"Sicherungsverwahrung ist natürlich eine individuelle Maßnahme"
Das bevorstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Sicherungsverwahrung muss dazu beitragen, dass der Rechtsstaat in dieser schwierigen Frage "weitestmöglich" gewahrt bleibt, meint der pensionierte Philosophieprofessor Günter Mensching.
Matthias Hanselmann: Mit großer Spannung erwartet wird ein Urteil des höchsten deutschen Gerichts zum Thema Sicherungsverwahrung. Morgen wird das Bundesverfassungsgericht kundtun, ob in Deutschland weiterhin höchst gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter nach Verbüßen ihrer eigentlichen Strafe weggesperrt werden dürfen.
Die Sicherungsverwahrung soll eine Maßregel der Besserung und Sicherung sein und dazu dienen, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, sie ist also eine Präventivmaßnahme. Für wie gefährlich ein Straftäter eingeschätzt wird, das muss auf dem Wege einer Prognose festgestellt werden, und der Täter muss vorher eine besonders schwere Straftat begangen haben.
Wegsperren, und zwar für immer, das forderte seinerzeit Bundeskanzler Gerhard Schröder und traf damit die Stimmung der Straße, sprach die Ängste vieler Menschen, besonders vor rückfälligen Sexualstraftätern an. Günter Mensching war Professor für Philosophie an der Leibniz-Universität Hannover und hat sich intensiv mit dem Thema Freiheit kontra Sicherheit befasst. Guten Tag, Herr Mensching!
Günter Mensching: Guten Tag, Herr Hanselmann!
Hanselmann: Die Forderung von Ex-Kanzler Schröder wurde vor kurzem im Fernsehen von einem der erfolgreichsten deutschen Schauspieler und Produzenten, nämlich von Till Schweiger wiederholt. Wegsperren für immer – haben Sie Verständnis für diese Forderung?
Mensching: Es gibt ein psychologisches Verständnis, das ich durchaus verstehe, das ich selber teile. Wer hat nicht Angst, wenn Leute auf der Straße herumlaufen und Kinder vergewaltigen oder andere schreckliche Dinge tun? Das ist eine Stimmung, die populistischerweise gerne aufgegriffen wird, nicht zufälligerweise sind es beide – die beiden Vertreter, die Sie nennen – ja solche, die sich verstehen auf die Volksstimmung, und das ist natürlich das eine. Das andere ist natürlich eine andere Abwägung, die man vornehmen muss.
Hanselmann: Wie sollte diese Abwägung aussehen? Was ist Ihre Meinung allgemein zum Thema Sicherungsverwahrung?
Mensching: Sicherungsverwahrung ist natürlich eine individuelle Maßnahme, eine, die das Gesetz so vorsieht, nämlich eine individuelle Prüfung – eine individuelle Prüfung des Falles. Niemand kann wollen, dass Gewalttaten völlig irrationalerweise, völlig unvorhersehbarerweise geschehen. Und man kann das Risiko nicht eingehen, das würde ich schon meinen.
Wegsperren für immer, was heißt das? Heißt das, ins Gefängnis tun oder heißt das, in eine therapeutische Anstalt? Die Gesetzesformulierung sieht ja so etwas vor wie Besserung und Ähnliches. Das ist natürlich etwas, wobei man ja dann die Rolle des Staates überhaupt in Frage stellen kann: Kann der Staat so etwas machen wie eine individuelle Besserung und Ähnliches?
Sind das nicht Angelegenheiten, die anderen Institutionen wie der Schule oder der Familie oder anderem zustehen, die in dem Falle, wo es sich hier jetzt um eine Regulierung handelt, ja eben gerade versagt haben! Das heißt, ein Sexualtäter tut das immer wieder, wenn er wirklich tief triebmäßig so gepolt ist, dass er immer wieder solche Taten vollziehen muss.
Hanselmann: Die Sicherungsverwahrung hat ja eine Reform erfahren. Seit dem ersten Januar diesen Jahres muss diese nämlich im Strafurteil angeordnet oder vorbehalten sein. Das heißt, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung darf es nicht mehr geben. Ist ein Straftäter also nach Verbüßen seiner Haft frei, dann kann er nicht plötzlich wieder in Sicherungsverwahrung gebracht werden auf den Verdacht hin, dass er wieder zuschlagen könnte. Halten Sie das für eine sinnvolle Reform?
Mensching: Das halte ich schon für eine sinnvolle Reform, denn, ich meine, dass rechtsstaatlich es klar sein muss, dass eine Strafe oder auch eine strafähnliche Maßnahme nicht ohne ein gerichtliches Urteil ergehen darf, dass man also nicht auf Vermutung hin jemanden festhalten darf. Denn das weckt ja Assoziationen – und ich meine berechtigte Assoziationen – an Vorgänge, die dann so etwas wie Sippenhaftung oder Vorbeugehaftung in ganz anderen Fällen – also die nicht etwa mit Sexualstrafrecht zu tun haben, sondern mit der politischen Justiz zu tun haben. Solche Maßnahmen sind ja dann auch ergriffen worden zeitweilig. Und das sind Dinge, die ja mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar sind. Ich meine, der Rechtsstaat muss weitestmöglich wirklich gewahrt bleiben in diesem Zusammenhang.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Günter Mensching, er ist pensionierter Professor für Philosophie in Hannover. Morgen wird das Bundesverfassungsgericht ein mit Spannung erwartetes Urteil zum Thema Sicherungsverwahrung sprechen.
Herr Mensching, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Dieser Satz stammt von dem Staatstheoretiker und Philosophen Thomas Hobbes und damit aus dem 17. Jahrhundert. Danach muss der Staat den Menschen vor sich selbst schützen, wenn dieser zum Wolf wird. Wie hat sich eigentlich im Laufe der Zeit dieses Gegensatzpaar – Freiheit und Sicherheit – entwickelt in der Geschichte der Rechtsstaatlichkeit?
Mensching: Ja, das ist ein sehr interessantes Problem, eines, das durchaus gegensätzliche Lösungen, Lösungsversuche provoziert hat. Das hat sich entwickelt – ohne Frage. Schon im späten Mittelalter gibt es ja bürgerliche Freiheitsbewegungen, die versucht haben, den Einzelnen und seine Handlungsfreiheit gegenüber objektiven Institutionen, entweder den Korporationen, den Handwerker-Korporationen, den Zünften und ähnlichem, aber auch dann den Staatsgewalten zu emanzipieren und ihm Freiheiten zu sichern.
Wobei, interessant ist, dass in der späteren Neuzeit und die Epoche von Thomas Hobbes, die sie gerade ansprechen, ist gerade eine Schlüssel-Epoche, kann man sagen, in der dieser Antagonismus zwischen Sicherheit des Staates und Sicherheit und Freiheit des Individuums gerade wirklich auf die Spitze getrieben worden ist.
Die Frage ist nämlich, wer sichert wen? Sichert sich der Staat gegenüber den möglicherweise wölfischen Menschen, die eigentlich eine böse Natur haben und die in Schach gehalten werden müssen, oder aber sichert sich die freie Bürgerschaft eine Freiheit gegenüber den Übergriffen des Staates, die keiner rechtlichen Regulierung unterliegen, weil der Staat, wie bei Hobbes ja auch vorgesehen, ein absoluter Staat sein soll, der also das Recht hat, zu befehlen und anzuordnen ohne rechtliche Kontrolle durch eine andere Gewalt. Also, Gewaltenteilung und so etwas gibt es da nicht.
Die Frage ist also, wie ist genau dieses Problem gelöst? Wer schützt sich vor wem? Und welche Freiheit von wem gegen wen? Das ist genau die Frage, die sich bei diesem Staatsphilosophen sehr deutlich gestellt hat und in einer bestimmten Weise gelöst worden ist – nämlich zu Gunsten eines allmächtigen, durchgreifenden Staates, der durch die Allmacht des Staates dann auch den Individuen ein gewisses Recht, eine gewisse Freiheit, sich zu entfalten, gesichert haben wollte.
Hanselmann: An welchem Punkt sind wir da gerade – wenn Sie diesen Überblick haben und ihn schildern – mit der deutschen Rechtsprechung?
Mensching: Nun, wir haben ja einen demokratischen Rechtsstaat, der durch die Gewaltenteilung charakterisiert ist, das ist eine große Errungenschaft – eine, die allerdings durch die Maßnahmen der Datensammlung, der geheimdienstlichen Behandlung von Individuen, Schleierfahndung nenne ich mal, Rasterfahndung war vorher schon ein Problem, und das Vorratsdatensicherungsgesetz, das ist ja ebenso etwas, was in der Tat viele Menschen sozusagen von vorne herein zu Verdächtigen macht.
Und diese Verdächtigung ist natürlich gegen die bürgerliche Freiheit. Und genau da sind wir natürlich an einem Punkt, der ganz ähnlich ist, wie schon im 17. Jahrhundert, dass der Staat da allmächtig wird und seine Gewaltenteilung wieder zurückzunehmen bestrebt ist.
Hanselmann: Wir haben eben gesprochen von dem Bild des Wolfes. Schwerstverbrecher werden ja auch oft als Monster, als Bestien bezeichnet, also gewissermaßen entmenschlicht. Wozu dient denn diese Dämonisierung?
Mensching: Die Dämonisierung dient dazu, dass man sagt, dass man Bestien, die irgendwo ihr Unwesen treiben und Schafe reißen und Ähnliches, dass man sie umbringt. Die Forderung nach der Todesstrafe ist ja meistens auch nicht mehr sehr weit davon, und das ist etwas, was wir in der Verfassung ausgeschlossen haben. Die gibt es nicht, und die sollte es auch nicht geben.
Ich meine schon, dass eine Entmenschlichung auch der schlimmsten Täter nicht angebracht ist, nicht möglich ist und nicht richtig ist, denn – wie gesagt – bei Hobbes ist ein anthropologisches Bild vorhanden: Der Mensch ist nun mal von Grund auf böse! Es gibt andere Auffassungen, die sagen: Nein, grundsätzlich ist er das nicht, er ist entweder das eine oder das andere, er ist vielleicht von Grund auf nur gut und korrumpiert worden – das haben wir bei Rosseau. Oder es gibt wieder andere Auffassungen, die sagen, er ist weder das eine noch das andere, sondern wird es erst durch die Verhältnisse, in denen er lebt. Das ist die Sache.
Und das Schlimme ist ja – dem muss man ins Auge sehen –, dass Menschen zu solchen Taten in der Lage sind. Und oft sind ja gerade solche Sexualtäter im bürgerlichen Leben völlig unauffällig, und man konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie so etwas machen, dass sie Kinder vergewaltigen und umbringen und Ähnliches.
Hanselmann: Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt von einer Talkshowisierung der Gewalt. Viele Opfer sprechen ja über ihre Leiden in den Talkshows, und der Zuschauer bekommt dann den Eindruck, solche Verbrechen nähmen zu. Der Münchner Psychiater und Gutachter Franz Joseph Freisleder spricht von einer Spirale der Übertreibung. Sehen Sie auch überzogene Angstmacherei bei gewissen Medien mit der Folge dann des Rufes nach noch mehr Härte des Staates?
Mensching: Ja, das würde ich auch so sehen. Wir wissen ja gar nicht – oder man kann es sehr wohl vermuten, umgekehrt – man kann vermuten, dass die Berichterstattung wesentlich lückenloser ist gegenüber früheren Zeiten, wo man vieles nicht erfahren hat. Und jetzt erfährt man vieles, was dann gleichzeitig auch zur Dramatisierung genutzt wird und dann eben in der Tat als Showeffekt benutzt wird, und das dient sicherlich in der Weise nicht dazu, eine nüchterne Debatte und auch eine sachangemessene Debatte und Abwehr der Gefahren zu vollbringen.
Hanselmann: Was nicht einfach nicht, vielleicht für Sie auch nicht, denn es ist ja nun mal ein emotionales Thema, wie würden Sie sich denn fühlen, wenn Sie wüssten, einer Ihrer Nachbarn ist ein ehemaliger Schwerst-Sexualstraftäter?
Mensching: Ja, da würde ich mich erst einmal informieren: Wie ist er denn überhaupt wieder in Freiheit gekommen? Ist das jetzt einfach nur geschehen, weil eine Strafe abgelaufen ist, er wieder freigesetzt worden ist und man nachträglich nicht hat anordnen können, dass er sicherheitsverwahrt worden ist? Wie sehen denn die Gutachten aus? Wie war die Prognose, und Ähnliches? Das müsste man dann nüchternerweise sehen, ehe man sofort anfängt, ihn sofort wieder zu marginalisieren und auszusperren.
Aber Sie fragen mich ja jetzt selber nach der eigenen Einstellung dabei: Wohl wäre mir sicherlich nicht dabei, das ist klar, insbesondere mit Kindern möchte man doch in einer Umgebung leben, in der so jemand nicht wohnt, und man nicht den Gedanken irgendwie mal haben müsste, ja?
Hanselmann: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Therapierbarkeit von solchen Tätern ist eindeutig in den letzten Jahren geschwunden. Das muss man feststellen. Dadurch vergrößern sich natürlich auch die Ängste.
Mensching: Ja, sicher! Deswegen der Ruf danach, die Leute auf immer einzusperren. Ich weiß nicht, wie viele potenzielle Täter es überhaupt gibt, die triebmäßig so veranlagt sind, die man also deshalb eigentlich einsperren müsste, wenn man so argumentieren wollte. Grundsätzlich meine ich schon, dass man Menschen – auch solche Menschen – als Menschen behandeln muss, und nicht etwa als wilde Tiere, als völlig entartete Individuen. Dann kommen wir in Debatten, die wirklich aus dem Dritten Reich bekannt sind.
Hanselmann: Vielen Dank! Morgen spricht das Bundesverfassungsgericht das Urteil zur Sicherungsverwahrung. Darüber haben wir gesprochen mit dem pensionierten Philosophieprofessor Günter Mensching.
Die Sicherungsverwahrung soll eine Maßregel der Besserung und Sicherung sein und dazu dienen, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen, sie ist also eine Präventivmaßnahme. Für wie gefährlich ein Straftäter eingeschätzt wird, das muss auf dem Wege einer Prognose festgestellt werden, und der Täter muss vorher eine besonders schwere Straftat begangen haben.
Wegsperren, und zwar für immer, das forderte seinerzeit Bundeskanzler Gerhard Schröder und traf damit die Stimmung der Straße, sprach die Ängste vieler Menschen, besonders vor rückfälligen Sexualstraftätern an. Günter Mensching war Professor für Philosophie an der Leibniz-Universität Hannover und hat sich intensiv mit dem Thema Freiheit kontra Sicherheit befasst. Guten Tag, Herr Mensching!
Günter Mensching: Guten Tag, Herr Hanselmann!
Hanselmann: Die Forderung von Ex-Kanzler Schröder wurde vor kurzem im Fernsehen von einem der erfolgreichsten deutschen Schauspieler und Produzenten, nämlich von Till Schweiger wiederholt. Wegsperren für immer – haben Sie Verständnis für diese Forderung?
Mensching: Es gibt ein psychologisches Verständnis, das ich durchaus verstehe, das ich selber teile. Wer hat nicht Angst, wenn Leute auf der Straße herumlaufen und Kinder vergewaltigen oder andere schreckliche Dinge tun? Das ist eine Stimmung, die populistischerweise gerne aufgegriffen wird, nicht zufälligerweise sind es beide – die beiden Vertreter, die Sie nennen – ja solche, die sich verstehen auf die Volksstimmung, und das ist natürlich das eine. Das andere ist natürlich eine andere Abwägung, die man vornehmen muss.
Hanselmann: Wie sollte diese Abwägung aussehen? Was ist Ihre Meinung allgemein zum Thema Sicherungsverwahrung?
Mensching: Sicherungsverwahrung ist natürlich eine individuelle Maßnahme, eine, die das Gesetz so vorsieht, nämlich eine individuelle Prüfung – eine individuelle Prüfung des Falles. Niemand kann wollen, dass Gewalttaten völlig irrationalerweise, völlig unvorhersehbarerweise geschehen. Und man kann das Risiko nicht eingehen, das würde ich schon meinen.
Wegsperren für immer, was heißt das? Heißt das, ins Gefängnis tun oder heißt das, in eine therapeutische Anstalt? Die Gesetzesformulierung sieht ja so etwas vor wie Besserung und Ähnliches. Das ist natürlich etwas, wobei man ja dann die Rolle des Staates überhaupt in Frage stellen kann: Kann der Staat so etwas machen wie eine individuelle Besserung und Ähnliches?
Sind das nicht Angelegenheiten, die anderen Institutionen wie der Schule oder der Familie oder anderem zustehen, die in dem Falle, wo es sich hier jetzt um eine Regulierung handelt, ja eben gerade versagt haben! Das heißt, ein Sexualtäter tut das immer wieder, wenn er wirklich tief triebmäßig so gepolt ist, dass er immer wieder solche Taten vollziehen muss.
Hanselmann: Die Sicherungsverwahrung hat ja eine Reform erfahren. Seit dem ersten Januar diesen Jahres muss diese nämlich im Strafurteil angeordnet oder vorbehalten sein. Das heißt, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung darf es nicht mehr geben. Ist ein Straftäter also nach Verbüßen seiner Haft frei, dann kann er nicht plötzlich wieder in Sicherungsverwahrung gebracht werden auf den Verdacht hin, dass er wieder zuschlagen könnte. Halten Sie das für eine sinnvolle Reform?
Mensching: Das halte ich schon für eine sinnvolle Reform, denn, ich meine, dass rechtsstaatlich es klar sein muss, dass eine Strafe oder auch eine strafähnliche Maßnahme nicht ohne ein gerichtliches Urteil ergehen darf, dass man also nicht auf Vermutung hin jemanden festhalten darf. Denn das weckt ja Assoziationen – und ich meine berechtigte Assoziationen – an Vorgänge, die dann so etwas wie Sippenhaftung oder Vorbeugehaftung in ganz anderen Fällen – also die nicht etwa mit Sexualstrafrecht zu tun haben, sondern mit der politischen Justiz zu tun haben. Solche Maßnahmen sind ja dann auch ergriffen worden zeitweilig. Und das sind Dinge, die ja mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar sind. Ich meine, der Rechtsstaat muss weitestmöglich wirklich gewahrt bleiben in diesem Zusammenhang.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Wir sprechen mit Günter Mensching, er ist pensionierter Professor für Philosophie in Hannover. Morgen wird das Bundesverfassungsgericht ein mit Spannung erwartetes Urteil zum Thema Sicherungsverwahrung sprechen.
Herr Mensching, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Dieser Satz stammt von dem Staatstheoretiker und Philosophen Thomas Hobbes und damit aus dem 17. Jahrhundert. Danach muss der Staat den Menschen vor sich selbst schützen, wenn dieser zum Wolf wird. Wie hat sich eigentlich im Laufe der Zeit dieses Gegensatzpaar – Freiheit und Sicherheit – entwickelt in der Geschichte der Rechtsstaatlichkeit?
Mensching: Ja, das ist ein sehr interessantes Problem, eines, das durchaus gegensätzliche Lösungen, Lösungsversuche provoziert hat. Das hat sich entwickelt – ohne Frage. Schon im späten Mittelalter gibt es ja bürgerliche Freiheitsbewegungen, die versucht haben, den Einzelnen und seine Handlungsfreiheit gegenüber objektiven Institutionen, entweder den Korporationen, den Handwerker-Korporationen, den Zünften und ähnlichem, aber auch dann den Staatsgewalten zu emanzipieren und ihm Freiheiten zu sichern.
Wobei, interessant ist, dass in der späteren Neuzeit und die Epoche von Thomas Hobbes, die sie gerade ansprechen, ist gerade eine Schlüssel-Epoche, kann man sagen, in der dieser Antagonismus zwischen Sicherheit des Staates und Sicherheit und Freiheit des Individuums gerade wirklich auf die Spitze getrieben worden ist.
Die Frage ist nämlich, wer sichert wen? Sichert sich der Staat gegenüber den möglicherweise wölfischen Menschen, die eigentlich eine böse Natur haben und die in Schach gehalten werden müssen, oder aber sichert sich die freie Bürgerschaft eine Freiheit gegenüber den Übergriffen des Staates, die keiner rechtlichen Regulierung unterliegen, weil der Staat, wie bei Hobbes ja auch vorgesehen, ein absoluter Staat sein soll, der also das Recht hat, zu befehlen und anzuordnen ohne rechtliche Kontrolle durch eine andere Gewalt. Also, Gewaltenteilung und so etwas gibt es da nicht.
Die Frage ist also, wie ist genau dieses Problem gelöst? Wer schützt sich vor wem? Und welche Freiheit von wem gegen wen? Das ist genau die Frage, die sich bei diesem Staatsphilosophen sehr deutlich gestellt hat und in einer bestimmten Weise gelöst worden ist – nämlich zu Gunsten eines allmächtigen, durchgreifenden Staates, der durch die Allmacht des Staates dann auch den Individuen ein gewisses Recht, eine gewisse Freiheit, sich zu entfalten, gesichert haben wollte.
Hanselmann: An welchem Punkt sind wir da gerade – wenn Sie diesen Überblick haben und ihn schildern – mit der deutschen Rechtsprechung?
Mensching: Nun, wir haben ja einen demokratischen Rechtsstaat, der durch die Gewaltenteilung charakterisiert ist, das ist eine große Errungenschaft – eine, die allerdings durch die Maßnahmen der Datensammlung, der geheimdienstlichen Behandlung von Individuen, Schleierfahndung nenne ich mal, Rasterfahndung war vorher schon ein Problem, und das Vorratsdatensicherungsgesetz, das ist ja ebenso etwas, was in der Tat viele Menschen sozusagen von vorne herein zu Verdächtigen macht.
Und diese Verdächtigung ist natürlich gegen die bürgerliche Freiheit. Und genau da sind wir natürlich an einem Punkt, der ganz ähnlich ist, wie schon im 17. Jahrhundert, dass der Staat da allmächtig wird und seine Gewaltenteilung wieder zurückzunehmen bestrebt ist.
Hanselmann: Wir haben eben gesprochen von dem Bild des Wolfes. Schwerstverbrecher werden ja auch oft als Monster, als Bestien bezeichnet, also gewissermaßen entmenschlicht. Wozu dient denn diese Dämonisierung?
Mensching: Die Dämonisierung dient dazu, dass man sagt, dass man Bestien, die irgendwo ihr Unwesen treiben und Schafe reißen und Ähnliches, dass man sie umbringt. Die Forderung nach der Todesstrafe ist ja meistens auch nicht mehr sehr weit davon, und das ist etwas, was wir in der Verfassung ausgeschlossen haben. Die gibt es nicht, und die sollte es auch nicht geben.
Ich meine schon, dass eine Entmenschlichung auch der schlimmsten Täter nicht angebracht ist, nicht möglich ist und nicht richtig ist, denn – wie gesagt – bei Hobbes ist ein anthropologisches Bild vorhanden: Der Mensch ist nun mal von Grund auf böse! Es gibt andere Auffassungen, die sagen: Nein, grundsätzlich ist er das nicht, er ist entweder das eine oder das andere, er ist vielleicht von Grund auf nur gut und korrumpiert worden – das haben wir bei Rosseau. Oder es gibt wieder andere Auffassungen, die sagen, er ist weder das eine noch das andere, sondern wird es erst durch die Verhältnisse, in denen er lebt. Das ist die Sache.
Und das Schlimme ist ja – dem muss man ins Auge sehen –, dass Menschen zu solchen Taten in der Lage sind. Und oft sind ja gerade solche Sexualtäter im bürgerlichen Leben völlig unauffällig, und man konnte sich gar nicht vorstellen, dass sie so etwas machen, dass sie Kinder vergewaltigen und umbringen und Ähnliches.
Hanselmann: Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt von einer Talkshowisierung der Gewalt. Viele Opfer sprechen ja über ihre Leiden in den Talkshows, und der Zuschauer bekommt dann den Eindruck, solche Verbrechen nähmen zu. Der Münchner Psychiater und Gutachter Franz Joseph Freisleder spricht von einer Spirale der Übertreibung. Sehen Sie auch überzogene Angstmacherei bei gewissen Medien mit der Folge dann des Rufes nach noch mehr Härte des Staates?
Mensching: Ja, das würde ich auch so sehen. Wir wissen ja gar nicht – oder man kann es sehr wohl vermuten, umgekehrt – man kann vermuten, dass die Berichterstattung wesentlich lückenloser ist gegenüber früheren Zeiten, wo man vieles nicht erfahren hat. Und jetzt erfährt man vieles, was dann gleichzeitig auch zur Dramatisierung genutzt wird und dann eben in der Tat als Showeffekt benutzt wird, und das dient sicherlich in der Weise nicht dazu, eine nüchterne Debatte und auch eine sachangemessene Debatte und Abwehr der Gefahren zu vollbringen.
Hanselmann: Was nicht einfach nicht, vielleicht für Sie auch nicht, denn es ist ja nun mal ein emotionales Thema, wie würden Sie sich denn fühlen, wenn Sie wüssten, einer Ihrer Nachbarn ist ein ehemaliger Schwerst-Sexualstraftäter?
Mensching: Ja, da würde ich mich erst einmal informieren: Wie ist er denn überhaupt wieder in Freiheit gekommen? Ist das jetzt einfach nur geschehen, weil eine Strafe abgelaufen ist, er wieder freigesetzt worden ist und man nachträglich nicht hat anordnen können, dass er sicherheitsverwahrt worden ist? Wie sehen denn die Gutachten aus? Wie war die Prognose, und Ähnliches? Das müsste man dann nüchternerweise sehen, ehe man sofort anfängt, ihn sofort wieder zu marginalisieren und auszusperren.
Aber Sie fragen mich ja jetzt selber nach der eigenen Einstellung dabei: Wohl wäre mir sicherlich nicht dabei, das ist klar, insbesondere mit Kindern möchte man doch in einer Umgebung leben, in der so jemand nicht wohnt, und man nicht den Gedanken irgendwie mal haben müsste, ja?
Hanselmann: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Therapierbarkeit von solchen Tätern ist eindeutig in den letzten Jahren geschwunden. Das muss man feststellen. Dadurch vergrößern sich natürlich auch die Ängste.
Mensching: Ja, sicher! Deswegen der Ruf danach, die Leute auf immer einzusperren. Ich weiß nicht, wie viele potenzielle Täter es überhaupt gibt, die triebmäßig so veranlagt sind, die man also deshalb eigentlich einsperren müsste, wenn man so argumentieren wollte. Grundsätzlich meine ich schon, dass man Menschen – auch solche Menschen – als Menschen behandeln muss, und nicht etwa als wilde Tiere, als völlig entartete Individuen. Dann kommen wir in Debatten, die wirklich aus dem Dritten Reich bekannt sind.
Hanselmann: Vielen Dank! Morgen spricht das Bundesverfassungsgericht das Urteil zur Sicherungsverwahrung. Darüber haben wir gesprochen mit dem pensionierten Philosophieprofessor Günter Mensching.