Show-Bühne des Todes
Das Kolosseum war lange Zeit Roms berühmtestes Bauwerk und noch heute fasziniert es die Touristen. Ein Buch erzählt nun die spannende Geschichte vom Bau des Amphitheaters, von den Gladiatorenkämpfen, vom Publikum und den Kaisern, die sich dort inszenierten.
Hopkins und Beard hätten das nicht tun sollen. Rom-Touristen, die sich für ausgebufft halten, werden düpiert. Denn Rom-Touristen, die sich für ausgebufft halten, vermeiden die endlosen Schlangen an der Kasse zum Kolosseum, indem sie im benachbarten, aber weniger besuchten Palatin ein Kombi-Ticket erwerben. Damit gehen sie an dummen Touristen – und den nachgemachten Gladiatoren, mit denen diese sich fotografieren lassen – vorbei ins Kolosseum selbst. Jetzt steht es in einem Buch. Jetzt machen es alle, jetzt ist der Trick verraten.
Keith Hopkins und Mary Beard sind Historiker und Soziologen unter anderem der Universität von Cambridge. Was sie aber nicht daran hindert, zu schreiben wie normale Menschen, die wollen, dass sie von normalen Menschen gelesen werden. Mary Beard hat auch schon mal eine Vortragsreihe gehalten über das "Gelächter in Rom" – das stimmt den Leser optimistisch, und so wundert es nicht, dass auch die Karikaturen-Gallier Asterix und Obelix in diesem sehr kenntnisreichen Buch über das Kolosseum auftauchen.
"Ave Caesar. Morituri te salutant – Heil Dir Cäsar. Die Todgeweihten grüßen Dich!"
Bedauerlicherweise gibt es überhaupt keinen Beweis dafür, dass diese Worte jemals im Kolosseum ausgesprochen wurden, noch weniger dafür, dass die Gladiatoren den Kaiser auf diese Weise zu grüßen pflegten.
Und so geht es einer Reihe von populären Vorstellungen, die sich mit dem Kolosseum verbinden. Sie verschwinden. Zum Beispiel die Vorstellung vom Todesacker christlicher Martyrer – es lässt sich nicht nachweisen, dass sie hier ums Leben kamen. Auch die gewaltigen Zahlen getöteter Tiere und Menschen erscheinen als Übertreibung – die logistischen Probleme hätten selbst Rom überfordert.
Das Erschreckende – nachdem man sich erst einmal an die Ausmaße gewöhnt hat – das Erschreckende für den Touristen ist die Erkenntnis, wie gut man im Kolosseum sehen konnte, wie nah die antiken Zuschauer am Geschehen waren, wie genau sie das Gemetzel bei den Tierhetzen und den Gladiatorenkämpfen verfolgen konnten. Und das Ganze war ein gewaltiges Geschäft um Profite, Massenunterhaltung und politische Macht. Über die Darsteller heißt es:
"Die Gladiatoren waren nicht nur körperlichen Gefahren ausgesetzt, sondern standen auch in staatsbürgerlicher und politischer Hinsicht am Rande der Gesellschaft. Dazu gehörte genau dieselbe "offizielle Schande" (infamia auf Lateinisch), der auch Prostituierte und Schauspieler anheimfielen."
Ausführlich wird das Gebäude erklärt, eine Showbühne mit fünf Rängen, achtzig Eingängen und einem ausgeklügelten Führungssystem, durch das die Zuschauer auf ihre Plätze geleitet wurden. Nicht ganz geklärt erscheint das Sicherungssystem – in den vorderen Reihen saßen die Senatoren nur vier Meter über der Arena, was kaum ausgereicht haben dürfte, sich vor einem wütenden Elefanten in Sicherheit zu bringen. Oder vor einem durchtrainierten Gladiator, der sich nicht an die Inszenierung hielt.
"Abgesehen davon war das Bauwerk eine riesige Wassertonne: Der Regen, der manchmal sintflutartig auf die Zuschauerplätze und die Arena niederprasselte, musste abfließen können, anderenfalls hätten sich bei einem heftigen Sturm bis zu 175 l Wasser pro Sekunde aufgestaut."
In acht Metern Tiefe verläuft unter der Arena ein Ringkanal, der das Wasser aufnimmt und in den Tiber ableitet. Die römischen Spezialisten, ohne Computer und Handy, waren in der Lage, einen gewaltigen Baukörper in die Höhe zu ziehen und mit einem komplizierten Fundament abzusichern. Im dritten Jahrhundert nach Christus wurden die Spiele verboten, aber das Verbot war wirkungslos. Was dann aber, so sagen Hopkins und Beard, die Spiele wirklich zum Erliegen brachte, war die Tatsache, dass sich nach politischen und wirtschaftlichen Umstürzen niemand mehr die kostspielige Ausrichtung eines öffentlichen Gemetzels mehr leisten konnte. Der Mangel an Geld war der Grund für das Ende der Spiele, nicht das Übermaß an Moral. Das Kolosseum verfiel, wurde Steinbruch und Heimstatt für seltene Pflanzen, bis es im 19.Jahrhunderten als Touristenattraktion neu belebt wurde.
Also: Wer nach Rom reisen will in diesem Sommer und noch Platz hat neben Wasserflasche und Fotoapparat und kleine Buchstaben nicht fürchtet, hat in diesem Reclam-Bändchen ein hilfreiches, gut zu lesendes Reisebuch.
Besprochen von Paul Stänner
Keith Hopkins, Mary Beard: Das Kolosseum
Aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach
Reclam Universal-Bibliothek 2010
240 Seiten, 6,80 Euro
Keith Hopkins und Mary Beard sind Historiker und Soziologen unter anderem der Universität von Cambridge. Was sie aber nicht daran hindert, zu schreiben wie normale Menschen, die wollen, dass sie von normalen Menschen gelesen werden. Mary Beard hat auch schon mal eine Vortragsreihe gehalten über das "Gelächter in Rom" – das stimmt den Leser optimistisch, und so wundert es nicht, dass auch die Karikaturen-Gallier Asterix und Obelix in diesem sehr kenntnisreichen Buch über das Kolosseum auftauchen.
"Ave Caesar. Morituri te salutant – Heil Dir Cäsar. Die Todgeweihten grüßen Dich!"
Bedauerlicherweise gibt es überhaupt keinen Beweis dafür, dass diese Worte jemals im Kolosseum ausgesprochen wurden, noch weniger dafür, dass die Gladiatoren den Kaiser auf diese Weise zu grüßen pflegten.
Und so geht es einer Reihe von populären Vorstellungen, die sich mit dem Kolosseum verbinden. Sie verschwinden. Zum Beispiel die Vorstellung vom Todesacker christlicher Martyrer – es lässt sich nicht nachweisen, dass sie hier ums Leben kamen. Auch die gewaltigen Zahlen getöteter Tiere und Menschen erscheinen als Übertreibung – die logistischen Probleme hätten selbst Rom überfordert.
Das Erschreckende – nachdem man sich erst einmal an die Ausmaße gewöhnt hat – das Erschreckende für den Touristen ist die Erkenntnis, wie gut man im Kolosseum sehen konnte, wie nah die antiken Zuschauer am Geschehen waren, wie genau sie das Gemetzel bei den Tierhetzen und den Gladiatorenkämpfen verfolgen konnten. Und das Ganze war ein gewaltiges Geschäft um Profite, Massenunterhaltung und politische Macht. Über die Darsteller heißt es:
"Die Gladiatoren waren nicht nur körperlichen Gefahren ausgesetzt, sondern standen auch in staatsbürgerlicher und politischer Hinsicht am Rande der Gesellschaft. Dazu gehörte genau dieselbe "offizielle Schande" (infamia auf Lateinisch), der auch Prostituierte und Schauspieler anheimfielen."
Ausführlich wird das Gebäude erklärt, eine Showbühne mit fünf Rängen, achtzig Eingängen und einem ausgeklügelten Führungssystem, durch das die Zuschauer auf ihre Plätze geleitet wurden. Nicht ganz geklärt erscheint das Sicherungssystem – in den vorderen Reihen saßen die Senatoren nur vier Meter über der Arena, was kaum ausgereicht haben dürfte, sich vor einem wütenden Elefanten in Sicherheit zu bringen. Oder vor einem durchtrainierten Gladiator, der sich nicht an die Inszenierung hielt.
"Abgesehen davon war das Bauwerk eine riesige Wassertonne: Der Regen, der manchmal sintflutartig auf die Zuschauerplätze und die Arena niederprasselte, musste abfließen können, anderenfalls hätten sich bei einem heftigen Sturm bis zu 175 l Wasser pro Sekunde aufgestaut."
In acht Metern Tiefe verläuft unter der Arena ein Ringkanal, der das Wasser aufnimmt und in den Tiber ableitet. Die römischen Spezialisten, ohne Computer und Handy, waren in der Lage, einen gewaltigen Baukörper in die Höhe zu ziehen und mit einem komplizierten Fundament abzusichern. Im dritten Jahrhundert nach Christus wurden die Spiele verboten, aber das Verbot war wirkungslos. Was dann aber, so sagen Hopkins und Beard, die Spiele wirklich zum Erliegen brachte, war die Tatsache, dass sich nach politischen und wirtschaftlichen Umstürzen niemand mehr die kostspielige Ausrichtung eines öffentlichen Gemetzels mehr leisten konnte. Der Mangel an Geld war der Grund für das Ende der Spiele, nicht das Übermaß an Moral. Das Kolosseum verfiel, wurde Steinbruch und Heimstatt für seltene Pflanzen, bis es im 19.Jahrhunderten als Touristenattraktion neu belebt wurde.
Also: Wer nach Rom reisen will in diesem Sommer und noch Platz hat neben Wasserflasche und Fotoapparat und kleine Buchstaben nicht fürchtet, hat in diesem Reclam-Bändchen ein hilfreiches, gut zu lesendes Reisebuch.
Besprochen von Paul Stänner
Keith Hopkins, Mary Beard: Das Kolosseum
Aus dem Englischen von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach
Reclam Universal-Bibliothek 2010
240 Seiten, 6,80 Euro