man sich im Raum mit ihnen zurechtfinden muss und immer wieder auch neu positionieren und orientieren muss."
Klang als Waffe
Die Künstlerin Sung Tieu beschäftige sich mit der "invasiven Qualität von Sound. Denn wenn wir etwas hören, können wir uns dem kaum entziehen. Wenn wir etwas nicht sehen wollen, schließen wir die Augen. Aber es ist viel schwieriger, Geräusche auszuschließen.
Tieu beschäftigt sich mit Sound als einer invasiven Waffe, wie er zum Beispiel im Vietnamkrieg benutzt wurde, wo Aufnahmen verwendet wurden, um die vietnamesischen Kämpfer aus der nördlichen Region abzuschrecken, zu verwirren, wohlwissend, dass im Glauben vieler Vietnamesen und Vietnamesinnen die Stimmen von Verstorbenen eine sehr wichtige Rolle spielen. Einige Arbeiten Tieus beschäftigen sich mit diesen sogenannten Ghost Tapes, die verwendet wurden, um Menschen zu beeinflussen."
Ein Angebot zum Gespräch
Die Positionen dieser vier jungen Künstlerinnen und Künstler zeugten von der mittlerweile sehr vielschichtigen und diversen deutschen Kunstszene, sagt Zólyom.
"Für mich ist das der Versuch, den die Kunst unternimmt, ein gemeinsames Verständnis zu finden, miteinander ins Gespräch zu kommen, miteinander einen Umgang zu finden und herauszufinden, wie Zusammenleben auf dem Planeten überhaupt möglich ist."
(rja)