Sibylle Berg: "Nerds retten die Welt. Gespräche mit denen, die es wissen"
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020
336 Seiten, 22 Euro
Mehr Wissenschaft für alle
06:22 Minuten
Die Schriftstellerin Sibylle Berg hat Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen interviewt. Sie will zeigen, wie deren Erkenntnisse die Welt verbessern könnten.
Die Meinung der Wissenschaft steht in Zeiten von Corona hoch im Kurs. Sogar das solide Krisenmanagement von Angela Merkel führen viele darauf zurück, dass die Kanzlerin in ihrem früheren Leben einmal Physikerin war.
Jenseits der aktuellen Krise fällt die Wertschätzung jedoch deutlich geringer aus. Vorschläge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern würden häufig ignoriert – aus Unverständnis oder weil sie mit Lobby-Interessen kollidierten, klagt die Schriftstellerin Sibylle Berg. Und erklärt: "Darum habe ich mir diese Gespräche ausgedacht: mehr Wissenschaft für alle."
Sieben Frauen und neun Männer kommen zu Wort
Die Interviews – Teil der Recherche zu Sibylle Bergs jüngstem Roman "GRM" – waren in den letzten beiden Jahren bereits im Schweizer Online-Magazin "Republik" erschienen. Aktuell sind sie aber nach wie vor.
Sieben Frauen und neun Männer aus unterschiedlichsten Disziplinen kommen zu Wort: Soziologinnen, Natur- und Politikwissenschaftler, Expertinnen aus Informatik und Geschichte, eine Künstlerin. Mit ihrem Buch will Sibylle Berg zeigen, dass deren Erkenntnisse einen Unterschied für die Gesellschaft machen können.
Klug durch Wissenschaft
Wie etwa die Analysen von Valerie M. Hudson. die Politologin forscht in Texas dazu, wie sich der Status von Frauen auf die Gesellschaft auswirkt. Mehr Wissen über die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern könnte das Verständnis darüber verändern, warum Nationen instabil sind, sagt Hudson.
Der Systembiologe Lorenz Adlung vom Weitzmann-Institut für Wissenschaften in Israel will Fettleibigkeit bekämpfen, denn erstmals gebe es mehr fettleibige Menschen auf der Welt als unterernährte. Und der Physiker Dirk Helbing von der ETH Zürich dagegen entwirft Computersimulationen dazu, wie man Menschen motivieren kann, sich ökologischer zu verhalten.
Gut gefragt
Natürlich sind die Antworten der Expertinnen und Experten – dem Thema entsprechend – komplex. Sibylle Berg schafft es aber mit ihren Fragen, Kompliziertes verständlich zu machen.
Und sie schafft es auch, einen immer wieder zum Lachen zu bringen. Etwa wenn sie beim Astrophysiker Abrahim Loeb selbstironisch nachbohrt: "Ich verstehe natürlich, was das bedeutet, aber könnten Sie es kurz für Nicht-Astrophysikerinnen erklären?" Und an anderer Stelle trocken lobt: "Eine elegante Antwort."
Überhaupt schert sich Sibylle Berg beim Fragen wenig um Objektivität. Ihren pessimistischen Blick auf die Welt ("Sorge ist mein zweiter Vorname") verhehlt sie ebenso wenig wie ihren Frust über die "geballte Dummheit unserer Spezies". Auch einige Antworten kann man als subjektive Sicht abhaken, etwa wenn Astrophysiker Loeb versichert, die Menschheit werde noch zu seinen Lebzeiten auf Außerirdische treffen.
Die eigene Stimme erheben
Dem äußerst informativen Buch schadet das aber nicht im Geringsten. Denn es lädt zum Weiterdenken ein – und zum Handeln! Um sich den Krisen dieser Welt nicht auszuliefern, müsse man sich "auf die Reichweiten des eigenen Tuns besinnen und im Alltag die Stimme erheben", rät der Soziologe Wilhelm Heitmeyer. Rüstzeug dafür hat Sibylle Berg mit dieser Interviewsammlung geliefert.