Sibylle Lewitscharoff: "Das Pfingstwunder"

Dante-Roman scheitert an Schlaumeierei

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio - Andreas Buron
Von Jörg Magenau |
Sybille Lewitscharoff steht mit "Pfingstwunder" auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis. Das Buch fasst den Forschungsstandes zu Dantes "Commedia" bemüht zusammen - mit einem recht anstrengenden Ich-Erzähler.
Im entscheidenden Moment dröhnen die Glocken. Der Petersdom in Rom läutet das Pfingstfest 2013 ein. Die Glocken durchläuten aber auch den neuen Roman von Sibylle Lewitscharoff, als dramatisch erhebende Begleitmusik für das im Titel versprochene "Pfingstwunder". 34 Danteforscher aus aller Welt sind in Rom zu einem Kongress über Dantes "Göttliche Komödie" zusammengekommen, haben sich brav von Vortrag zu Vortrag vorangearbeitet und sich damit in einen Zustand des höheren Delirierens hineinkapriziert, der sie schließlich zur kollektiven Himmelfahrt befähigt.
Die Glocken läuten, während einer nach dem anderen inklusive eines schlauen Hundes das Fensterbrett besteigt und wie eine Weltraumrakete senkrecht nach oben verschwindet. Vom Inferno übers Purgatorio ins Paradiso? Man weiß es nicht, und der einzige, der zurückbleibt, weiß es auch nicht, genauso wenig wie er begreift, warum er nicht auch gen Himmel fahren durfte. Das ist der Ich-Erzähler, der 62-jährige Professor Gottlieb Elsheimer. Um das unbegreifliche Ereignis zu fassen und seiner Verstörung Herr zu werden, lässt er den ganzen Kongress, Vortrag für Vortrag Revue passieren.

Man bekommt Lust, Dante zu lesen

Ein Kongress ist nun aber nicht gerade aufregender Romanstoff, auch dann nicht, wenn die einzelnen Vortragenden mit ihren unterschiedlichen Temperamenten und liebenswerten Schrulligkeiten vorgestellt werden. Das erinnert in der Behäbigkeit des Geschehens an Grass' "Treffen in Telgte", einer der langweiligsten und überschätztesten Erzählungen der deutschen Literatur. Der Ich-Erzähler neigt zu Geschwätzigkeit und Abschweifungen, sodass man auch noch etwas über seine alte Mutter erfahren muss, was, wie er selber weiß, nun wirklich nicht zur Sache gehört. Ein Roman aber will trotzdem nicht daraus werden, und auch Elsheimer schwant schließlich auf Seite 231, dass er nichts als eine "tumbe Nacherzählung" bietet, "als müsste ich sechzehnjährigen Gymnasiasten beibringen, wovon in der Commedia die Rede ist." Dann macht er aber trotzdem genau so weiter wie zuvor.
Wie die Autorin stammt auch ihr Professor aus Stuttgart-Sillenbuch und schwäbelt sich durch seinen Text. Auch wenn sein Vokabular angemessen altherrenhaft ist, (jüngere Menschen sind "junges Gemüse" oder eine "Bubenbande", da wird "gekichert" im Saal und "mit dem Fingerchen gedroht") hört man durch diese biedere Verschmocktheit doch immer die Autorin durch, denn sie ist es, die das dünne Geschehen mit ihrer Dante-Leidenschaft in Gang gesetzt hat und es nun romanhaft bewirtschaften muss. Das ist schwer, zu schwer. Die ausgesuchte Umstandskrämerei des Erzählers rettet nichts, sondern macht es nur noch schlimmer. Hätte Lewitscharoff ein Sachbuch geschrieben, dann wäre es eine wunderbare Einführung und Commedia-Lesebegleitung geworden. Und in der Tat: nichts anderes ist dieses Buch.
Wer sich für Übersetzungsnuancen und Interpretationsmöglichkeiten interessiert, ist damit gut bedient. Lewitscharoff weiß alles. Aber es steht halt auch alles schon anderswo. Was sie leistet, ist eine bemüht literarisierte Kompilation des derzeitigen Forschungsstandes. Man bekommt Lust, Dante zu lesen, aber das ist dann auch schon das Beste, was sich über diese Philologenprosa sagen lässt, die auf vampirische Weise von ihrem Stoff, Dantes "Commedia", zehrt.

Sibylle Lewitscharoff: "Das Pfingstwunder"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
350 Seiten, 24,00 Euro

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