"Sie ist eine geniale Plotterin"
Auch der letzte Harry-Potter-Band ist für einige Überraschungen gut, findet der Literaturkritiker Michael Maar. Er lobt die Autorin der Reihe um den Zauberjungen, Joanne K. Rowling, für ihre Fähigkeit zur Konstruktion. So habe sie Figuren nebensächlich eingeführt in früheren Bänden, deren Schicksal sie im finalen Band geschickt und überraschend auflöst.
Gabi Wuttke: Stirbt Harry Potter oder stirbt er nicht? Wohl nie zuvor ist so gespannt auf das Ende eines literarischen Mehrteilers gewartet worden, wie im Fall des Zauberlehrlings mit der Narbe. Allein in den USA sind in der Nacht von Freitag auf Samstag zwölf Millionen Exemplare des siebten Harry-Potter-Bands ausgeliefert worden. Der Literaturkritiker und Essayist Michael Maar hat die ersten fünf Bände in einer sehr genauen Analyse zusammengefasst in dem Buch "Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte". Jetzt ist er im Studio, nachdem er sich das Wochenende über in die Lektüre des neuen Buchs vergraben hat. Guten Morgen, Herr Maar.
Michael Maar: Guten Morgen.
Wuttke: Sie kennen das Ende, Sie wollen es auch nicht verraten. Damit tun Sie den Fans einen Riesengefallen, aber irgendwie ja auch dem Verlag, der die Öffentlichkeit mit einer gigantischen Werbemaschine am Nasenring geführt hat. Müssen Sie sich also schon ein bisschen auf die Zunge beißen, oder fällt es nicht schwer?
Maar: Ich fand es nie so besonders wichtig, um die Wahrheit zu sagen, ob nun Harry stirbt oder nicht. Ich fand immer die einzelnen Züge der Handlung viel interessanter. Und die haben mich auch nicht enttäuscht. Ich muss noch ein kleines Wort sagen. Sie haben etwas charmant übertrieben gerade bei Ihrer Einführung. Mein Buch über Harry Potter war nicht mein Bestseller, aber ich schreibe ein neues, das im Frühjahr erscheint und vielleicht klappt es dann.
Wuttke: Lassen wir uns aber zu Ihrer Analyse kommen, mit denen Sie ja die ersten fünf Bände zusammengefasst haben. Jetzt haben Sie, natürlich nachdem Sie den sechsten gelesen haben, den siebten durch. Löst er Ihre Erwartungen ein?
Maar: Im Großen und Ganzen schon. Sie hat es geschafft, mich sozusagen doppelt zu befriedigen. Einerseits dadurch, dass ich wie mit einer Liste meine Prognosen abhaken konnte und da eine erfreulich hohe Trefferquote hatte, aber es wäre auf der anderen Seite enttäuschend gewesen, wenn sie zu hoch gewesen wäre. Denn wenn ich an diese Autorin glaube, muss sie uns ja auch immer wieder überraschen und uns immer wieder mit Neuigkeiten verblüffen. Und auch das ist ihr gelungen. Also insofern hat sie es geschafft, diese Falle irgendwie also nach beiden Seiten praktisch sich zu… sich daraus zu entwinden.
Wuttke: Inwiefern hat sie Ihre Erwartungen erfüllt? Was können Sie uns darüber sagen, ohne das zu tun, was Sie eben nicht wollen, uns ganz genau zu sagen, wer denn nun eigentlich stirbt und wie das Ende ist, wenn Sie sagen, es ist nicht so wichtig. Wo liegt die Spannung dieses siebten Buchs?
Maar: Die Spannung liegt darin, dass wir wissen, sie hat soundso viele, sie hat eine unendliche Menge von Fragen zu beantworten und wir wissen in vielen Fällen, das hieß, also, wie es gehen wird und in welche Richtung sie sich entwickeln wird, aber sie schafft es dann doch jedes Mal, der Sache einen neuen Twist zu geben.
Also, wenn ich ein kleines und relativ unverfängliches, Beispiel geben darf: Am Ende des dritten Bandes entpuppt sich eine scheinbare Ratte als ein Verräter namens Pettigrew, Wurmschwanz auf deutsch. Am Ende des vierten Bandes opfert dieser Wurmschwanz für seinen dunklen Lord Voldemort seine linke Hand, die ihm durch eine Hand aus Silber ersetzt wird. So, das ist also im vierten Band. Wir wissen oder wir ahnen zu Recht, dass dieser Wurmschwanz irgendwann mal Harry noch zur Hilfe kommen wird, weil er, also weil er ihm das Leben verschont hat. Und da ist eine Art magisches Band entstanden, wie wir wissen von Dumbledore. Also, wir wissen, irgendwann im siebten Band steckt Harry in der Falle und dann wird ihm Wurmschwanz helfen. Soviel wissen wir einfach.
Und es passiert, aber es passiert eben dann wieder auf eine sehr verblüffende Art und Weise, mit der wir nicht rechnen konnten. Denn tatsächlich Wurmschwanz, also tatsächlich Potter steckt in der Falle, er ist in einem Kerker und gefesselt und dann kommt Wurmschwanz rein und, also soll ihn schnappen. Und dann zuckt er eine Sekunde, dieser Wurmschwanz, weil er sich daran erinnert, dass er eigentlich ihm noch einen Dankbarkeitsdienst schuldet. Und dann passiert aber das, womit wir nicht rechnen konnten: Seine linke Hand aus Silber würgt sich um seinen eigenen Hals und er muss sich selbst erwürgen.
Das heißt aber, dass die Rowling schon im vierten Band wissen musste, dass drei Bände später das passieren wird. Denn, also nur darum ist es, ist es sinnvoll, ihm, also diese Hand aus Silber zu geben. Das ist also sehr genial von ihr konstruiert. Sie ist eine geniale Plotterin. Das sieht man immer wieder.
Wuttke: Das heißt, an diesem Punkt erfüllt sie Ihre Erwartungen, weil Sie ja auch in Ihrem Buch geschrieben haben, bei Joanne K. Rowling käme nichts aus dem Nichts und sie sei eine Meisterin der Konstruktion. Die Frage, die sich für mich stellt: Ist das, was Sie sozusagen vorausgeahnt haben, nur für einen erwachsenen Leser logisch vorauszunehmen? Ist das auch für Kinder und Jugendliche, die mit Harry Potter groß und älter geworden sind schon so, oder läuft das auf unterschiedlichen Ebenen ab?
Maar: Also, ich würde sagen, für, also die Jugendlichen sind ohnehin die besten Leser. Mein Cousin ist, nein, mein Neffe, Entschuldigung, hat das alles fünf oder sechsmal gelesen und kennt sich sehr viel besser aus als ich.
Wuttke: Der ist wie alt?
Maar: Ja, der ist jetzt, der wird jetzt 18. Aber er hat es eben mit 15 und 16 gelesen. Der kennt die Sachen auswendig. Und die finden alle diese Hints und Vorausweise und versteckte Motive schon sehr, sehr gut. Kinder nicht. Ich glaube, das Geheimnis, aber was heißt das Geheimnis, eins ihrer Geheimnisse ist, dass sie eben für die Kinder mit starken Gefühlen arbeitet, klare Gefühle, aber auch gemischte Gefühle, die ja auch Kinder haben. Und für die Erwachsenen eben mit diesen unglaublich raffinierten langsträhnigen Plots, wo sie also schon im ersten Band irgendwas pflanzt, was dann im fünften vielleicht erst wichtig wird. Und das hat sie wieder sehr schön bewiesen in diesem siebten Band.
Wuttke: Kritiken, die am Wochenende erschienen sind, bedauern, dass der Humor auf der Strecke geblieben sei und stattdessen die düsteren und dunkel-schwarzen Elemente in den Vordergrund getreten seien, wobei immer wieder, wie Sie es ja auch schon getan haben, daran erinnert wird, dass sie sich dem "Krieg der Sterne" und dem "Herrn der Ringe" doch immer mehr annähert.
Maar: Ja, die Kritik ist fast berechtigt, nicht vollständig. Sie wäre vollständig berechtigt, wenn sie sich auf den fünften Band bezöge. Bei dem ist es so. Da ist der Humor fast völlig ausgeschaltet. Im siebten gibt es doch immer wieder sehr schöne Einzelerfindungen. Also, zum Beispiel wenn sich Rowling alte Kindersprüche ausdenkt, die nur für die Zauberer herrschen. Da hat sie einfach wieder eine ganz große Sprachfantasie. Oder wenn sie Sprichwörter aus der Zaubererwelt sich ausdenkt. Also, wenn es bei uns heißt "Was kommt zuerst: Henne oder Ei?", dann heißt es bei ihr "Was ist zuerst: Phönix oder Feuer?" Ich meine, das ist einfach eine gute Idee. Da muss man erst mal drauf kommen. Und davon hat sie schon sehr vieles.
Insgesamt ist die Atmosphäre gar nicht so düster in diesem siebten Band. Die ist im fünften sehr viel düsterer. Man könnte eher sagen, im Gegenteil. Ich hab das Gefühl, am Schluss, da lässt sie sich so ein bisschen von der eigenen Rührung wegtragen und dann kommt dann ein Epilog, von dem ich jetzt auch nicht zu viel verraten will, aber der sehr umstritten ist, wie ich jetzt schon ahne.
Wuttke: Durchaus. Ich muss sagen, wir beide kennen das Ende. Wir müssen es, ich aus Berufsgründen und Sie, weil es Sie einfach interessiert hat und weil Sie es auch für Ihr neues Buch dann brauchen, aber was Sie auch immer schon angemerkt haben, war diese Ideologie, die Rowling mit eingewoben hat in die letzten Teile. Jetzt kann man glaube ich, ohne etwas zu verraten, sagen, sie unterstreicht noch mal die Unsinnigkeit von Stammbäumen und Blutlinien. Wie wichtig ist das für die Konstruktion dieser Geschichte oder überhaupt für den Rahmen, den sie uns auch im siebten Band gibt?
Maar: Das ist schon sehr wichtig. Und Sie deuten gerade an, dass bei Rowling es fast schon so was wie eine Art von politischer Allegorie gebe. Und das ist tatsächlich im siebten Band frappierend. Da gibt es also, als dann die, ich meine, auch soviel kann man vorwegnehmen, als dann Lord Voldemort das Regime übernimmt, dann wird streng nach Rasse dann entschieden und das erinnert ganz stark an die Judensterndinge. Also, da ist es ja auch nicht zufällig so, dass 1945 dann der Grindelwald fällt durch die Hand von Dumbledore, also der böse Schwarzmagier, durch die Hand des guten Schwarzmagiers. Und auch Slytherin, also mit SS abgekürzt, Salazar Slytherin ist ja auch nicht zufällig, also, da ist eine fast schon, man könnte sagen, etwas plumpe Allegorie, die sich dahinter versteckt.
Und, ja, klar, natürlich, das ist ganz entscheidend, dass eben am Schluss von jedem kapiert wird, es kommt nicht darauf an, aus welchem Haus man ist, sondern es kommt darauf an, wie man sich selbst entscheidet. Und diese, ja gut, diese, diese etwas gutwillige Ideologie, die trägt diese sieben Bände nicht nur, aber sie ist darin enthalten.
Wuttke: Michael Maar im Gespräch bei Deutschlandradio Kultur über den neuen, den angekündigt letzten Harry-Potter-Band. Die ersten Bände, fand ich, waren noch vom Personal her, ziemlich übersichtlich. Aber Sie haben auch geschrieben, die Personen würden mit einer Balance der Kräfte eingesetzt. Für mich hat sich das in den letzten Bänden immer weiter verkompliziert. Und manchmal hatte ich auch das Gefühl, Joanne K. Rowling hätte sich vergaloppiert. Einfach um einer Logik Genüge zu tun, die sie irgendwann mal auf ihr Finale zuführen sollte.
Maar: Ja, sie führt im siebten Band eine Menge von Figuren ein, die nicht mehr besonders wichtig sind, sie vergisst ein paar Figuren.
Wuttke: Ach, hätten Sie das gedacht?
Maar: Nein. Eigentlich nicht. Also, zum Beispiel, ich war mir absolut sicher, wobei, da muss ich mich jetzt selbst unterbrechen. Ich hab fast das Gefühl, dass sie reagiert auf diese ganzen Prognosen. Also, ich hab das Gefühl, dass sie im dritten Band fest entschlossen war, noch aus der Katze von Hermine was zu machen, weil die alles weiß und so, das ist also keine normale Katze, auch keine Zaubererkatze. Da steckt was ganz anderes dahinter.
Wuttke: An diesem Punkt sind Ihre Erwartungen also nicht erfüllt worden? Und Ihre Voraussagen?
Maar: An diesem Punkt sind sie nicht ... sondern nein, die vergisst sie einfach. Die kommt einfach nicht mehr vor. Und sind ein paar lose Fäden dann doch noch geblieben. Aber was die Hauptfiguren betrifft, im Gegenteil, da hat sie mich wieder doch dann sehr verblüfft und auch sehr angenehm überrascht. Also, es gibt zwei Hauselfen, einen bösen und einen guten. Und was aus denen wird, das ist wirklich sehr gut. Da muss ich sagen: Hut ab.
Wuttke: Sie haben gesagt, am Ende von allem wird die Frage der Schuld stehen. Nun sage ich, am Ende von allem steht die Liebe. Haben Sie mit einem solchen Ende gerechnet?
Maar: Nun, dass die, also, die großen Themen sind natürlich, dass die Liebe den Tod überwindet, aber das haben wir ja schon seit Thomas Manns "Zauberberg" verstanden. Das ist also nicht das Neue eigentlich. Aber auch dort, auch im "Zauberberg" und in anderen Werken der großen Literatur, spielt die Schuld immer wieder eine verblüffend große Rolle. Und so auch hier. Und zwar sogar in noch stärkerem Maße, als ich es gedacht hatte. Denn wir erfahren jetzt, dass selbst Dumbledore ein paar Leichen im Keller hat.
Wuttke: Und damit geben wir also den Zauberstab weiter an die Leserinnen und Leser, die den letzten Band von Harry Potter noch nicht gelesen haben. Vielen Dank Michael Maar, ein großer Verehrer von Harry Potter und Joanne K. Rowling. Das neuste Buch von Michael Maar ist im Frühjahr erschienen, es heißt "Leoparden im Tempel" und demnächst, wie gehört, kommt dann ein neues Buch von ihm. Vielen Dank, dass Sie bei uns im Studio waren.
Michael Maar: Guten Morgen.
Wuttke: Sie kennen das Ende, Sie wollen es auch nicht verraten. Damit tun Sie den Fans einen Riesengefallen, aber irgendwie ja auch dem Verlag, der die Öffentlichkeit mit einer gigantischen Werbemaschine am Nasenring geführt hat. Müssen Sie sich also schon ein bisschen auf die Zunge beißen, oder fällt es nicht schwer?
Maar: Ich fand es nie so besonders wichtig, um die Wahrheit zu sagen, ob nun Harry stirbt oder nicht. Ich fand immer die einzelnen Züge der Handlung viel interessanter. Und die haben mich auch nicht enttäuscht. Ich muss noch ein kleines Wort sagen. Sie haben etwas charmant übertrieben gerade bei Ihrer Einführung. Mein Buch über Harry Potter war nicht mein Bestseller, aber ich schreibe ein neues, das im Frühjahr erscheint und vielleicht klappt es dann.
Wuttke: Lassen wir uns aber zu Ihrer Analyse kommen, mit denen Sie ja die ersten fünf Bände zusammengefasst haben. Jetzt haben Sie, natürlich nachdem Sie den sechsten gelesen haben, den siebten durch. Löst er Ihre Erwartungen ein?
Maar: Im Großen und Ganzen schon. Sie hat es geschafft, mich sozusagen doppelt zu befriedigen. Einerseits dadurch, dass ich wie mit einer Liste meine Prognosen abhaken konnte und da eine erfreulich hohe Trefferquote hatte, aber es wäre auf der anderen Seite enttäuschend gewesen, wenn sie zu hoch gewesen wäre. Denn wenn ich an diese Autorin glaube, muss sie uns ja auch immer wieder überraschen und uns immer wieder mit Neuigkeiten verblüffen. Und auch das ist ihr gelungen. Also insofern hat sie es geschafft, diese Falle irgendwie also nach beiden Seiten praktisch sich zu… sich daraus zu entwinden.
Wuttke: Inwiefern hat sie Ihre Erwartungen erfüllt? Was können Sie uns darüber sagen, ohne das zu tun, was Sie eben nicht wollen, uns ganz genau zu sagen, wer denn nun eigentlich stirbt und wie das Ende ist, wenn Sie sagen, es ist nicht so wichtig. Wo liegt die Spannung dieses siebten Buchs?
Maar: Die Spannung liegt darin, dass wir wissen, sie hat soundso viele, sie hat eine unendliche Menge von Fragen zu beantworten und wir wissen in vielen Fällen, das hieß, also, wie es gehen wird und in welche Richtung sie sich entwickeln wird, aber sie schafft es dann doch jedes Mal, der Sache einen neuen Twist zu geben.
Also, wenn ich ein kleines und relativ unverfängliches, Beispiel geben darf: Am Ende des dritten Bandes entpuppt sich eine scheinbare Ratte als ein Verräter namens Pettigrew, Wurmschwanz auf deutsch. Am Ende des vierten Bandes opfert dieser Wurmschwanz für seinen dunklen Lord Voldemort seine linke Hand, die ihm durch eine Hand aus Silber ersetzt wird. So, das ist also im vierten Band. Wir wissen oder wir ahnen zu Recht, dass dieser Wurmschwanz irgendwann mal Harry noch zur Hilfe kommen wird, weil er, also weil er ihm das Leben verschont hat. Und da ist eine Art magisches Band entstanden, wie wir wissen von Dumbledore. Also, wir wissen, irgendwann im siebten Band steckt Harry in der Falle und dann wird ihm Wurmschwanz helfen. Soviel wissen wir einfach.
Und es passiert, aber es passiert eben dann wieder auf eine sehr verblüffende Art und Weise, mit der wir nicht rechnen konnten. Denn tatsächlich Wurmschwanz, also tatsächlich Potter steckt in der Falle, er ist in einem Kerker und gefesselt und dann kommt Wurmschwanz rein und, also soll ihn schnappen. Und dann zuckt er eine Sekunde, dieser Wurmschwanz, weil er sich daran erinnert, dass er eigentlich ihm noch einen Dankbarkeitsdienst schuldet. Und dann passiert aber das, womit wir nicht rechnen konnten: Seine linke Hand aus Silber würgt sich um seinen eigenen Hals und er muss sich selbst erwürgen.
Das heißt aber, dass die Rowling schon im vierten Band wissen musste, dass drei Bände später das passieren wird. Denn, also nur darum ist es, ist es sinnvoll, ihm, also diese Hand aus Silber zu geben. Das ist also sehr genial von ihr konstruiert. Sie ist eine geniale Plotterin. Das sieht man immer wieder.
Wuttke: Das heißt, an diesem Punkt erfüllt sie Ihre Erwartungen, weil Sie ja auch in Ihrem Buch geschrieben haben, bei Joanne K. Rowling käme nichts aus dem Nichts und sie sei eine Meisterin der Konstruktion. Die Frage, die sich für mich stellt: Ist das, was Sie sozusagen vorausgeahnt haben, nur für einen erwachsenen Leser logisch vorauszunehmen? Ist das auch für Kinder und Jugendliche, die mit Harry Potter groß und älter geworden sind schon so, oder läuft das auf unterschiedlichen Ebenen ab?
Maar: Also, ich würde sagen, für, also die Jugendlichen sind ohnehin die besten Leser. Mein Cousin ist, nein, mein Neffe, Entschuldigung, hat das alles fünf oder sechsmal gelesen und kennt sich sehr viel besser aus als ich.
Wuttke: Der ist wie alt?
Maar: Ja, der ist jetzt, der wird jetzt 18. Aber er hat es eben mit 15 und 16 gelesen. Der kennt die Sachen auswendig. Und die finden alle diese Hints und Vorausweise und versteckte Motive schon sehr, sehr gut. Kinder nicht. Ich glaube, das Geheimnis, aber was heißt das Geheimnis, eins ihrer Geheimnisse ist, dass sie eben für die Kinder mit starken Gefühlen arbeitet, klare Gefühle, aber auch gemischte Gefühle, die ja auch Kinder haben. Und für die Erwachsenen eben mit diesen unglaublich raffinierten langsträhnigen Plots, wo sie also schon im ersten Band irgendwas pflanzt, was dann im fünften vielleicht erst wichtig wird. Und das hat sie wieder sehr schön bewiesen in diesem siebten Band.
Wuttke: Kritiken, die am Wochenende erschienen sind, bedauern, dass der Humor auf der Strecke geblieben sei und stattdessen die düsteren und dunkel-schwarzen Elemente in den Vordergrund getreten seien, wobei immer wieder, wie Sie es ja auch schon getan haben, daran erinnert wird, dass sie sich dem "Krieg der Sterne" und dem "Herrn der Ringe" doch immer mehr annähert.
Maar: Ja, die Kritik ist fast berechtigt, nicht vollständig. Sie wäre vollständig berechtigt, wenn sie sich auf den fünften Band bezöge. Bei dem ist es so. Da ist der Humor fast völlig ausgeschaltet. Im siebten gibt es doch immer wieder sehr schöne Einzelerfindungen. Also, zum Beispiel wenn sich Rowling alte Kindersprüche ausdenkt, die nur für die Zauberer herrschen. Da hat sie einfach wieder eine ganz große Sprachfantasie. Oder wenn sie Sprichwörter aus der Zaubererwelt sich ausdenkt. Also, wenn es bei uns heißt "Was kommt zuerst: Henne oder Ei?", dann heißt es bei ihr "Was ist zuerst: Phönix oder Feuer?" Ich meine, das ist einfach eine gute Idee. Da muss man erst mal drauf kommen. Und davon hat sie schon sehr vieles.
Insgesamt ist die Atmosphäre gar nicht so düster in diesem siebten Band. Die ist im fünften sehr viel düsterer. Man könnte eher sagen, im Gegenteil. Ich hab das Gefühl, am Schluss, da lässt sie sich so ein bisschen von der eigenen Rührung wegtragen und dann kommt dann ein Epilog, von dem ich jetzt auch nicht zu viel verraten will, aber der sehr umstritten ist, wie ich jetzt schon ahne.
Wuttke: Durchaus. Ich muss sagen, wir beide kennen das Ende. Wir müssen es, ich aus Berufsgründen und Sie, weil es Sie einfach interessiert hat und weil Sie es auch für Ihr neues Buch dann brauchen, aber was Sie auch immer schon angemerkt haben, war diese Ideologie, die Rowling mit eingewoben hat in die letzten Teile. Jetzt kann man glaube ich, ohne etwas zu verraten, sagen, sie unterstreicht noch mal die Unsinnigkeit von Stammbäumen und Blutlinien. Wie wichtig ist das für die Konstruktion dieser Geschichte oder überhaupt für den Rahmen, den sie uns auch im siebten Band gibt?
Maar: Das ist schon sehr wichtig. Und Sie deuten gerade an, dass bei Rowling es fast schon so was wie eine Art von politischer Allegorie gebe. Und das ist tatsächlich im siebten Band frappierend. Da gibt es also, als dann die, ich meine, auch soviel kann man vorwegnehmen, als dann Lord Voldemort das Regime übernimmt, dann wird streng nach Rasse dann entschieden und das erinnert ganz stark an die Judensterndinge. Also, da ist es ja auch nicht zufällig so, dass 1945 dann der Grindelwald fällt durch die Hand von Dumbledore, also der böse Schwarzmagier, durch die Hand des guten Schwarzmagiers. Und auch Slytherin, also mit SS abgekürzt, Salazar Slytherin ist ja auch nicht zufällig, also, da ist eine fast schon, man könnte sagen, etwas plumpe Allegorie, die sich dahinter versteckt.
Und, ja, klar, natürlich, das ist ganz entscheidend, dass eben am Schluss von jedem kapiert wird, es kommt nicht darauf an, aus welchem Haus man ist, sondern es kommt darauf an, wie man sich selbst entscheidet. Und diese, ja gut, diese, diese etwas gutwillige Ideologie, die trägt diese sieben Bände nicht nur, aber sie ist darin enthalten.
Wuttke: Michael Maar im Gespräch bei Deutschlandradio Kultur über den neuen, den angekündigt letzten Harry-Potter-Band. Die ersten Bände, fand ich, waren noch vom Personal her, ziemlich übersichtlich. Aber Sie haben auch geschrieben, die Personen würden mit einer Balance der Kräfte eingesetzt. Für mich hat sich das in den letzten Bänden immer weiter verkompliziert. Und manchmal hatte ich auch das Gefühl, Joanne K. Rowling hätte sich vergaloppiert. Einfach um einer Logik Genüge zu tun, die sie irgendwann mal auf ihr Finale zuführen sollte.
Maar: Ja, sie führt im siebten Band eine Menge von Figuren ein, die nicht mehr besonders wichtig sind, sie vergisst ein paar Figuren.
Wuttke: Ach, hätten Sie das gedacht?
Maar: Nein. Eigentlich nicht. Also, zum Beispiel, ich war mir absolut sicher, wobei, da muss ich mich jetzt selbst unterbrechen. Ich hab fast das Gefühl, dass sie reagiert auf diese ganzen Prognosen. Also, ich hab das Gefühl, dass sie im dritten Band fest entschlossen war, noch aus der Katze von Hermine was zu machen, weil die alles weiß und so, das ist also keine normale Katze, auch keine Zaubererkatze. Da steckt was ganz anderes dahinter.
Wuttke: An diesem Punkt sind Ihre Erwartungen also nicht erfüllt worden? Und Ihre Voraussagen?
Maar: An diesem Punkt sind sie nicht ... sondern nein, die vergisst sie einfach. Die kommt einfach nicht mehr vor. Und sind ein paar lose Fäden dann doch noch geblieben. Aber was die Hauptfiguren betrifft, im Gegenteil, da hat sie mich wieder doch dann sehr verblüfft und auch sehr angenehm überrascht. Also, es gibt zwei Hauselfen, einen bösen und einen guten. Und was aus denen wird, das ist wirklich sehr gut. Da muss ich sagen: Hut ab.
Wuttke: Sie haben gesagt, am Ende von allem wird die Frage der Schuld stehen. Nun sage ich, am Ende von allem steht die Liebe. Haben Sie mit einem solchen Ende gerechnet?
Maar: Nun, dass die, also, die großen Themen sind natürlich, dass die Liebe den Tod überwindet, aber das haben wir ja schon seit Thomas Manns "Zauberberg" verstanden. Das ist also nicht das Neue eigentlich. Aber auch dort, auch im "Zauberberg" und in anderen Werken der großen Literatur, spielt die Schuld immer wieder eine verblüffend große Rolle. Und so auch hier. Und zwar sogar in noch stärkerem Maße, als ich es gedacht hatte. Denn wir erfahren jetzt, dass selbst Dumbledore ein paar Leichen im Keller hat.
Wuttke: Und damit geben wir also den Zauberstab weiter an die Leserinnen und Leser, die den letzten Band von Harry Potter noch nicht gelesen haben. Vielen Dank Michael Maar, ein großer Verehrer von Harry Potter und Joanne K. Rowling. Das neuste Buch von Michael Maar ist im Frühjahr erschienen, es heißt "Leoparden im Tempel" und demnächst, wie gehört, kommt dann ein neues Buch von ihm. Vielen Dank, dass Sie bei uns im Studio waren.