Unerhört, riesig, mächtig und gewaltvoll – ich denke, diese Verwunderung, die ich als Kind verspürt habe bei diesen Geschichten, die ist eingeflossen in den Ton, den ich für diesen Roman gefunden habe.
Sabrina Janesch: "Sibir"
Teil der Geschichte ihres Romans "Sibir" sind die Erinnerungen ihres Vaters von der Verschleppung der Familie in die ferne Steppe, erzählt die Autorin Sabrina Janesch. © Frank Zauritz
Über das Trauma der Deportation
12:05 Minuten
Sabrina Janeschs Roman "Sibir" ist auch die Geschichte ihrer Familie, ihres Vaters. Deportiert nach Kasachstan, muss sich der heranwachsende Josef in der rauen Steppe behaupten. In Deutschland holt ihn Jahrzehnte später seine Vergangenheit ein.
Ein kleiner Junge wird nach dem Zweiten Weltkrieg mit seiner Mutter und seinen Großeltern von der Sowjetarmee nach Kasachstan deportiert. Es ist eine raue Umgebung mit vielen Bedrohungen, in der Josef aufwächst.
Sabrina Janeschs hat sich für diese Geschichte ihres Romans "Sibir" von ihrer eigenen Familiengeschichte inspirieren lassen. Janeschs Vater, geboren 1942, wurde ebenfalls mit seiner Familie deportiert. "Sie haben es genannt 'nach Sibirien'. Heute würde man sagen 'Kasachstan'", erläutert die Autorin den Titel ihres Buches.
Eine Geschichte, die Hundertausende teilen
Die Erinnerungen ihres Vaters an das Leben der Familie in der kasachischen Steppe seien für sie so lebendig, dass es für sie mit ihren eigenen Kindheitserinnerungen verwoben sei, erzählt Janesch: "Und dieser Eindruck führt genau auch zu dem Konstrukt, dem Konzept des Romans."
In der Vorbereitung habe sie recherchiert, dass laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages etwa 300.000 bis 800.000 deutsche Zivilgefangene – keine Kriegsgefangenen - gen Osten verschleppt worden seien. "Teils in Lagern interniert oder aber einfach in der Steppe ausgesetzt, so wie etwa meine Familie." Sie sei nun dorthin gereist, nach Kirgisistan und Kasachstan, und habe das Haus der Familie dort gesucht und auch gefunden.
Auch eine Geschichte der Wunder
Den Geschichten ihres Vaters von seinem Aufwachsen und Leben dort habe stets "eine Ahnung von Wunder" oder "tiefer Verwunderung" angehaftet, die sie nun auch in "Sibir" genutzt habe. "Dies bezog sich eigentlich auf alle Phänomene der Steppe auf die Schlangen, die da lebten, die Steppenwölfe, den Fluss, den Schneesturm, das Tauwetter", so Janesch.
Ebenso zentral wie diese Weite und das Gewaltvolle ist auch eine Angst. Janesch spricht hier von einem „Echoraum“, der eben auch noch da sei nach der Rückkehr in Deutschland, in Niedersachsen, wo sich die Familie geschämt habe, überhaupt von dieser Zeit zu erzählen: Weil allein der Fakt, dorthin deportiert worden zu sein, für die Mitmenschen Beleg für irgendeine Schuld sei.
Diese Kriminalisierung der Rückkehrer habe zu großer Scham, Angst und Sorge geführt – und letztlich auch dazu, über das Geschehene lieber zu schweigen, sagt Janesch.
Auch ein Roman über Freundschaft
Und Janesch erklärt: „Man könnte natürlich sagen, dass ist maßgeblich ein Roman über Kindheiten über Traumata, über Verschleppung. Aber für mich ist es ein Roman über Freundschaften."
Sabrina Janesch: „Sibir“
Rowohlt, Berlin 2023
350 Seiten, 24 Euro
Sie habe versucht zu schildern, wie wichtig es für den jungen Josef Ambacher ist, "in seinem kasachischen Freund auch eine Therapie zu haben und eine Liebe, die er erfährt von dem Freund und von seiner Familie.“