Shoshana Zuboff: "Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus"
Aus dem Englischen von Bernhard Schmid
Frankfurt/Main 2018, Campus-Verlag
727 Seiten, 29,95 Euro
Wie Google und Facebook die Gesellschaft beherrschen
Gesetze hin oder her – ungeniert und ungehindert sammeln Digitalkonzerne wie Facebook und Google unsere Daten. Wie es so weit kommen konnte und warum wir dem Überwachungskapitalismus so hilflos gegenüberstehen, erklärt Shoshana Zuboff in ihrer fulminanten Analyse.
Die Übermacht der großen Digitalkonzerne zu bändigen, ist ein Kampf gegen Windmühlen. Hunderte Klagen sind weltweit allein gegen Google anhängig: Umgehung des Datenschutzes, Manipulation von Suchergebnissen, Übermittlung von Standortdaten, Erstellung von Nutzerprofilen – die Liste der Vorwürfe ist lang.
Und dennoch sammelt Google die Nutzerdaten ungehindert weiter, genauso wie Amazon, Facebook oder Microsoft.
Warum bestehende Gesetze gegen die Digitalriesen so machtlos sind, dafür liefert die Ökonomin Shoshana Zuboff in ihrer fulminanten Analyse jetzt eine überzeugende Erklärung. "Überwachungskapitalismus" nennt die emeritierte Havard-Professorin die neue digitale Marktwirtschaft, und zwar deshalb, weil diese dem "Imperativ der Überwachung" unterliege und ohne das permanente Akkumulieren von Daten gar nicht exisitieren könne.
Dieser "aus dem Ruder gelaufene Kapitalismus" reduziere menschliche Erfahrung auf Verhaltensprognosen, die sich umso proftibler verkaufen ließen, desto genauer sie sind. Um dieses System zu perfektionieren, versuchten die Unternehmen zunehmend auch, das Verhalten der Nutzer zu manipulieren.
Beeindruckender Umfang des Wissens
Shoshana Zuboff sieht die Gesellschaft dieser Entwicklung ausgeliefert wie einst die Ureinwohner den spanischen Eroberern. Die Beispiellosigkeit sei es, die so hilflos mache. "Doch wie genau konnten sie damit durchkommen?", fragt die Autorin sich immer wieder. In drei Teilen rollt sie die Geschichte des Überwachungskapitalismus auf: wie er von Google erfunden wurde, wie er mit Vernetzungskonzepten wie "Weareables" oder "Smart City" in die reale Welt migriert ist und wie er schließlich dabei ist, sich der Gesellschaft zu bemächtigen.
Die Akribie, die Detailkenntnis, die vielen kleinen Geschichten, die unzähligen Quellen wie Unternehmensstatements, Debatten, Statistiken, Gerichtsurteile, die Exkurse zu Theorien von Verhaltensforschern wie Burrhus Frederic Skinner und Wirtschaftstheoretikern wie Joseph A. Schumpeter oder Thomas Piketty – der schiere Umfang an Wissen, den Shushanna Zuboff brillant zu einer schlüssigen Erzählung zusammenführt, beeindruckt. Aus ihrer Vogelperspektive heraus wird denn auch vieles klarer.
16 Mittel etwa beschreibt Zuboff, mit denen Google und Facebook die Gesellschaft überrumpelt haben. Die Geschwindigkeit und die Chuzpe, öffentliche Daten einfach zum Wirtschaftsgut zu erklären, gehören ebenso dazu wie der geschickte Gesetzesbruch, der nach festgelegten Mustern erfolgt. Beispiel: Googles "Streetview". Während vielfach dagegen geklagt wurde, filmte Google erstmal fleißig weiter. Als dann Gerichte das Filmen untersagten, hatte Google bereits ein noch ausgefeilteres Projekt zur Erfassung von Gebäuden entwickelt.
Das Ziel: totale Kontrolle
"Instrumentarismus" nennt Shoshana Zuboff diese neue "Spezies der Macht". Deren Ziel sei die totale Kontrolle, und sie sei deshalb eine Bedrohung für die Demokratie. Auch wenn es einem dystopisch erscheinen mag: Schon einmal – vor über 20 Jahren – hatte die Wirtschaftswissenschaftlerin in ihrem Buch über intelligente Maschinen Entwicklungen korrekt vorhergesehen. Und das passt auch zu diesem außergewöhnlichen Buch: Es ist Grundlage und Ermutigung, Strategien zu entwickeln, wie sich die Gesellschaft der Logik des Überwachungskapitalismus entziehen kann.