"Sie ist eine wirkliche Bildhauerin"
Isa Genzken "hat eine enorme intuitive Kraft und zieht die Dinge dann auch sehr konzentriert durch", sagt der Kunstprofessor und Ausstellungsmacher Kasper König. Das New Yorker Museum of Modern Art widmet ihr nun eine Retrospektive - "das Timing könnte nicht besser sein".
Stephan Karkowsky: Das Museum of Modern Art in New York, das ist für Künstler noch immer die allererste Adresse – eine MoMA-Retrospektive gleicht einem Ritterschlag. Doch im Fall Isa Genzken muss man eher fragen, warum hat das eigentlich so lange gedauert. Erst kurz vor ihrem 65. Geburtstag wird die Wahlberlinerin morgen ins MoMA eingeladen, und dort gesteht man ganz freimütig: Ihr Frühwerk, das ist in den USA weitgehend unbekannt, vieles wird zum ersten Mal überhaupt auf der anderen Seite des Atlantiks gezeigt. Wie kommt’s?, fragen wir Kunstprofessor Kasper König. Er ist der Kurator der zehnten Manifesta St. Petersburg, und er hat Isa Genzken lange vor dem MoMA ausgestellt, als er nämlich noch Leiter des Museums Ludwig in Köln war. Herr König, guten Tag.
Kasper König: Guten Tag.
Karkowsky: Erzählen Sie uns von Isa Genzken. Wer ist sie, wie würden Sie ihre Kunst beschreiben?
König: Das Museum of Modern Art ist eine Institution, die quasi den Anfang und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts definiert hat. Die haben sozusagen den Kanon bestimmt – also entweder der Kreml oder der Vatikan sozusagen der Avantgarde. Inzwischen ist es natürlich wie all diese Dinge eine richtige Maschine, die viele, viele, viele Touristen, Besucher und so weiter abholt auf höchstem Niveau. Insofern ist Isa Genzken ein sehr großer Glücksfall für das Museum of Modern Art, weil die natürlich nicht nur immer interessiert sind zu bestätigen, was gerade sozusagen besonders geschätzt wird, sondern auch eine Gegenposition oder auch eine, die, na ja, eine gewisse Punk-Ästhetik auch hat, die inzwischen angekommen ist. Also diese Situation, mit Isa Genzken dort eine Ausstellung zu machen, das Timing könnte nicht besser sein.
Karkowsky: Wo kommt sie denn her? Sie beiden kennen sich ja schon sehr lange.
König: Na ja, ich kenne ihre Arbeit, erstmalig gesehen in Krefeld, das waren diese sehr objektiv geformten Spindeln, sehr technoide Skulpturen, extrem elegant, aber etwas, was überhaupt nicht in den Kanon der Zeit passte, die sehr minimalistisch war. Und das ist etwas, was – da ist sie sich immer wieder treu geblieben … die hat eine enorme intuitive Kraft und zieht die Dinge dann auch sehr konzentriert durch. Sie ist eine wirkliche Bildhauerin, und das war natürlich eine Domäne, die vor 30 Jahren fest in männlicher Hand war, so wie die Architektur auch, und das hat sich Gott sei Dank nicht nur verändert, sondern ist auch eine enorme Bereicherung.
Karkowsky: Wie würden Sie denn einem Kunstlaien erklären, dass Isa Genzken heute häufig als eine der bedeutendsten lebenden deutschen Künstlerinnen genannt wird, vielleicht sogar die bedeutendste?
König: Na ja, ich glaube, dass diese Kategorisierung, zehn Mal oder ich weiß nicht wie oft auf der Documenta und bedeutenderen noch … das sind alles Kategorien, die eigentlich ästhetisch gar nichts bedeuten. Viel größer ist die Wichtigkeit, die das auf junge Künstlerinnen und Künstler hat. Also ich würde erst einmal sagen, die Frau ist kompromisslos, sie ist wirklich radikal, aber radikal im Sinne sozusagen für die Schönheit, für das Wesentliche, das Absolute, und das schafft sie immer wieder mit einer großen Spannbreite. Also sie hat zum Beispiel bei der letzten Ausstellung in Münster … um eine sehr schöne Kirche hat sie verschiedene Konstellationen aufgebaut mit bunten Schirmen, zum Teil mit Werbung, mit Gartenstühlen, Camping-artig, wo sehr teure Puppen da rumhängen, abhängen sozusagen.
Einerseits kann man das kommentieren wie eine Wohlstandsverwahrlosung von Kindern, die einfach ruhiggestellt werden mit allem möglichen Konsumkram, und zugleich auch, na ja, wo diese Kinder dem ausgesetzt sind, auch nachts, es könnte vandalisisiert werden. Und das war eine sehr eindrucksvolle Arbeit, und erstaunlicherweise, auch Leute, die mit Kunst sonst nichts am Hut haben, bemerkten, davon geht sozusagen eine Energie aus. Das ist sehr schön und auch erschreckend. Und so was schafft sie immer wieder, also das muss man sagen, ist ihre Stärke.
Karkowsky: Nun will der Kunstmarkt ja auch bedient werden. Isa Genzken war über zehn Jahre mit Gerhard Richter verheiratet, das weiß man, der scheint die Spielregeln besser zu beherrschen, er ist mittlerweile der teuerste lebende Maler Deutschlands, was er selbst absurd findet. Hat Isa Genzken sich denn dem, was Kuratoren, Galeristen und Sammler von ihr wollten, eher verweigert?
König: Dass die beiden verheiratet waren, das hat sicher auch eine Bedeutung für die jeweiligen Künstler. Also ich denke, da war auch eine große Affinität der gegenseitigen Steigerung und Beeinflussung, und das mit dem ökonomischen Erfolg, na ja gut, das ist eben auch eine Realität. Aber ich glaube, das ist ein bisschen kurz gegriffen, wenn man Richter jetzt einfach nur als teuren oder den teuersten Maler oder was sieht, und Isa Genzken, die natürlich in ihrer Sprödigkeit nicht unbedingt so einfach zu rezipieren ist. Es gibt zum Beispiel eine Ausstellung, die sie gemacht hat: "Jeder Mensch braucht mindestens ein Fenster." Also das ist sozusagen ein Appell, ein grundsätzlicher Appell. Und ich glaube, die Preise könnten vielleicht höher sein, die werden sich auch irgendwann steigern, aber das ist etwas, was Isa Genzken, glaube ich, auch nicht so sehr betrifft.
Karkowsky: Zur Retrospektive von Isa Genzken im MoMA in New York hören Sie Kaspar König, den Kurator der zehnten Manifesta in St. Petersburg. Herr König, Sie wissen, dass Isa Genzken eine sehr enge Beziehung zu New York hat, sie war am 11. September 2001 selbst dort, als die Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen. Hat sie Ihnen die Geschichte erzählt?
König: Na ja, sie hat eine große Affinität zur Architektur, und ich sehe sie eigentlich auch als Architektin. Sie kann also mit Räumen fantastisch umgehen, und die Nähe sozusagen zu New York, das kann ich nachvollziehen. Sie hat zum Beispiel über Chicago einen grandiosen Film gemacht, und der ist wirklich unbedingt sehenswert, weil sie quasi zeigt, was das für eine Stadt ist des 19. Jahrhunderts, die Ingenieurkunst, und sie kann das historisch auch wunderbar einordnen, auch in Beziehung zur Musik und zum Jazz und so weiter. Das ist vollkommen klar, unmissverständlich, auch sehr interessant für ein junges Publikum, die mehr irgendwie über die Musik Dinge wahrnehmen, sieht man dann plötzlich, was Architektur sein kann – nicht irgendwie nur Konsumkram, sondern sehr existenziell. Also da verstehe ich auch ihre Liebe zu New York.
Karkowsky: Sie hat dann noch ähnliche Dinge gemacht für Berlin und New York, zum Beispiel Häuser entwickelt, wie der Potsdamer Platz heute aussehen könnte, und ein ähnliches Projekt für New York gemacht, Empire Vampire. Sie war viel dort, hat auch selber in New York schon ausgestellt in einer Galerie, aber das MoMA hat sie so spät entdeckt – wie kommt’s, wie bewerten Sie das?
König: Na ja, das würde ich nicht sagen, spät entdeckt. Sie hat zum Beispiel in New York eine Ausstellung gemacht in so einer Alternativgalerie mit dem provokanten Namen "Fuck the Bauhaus", und das war natürlich sehr auf den Punkt gebracht. Da geht es also nicht um das Bauhaus, sondern über die Anwendung von dem, was Bauhaus, der Gedanke mal war, konsumeristisch, und dagegen wendet sie sich – so wie eben der Potsdamer Platz ja auch eine total banale Architektur ist. Und Mies zum Beispiel hat ja Entwürfe gemacht für den Potsdamer Platz, darauf bezieht sie sich. Und mit dem MoMA sollte jetzt … die hat zum Beispiel im Katalog Jasper Johns und sich selber gewidmet, und das ist natürlich eine fantastische Sache, dass man eine Ausstellung sich selber widmet. Das bringt aber Isa Genzken, und in dem Falle ist es auch vollkommen legitim. Ein anderer würde dann sagen, sag mal, die sind ja total durchgeknallt und hypertroph, man kann sich doch selber nicht eine Ausstellung widmen oder den Katalog zur Ausstellung. Sie kann es sehr wohl, weil sie bezieht sich ja auf nicht ihr eigenes Ego, sondern auf das, für was sie einsteht, für ihre Arbeit, künstlerische Arbeit.
Karkowsky: Morgen eröffnet im MoMA in New York die Retrospektive Isa Genzken. Für diese Einführung danke ich dem Kurator der zehnten Manifesta St. Petersburg, Kasper König. Ihnen herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Informationen des MoMA zur Retrospektive von Isa Genzken in New York
Kasper König: Guten Tag.
Karkowsky: Erzählen Sie uns von Isa Genzken. Wer ist sie, wie würden Sie ihre Kunst beschreiben?
König: Das Museum of Modern Art ist eine Institution, die quasi den Anfang und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts definiert hat. Die haben sozusagen den Kanon bestimmt – also entweder der Kreml oder der Vatikan sozusagen der Avantgarde. Inzwischen ist es natürlich wie all diese Dinge eine richtige Maschine, die viele, viele, viele Touristen, Besucher und so weiter abholt auf höchstem Niveau. Insofern ist Isa Genzken ein sehr großer Glücksfall für das Museum of Modern Art, weil die natürlich nicht nur immer interessiert sind zu bestätigen, was gerade sozusagen besonders geschätzt wird, sondern auch eine Gegenposition oder auch eine, die, na ja, eine gewisse Punk-Ästhetik auch hat, die inzwischen angekommen ist. Also diese Situation, mit Isa Genzken dort eine Ausstellung zu machen, das Timing könnte nicht besser sein.
Karkowsky: Wo kommt sie denn her? Sie beiden kennen sich ja schon sehr lange.
König: Na ja, ich kenne ihre Arbeit, erstmalig gesehen in Krefeld, das waren diese sehr objektiv geformten Spindeln, sehr technoide Skulpturen, extrem elegant, aber etwas, was überhaupt nicht in den Kanon der Zeit passte, die sehr minimalistisch war. Und das ist etwas, was – da ist sie sich immer wieder treu geblieben … die hat eine enorme intuitive Kraft und zieht die Dinge dann auch sehr konzentriert durch. Sie ist eine wirkliche Bildhauerin, und das war natürlich eine Domäne, die vor 30 Jahren fest in männlicher Hand war, so wie die Architektur auch, und das hat sich Gott sei Dank nicht nur verändert, sondern ist auch eine enorme Bereicherung.
Karkowsky: Wie würden Sie denn einem Kunstlaien erklären, dass Isa Genzken heute häufig als eine der bedeutendsten lebenden deutschen Künstlerinnen genannt wird, vielleicht sogar die bedeutendste?
König: Na ja, ich glaube, dass diese Kategorisierung, zehn Mal oder ich weiß nicht wie oft auf der Documenta und bedeutenderen noch … das sind alles Kategorien, die eigentlich ästhetisch gar nichts bedeuten. Viel größer ist die Wichtigkeit, die das auf junge Künstlerinnen und Künstler hat. Also ich würde erst einmal sagen, die Frau ist kompromisslos, sie ist wirklich radikal, aber radikal im Sinne sozusagen für die Schönheit, für das Wesentliche, das Absolute, und das schafft sie immer wieder mit einer großen Spannbreite. Also sie hat zum Beispiel bei der letzten Ausstellung in Münster … um eine sehr schöne Kirche hat sie verschiedene Konstellationen aufgebaut mit bunten Schirmen, zum Teil mit Werbung, mit Gartenstühlen, Camping-artig, wo sehr teure Puppen da rumhängen, abhängen sozusagen.
Einerseits kann man das kommentieren wie eine Wohlstandsverwahrlosung von Kindern, die einfach ruhiggestellt werden mit allem möglichen Konsumkram, und zugleich auch, na ja, wo diese Kinder dem ausgesetzt sind, auch nachts, es könnte vandalisisiert werden. Und das war eine sehr eindrucksvolle Arbeit, und erstaunlicherweise, auch Leute, die mit Kunst sonst nichts am Hut haben, bemerkten, davon geht sozusagen eine Energie aus. Das ist sehr schön und auch erschreckend. Und so was schafft sie immer wieder, also das muss man sagen, ist ihre Stärke.
Karkowsky: Nun will der Kunstmarkt ja auch bedient werden. Isa Genzken war über zehn Jahre mit Gerhard Richter verheiratet, das weiß man, der scheint die Spielregeln besser zu beherrschen, er ist mittlerweile der teuerste lebende Maler Deutschlands, was er selbst absurd findet. Hat Isa Genzken sich denn dem, was Kuratoren, Galeristen und Sammler von ihr wollten, eher verweigert?
König: Dass die beiden verheiratet waren, das hat sicher auch eine Bedeutung für die jeweiligen Künstler. Also ich denke, da war auch eine große Affinität der gegenseitigen Steigerung und Beeinflussung, und das mit dem ökonomischen Erfolg, na ja gut, das ist eben auch eine Realität. Aber ich glaube, das ist ein bisschen kurz gegriffen, wenn man Richter jetzt einfach nur als teuren oder den teuersten Maler oder was sieht, und Isa Genzken, die natürlich in ihrer Sprödigkeit nicht unbedingt so einfach zu rezipieren ist. Es gibt zum Beispiel eine Ausstellung, die sie gemacht hat: "Jeder Mensch braucht mindestens ein Fenster." Also das ist sozusagen ein Appell, ein grundsätzlicher Appell. Und ich glaube, die Preise könnten vielleicht höher sein, die werden sich auch irgendwann steigern, aber das ist etwas, was Isa Genzken, glaube ich, auch nicht so sehr betrifft.
Karkowsky: Zur Retrospektive von Isa Genzken im MoMA in New York hören Sie Kaspar König, den Kurator der zehnten Manifesta in St. Petersburg. Herr König, Sie wissen, dass Isa Genzken eine sehr enge Beziehung zu New York hat, sie war am 11. September 2001 selbst dort, als die Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen. Hat sie Ihnen die Geschichte erzählt?
König: Na ja, sie hat eine große Affinität zur Architektur, und ich sehe sie eigentlich auch als Architektin. Sie kann also mit Räumen fantastisch umgehen, und die Nähe sozusagen zu New York, das kann ich nachvollziehen. Sie hat zum Beispiel über Chicago einen grandiosen Film gemacht, und der ist wirklich unbedingt sehenswert, weil sie quasi zeigt, was das für eine Stadt ist des 19. Jahrhunderts, die Ingenieurkunst, und sie kann das historisch auch wunderbar einordnen, auch in Beziehung zur Musik und zum Jazz und so weiter. Das ist vollkommen klar, unmissverständlich, auch sehr interessant für ein junges Publikum, die mehr irgendwie über die Musik Dinge wahrnehmen, sieht man dann plötzlich, was Architektur sein kann – nicht irgendwie nur Konsumkram, sondern sehr existenziell. Also da verstehe ich auch ihre Liebe zu New York.
Karkowsky: Sie hat dann noch ähnliche Dinge gemacht für Berlin und New York, zum Beispiel Häuser entwickelt, wie der Potsdamer Platz heute aussehen könnte, und ein ähnliches Projekt für New York gemacht, Empire Vampire. Sie war viel dort, hat auch selber in New York schon ausgestellt in einer Galerie, aber das MoMA hat sie so spät entdeckt – wie kommt’s, wie bewerten Sie das?
König: Na ja, das würde ich nicht sagen, spät entdeckt. Sie hat zum Beispiel in New York eine Ausstellung gemacht in so einer Alternativgalerie mit dem provokanten Namen "Fuck the Bauhaus", und das war natürlich sehr auf den Punkt gebracht. Da geht es also nicht um das Bauhaus, sondern über die Anwendung von dem, was Bauhaus, der Gedanke mal war, konsumeristisch, und dagegen wendet sie sich – so wie eben der Potsdamer Platz ja auch eine total banale Architektur ist. Und Mies zum Beispiel hat ja Entwürfe gemacht für den Potsdamer Platz, darauf bezieht sie sich. Und mit dem MoMA sollte jetzt … die hat zum Beispiel im Katalog Jasper Johns und sich selber gewidmet, und das ist natürlich eine fantastische Sache, dass man eine Ausstellung sich selber widmet. Das bringt aber Isa Genzken, und in dem Falle ist es auch vollkommen legitim. Ein anderer würde dann sagen, sag mal, die sind ja total durchgeknallt und hypertroph, man kann sich doch selber nicht eine Ausstellung widmen oder den Katalog zur Ausstellung. Sie kann es sehr wohl, weil sie bezieht sich ja auf nicht ihr eigenes Ego, sondern auf das, für was sie einsteht, für ihre Arbeit, künstlerische Arbeit.
Karkowsky: Morgen eröffnet im MoMA in New York die Retrospektive Isa Genzken. Für diese Einführung danke ich dem Kurator der zehnten Manifesta St. Petersburg, Kasper König. Ihnen herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Informationen des MoMA zur Retrospektive von Isa Genzken in New York