"Sie ist langsam auch ein bisschen gruselig"
Die deutsch-türkische Schriftstellerin Hilal Sezgin ist besorgt über die Langzeitfolgen der Islam-Diskussion nach der Rede von Bundespräsident Christian Wulff. Es kämen so viele Gehässigkeiten an die Oberfläche, dass man sich frage, wo das hinführen solle.
Ute Welty: Gehört der Islam zu Deutschland und welcher Islam gehört zu Deutschland? Als durchschnittliche deutsche Katholikin ist man vielleicht inzwischen ein wenig verwirrt und fragt sich, wohin diese ganze Diskussion noch führen soll. Besprechen wir das Thema also mit einer deutschen Muslimin, mit der Autorin Hilal Sezgin, und besprechen wir die Frage, ob sie die Diskussion inzwischen langweilt – oder würden Sie sich gar nicht trauen, das im Radio zu sagen?
Hilal Sezgin: Schön, dass Sie die Antwort gleich mitliefern. Nein, also sie ist ein bisschen langweilig, sie ist auch verwirrend, aber sie ist langsam auch ein bisschen gruselig. Also manchmal weiß man ja gar nicht genau, worum es sich handelt, aber in der Tat denke ich, dass momentan so viele also wirklich (…) Gehässigkeiten auch an die Oberfläche kommen, auch massiv geschürt werden, auch von der "Bild"-Zeitung mit ihren großen Kampagnen und so, dass ich mich schon auch ein bisschen davor ängstige, wo das hinführen soll. Auch wenn das in der Sache vielleicht wieder verebbt, also wenn das inhaltlich vielleicht im Jahr irgendwie dann tot ist und erledigt oder so, trotzdem, diese Gefühle, die man jetzt freisetzt, und die Vorteile, die man anspricht und nährt, die halten sich ja, die bleiben uns erhalten. Und das finde ich etwas beängstigend, und deswegen kann ich dann trotzdem nicht vor Langeweile dabei einschlafen leider.
Welty: Glauben Sie nicht, dass es eine große schweigende Mehrheit gibt von den Menschen, die sagen, es ist mir egal, ob und welcher Islam zu Deutschland gehört, ich möchte, dass mich der iranische Arzt ordentlich behandelt und dass mir die Fernsehmoderatorin mit türkischen Großeltern ihre Sendung ordentlich erklärt?
Sezgin: Also ich fürchte, dass es keine große schweigende Mehrheit ist. Es gibt viele Menschen, natürlich, viele nicht muslimische, auch deutsch-deutsch oder auch mit anderen Abstammungen, die Menschen haben keinerlei Vorurteile gegenüber dem Islam, aber ich glaube, man muss sich das inzwischen selber schon erstreiten. Man kann einfach nicht mehr normal zu dem iranischen Arzt gehen, sondern man muss sich selber, glaube ich, dabei ertappen, nicht all das über ihn zu denken, was sonst über ihn gedacht wird.
Und in der großen Mehrheit gibt es leider sehr, sehr viele Menschen, die sich haben anstecken lassen von diesen allgemeinen Verdachtshaltungen, gerade was die Frauenfrage angeht, aber auch überhaupt, was die Demokratiefähigkeit angeht, die Integrationswilligkeit, die Friedfertigkeit und all das. Das ist ja allen möglichen seriösen Umfragen zufolge – ich meine jetzt nicht ad hoc diese Schnellschüsse auf den Internetseiten, das meine ich nicht, aber von richtigen Instituten gemacht Umfragen. Es ist immer wieder rausgefunden worden, das ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und das sind hohe Prozentzahlen, 30 Prozent, 50 Prozent, je nachdem, was Sie fragen.
Welty: Wir befinden uns ja inzwischen in dem Teil zweiten Teil der Integrationsdebatte, nämlich in der nach Wulff. Zum ersten Teil der Debatte, nach Sarrazin, haben Sie gesagt, die läuft völlig falsch. Wie fällt Ihr Urteil jetzt aus?
Sezgin: Ja, zunächst muss man sagen, auch Sarrazin ist ja gar nicht so neu. Vor Sarrazin gab es schon mal Debatte über Kelek, davor gab es schon mal eine Debatte über Islamkritik, letztes Jahr haben wir schon mal Sarrazin gehabt, also das schleppt sich jetzt schon seit also nun gut ein Jahr eigentlich. Wir haben seit einem guten Jahr eine Islamdebatte, die eigentlich immer eine Islamdefizitdebatte ist – das ist natürlich schlimm.
Ja, nach Wulff, also das ist jetzt eigentlich fast eine weitere Eskalationsstufe, weil zunächst dachte ich, okay, irgendwie schöne Rede – man kann darüber streiten, ob sie jetzt so entschieden ist, in dieser Rede steckte sehr viel Verschiedenes drin, ja unter anderem auch was Positives, Anerkennendes für die Muslime –, aber die Reaktionen sind wiederum so heftig, dass, ja, wenn man sich da nicht irgendwie da rein drüber freuen kann, was Wulff sagt, weil eigentlich spricht dadurch der Bundespräsident, um einen bestimmten mäßigenden, harmonisierenden Effekt in der Bevölkerung zu erzielen. Wenn der völlig ausbleibt und wenn sich die Leute noch mehr aufregen als vorher, dann muss man sich fragen, oh je, was machen wir jetzt.
Welty: Was machen wir denn jetzt?
Sezgin: Ach ja – also wir beide arbeiten ja als Journalistinnen, ich glaube tatsächlich, dass den Medien eine große Verantwortung zukommt. Die ganze Sarrazin-Debatte und auch die Debatten davor, die sind ja eigentlich nicht nur in den Medien gelaufen, sondern durch die Medien initiiert worden. Auch wenn man sich darüber aufgeregt hat inhaltlich, man wollte dann doch partizipieren, hat dann doch immer ein bisschen Sarrazin gebracht, dann natürlich auch was gegen ihn, dann hat man in die Talkshows eingeladen, dann hat man jemand dagegen.
Wissen Sie, also es war so komisch paritätisch, man wollte sich den Kuchen, diese ganzen Aufreger ja auch nicht entgehen lassen. Deswegen denke ich, in den Medien hat man tatsächlich sehr viel Verantwortung – dieser Verantwortung müssten wir uns bewusst werden. Also man müsste sich stärker klarmachen, dass wir nicht nur dem Aufreger hinterherjagen dürfen, sondern dass wir eine Verantwortung haben für eine gesellschaftliche Stimmung, und dass es keine Fragen sind, mit denen man einfach so spielen darf, weil es, wie gesagt, Effekt hat für das Zusammenleben ganz realer Menschen. Und das kann man nicht nachher – das ist wie mit dem Geist, den man mal gerufen hat – das kann man dann auch nicht einfach wieder in die Wüste schicken, sagen, okay, ab heute machen wir was anderes. Nein, da trägt man eben eine Verantwortung.
Welty: Vor der Rede des Bundespräsidenten, von der ja vor allem dieser eine Satz übrig zu bleiben scheint, nämlich eben der, dass der Islam zu Deutschland gehört, vor dieser Rede haben Sie und andere einen offenen Brief geschrieben, wo Sie ja diesen Kernsatz schon angelegt haben. Hätten Sie dem Bundespräsidenten gern die ganze Rede geschrieben?
Sezgin: Ha, das wäre ein tolles Angebot, würde ich natürlich sofort annehmen, kommt leider nicht infrage.
Welty: Und was hätte drin gestanden, was jetzt nicht drin stand?
Sezgin: Ach, da hätte ich dieses Geeiere von wegen, ja, aber dass es natürlich Probleme gibt und so, das hätte ich weggelassen, weil es weiß jeder, dass es Probleme gibt. Das ist ja die ganze Zeit die Rede: Ja, man muss endlich mal auch die Probleme ansprechen dürfen. Es werden ja ständig die Probleme angesprochen. Die müssen jetzt sozialpolitisch und bildungspolitisch gelöst werden. Aber immer, wenn man sagt, der Islam gehört zu Deutschland, aber die Probleme müssen noch angesprochen werden – verstehen Sie? –, damit macht man immer ein Stückchen kaputt. Das hätte ich also schon mal weggelassen. Und ich glaube, wir hatten in unserem, aus dem Brief auch den Satz: Sie sind auch unser Präsident – nicht, Sie sind unser Präsident. Wir beanspruchen natürlich nicht, dass der Präsident nur uns gehört, sondern er gehört uns genauso wie allen anderen Bevölkerungsgruppen auch.
Welty: In diesem Brief wehren Sie sich ja auch gegen die generalisierende Bezeichnung Migranten oder auch gegen das Wort Ausländer. Mit welchen Begriffen soll man denn dann noch operieren? So allmählich wird es ja dann eng mit dem Wortschatz.
Sezgin: Ja, aber in diesem Fall ist Migrant wirklich das falsche Wort. Also 50 Prozent der Muslime sind Deutsche, also haben die deutsche Staatsangehörigkeit, von den anderen übrigens wissen wir, dass auch ganz viele sehr lange hier leben und aus verschiedenen Gründen dann eben nicht ihre alte Staatsbürgerschaft abgeben, weil sich Deutschland – das muss man auch dazusagen – ja leider sehr sturköpfig gegen doppelte Staatsangehörigkeit wehrt.
Aber Migranten scheint mir da irgendwie auch nicht der passende Begriff. Aber für diese 50 Prozent wirklich deutschen Muslime ist es ein bisschen beleidigend zu hören, dass sie dann immer noch Migranten sind. Ich zum Beispiel, ich bin ja schon in Deutschland geboren, ich habe auch eine deutsche Mutter, die übrigens auch Muslimin ist, also wenn ich dann höre, dass ich Migrantin sein soll, dann frage ich mich, woher bin ich denn migriert? Ich bin von Frankfurt, habe es jetzt gerade in die Lüneburger Heide geschafft, verstehen Sie?
Welty: Das kann auch schwierig sein!
Sezgin: Nein, es ist ein bisschen was anderes. Ich meine, weiter habe ich es nicht geschafft, so meine ich. Ich bin einfach überhaupt keine Migrantin. Und das geht ganz vielen anderen so, und ich denke, ein Problem unseres Diskurses ist eben so ein bisschen, ja, man sagt immer, Deutschland hat sich jetzt an den Gedanken gewöhnt, Einwanderungsland zu werden – ich würde sagen noch nicht ganz. Wenn man sich ganz dran gewöhnt hat, dann versteht man irgendwann, dass die Leute, die Deutsche sind, Deutsche sind, dann sind das muslimische Deutsche zum Beispiel. Das wäre zum Beispiel ein korrekter Begriff – wieso nicht?
Muslimische Deutsche, meinetwegen auch deutsche Muslime. Übrigens viele von denen, die als Muslime angesprochen werden, das sind überhaupt keine Muslime, die haben vielleicht türkische oder arabische Eltern, die glauben selber überhaupt nicht. Also auch da gibt es natürlich Probleme mit den Begrifflichkeiten. Aber ich denke, es bleiben noch ein paar Wörter übrig.
Welty: Die Autorin Hilal Sezgin im Deutschlandradio Kultur zu der Frage: Gehört der Islam zu Deutschland? Ich danke sehr für Ihre Einschätzungen.
Sezgin: Danke Ihnen!
Hilal Sezgin: Schön, dass Sie die Antwort gleich mitliefern. Nein, also sie ist ein bisschen langweilig, sie ist auch verwirrend, aber sie ist langsam auch ein bisschen gruselig. Also manchmal weiß man ja gar nicht genau, worum es sich handelt, aber in der Tat denke ich, dass momentan so viele also wirklich (…) Gehässigkeiten auch an die Oberfläche kommen, auch massiv geschürt werden, auch von der "Bild"-Zeitung mit ihren großen Kampagnen und so, dass ich mich schon auch ein bisschen davor ängstige, wo das hinführen soll. Auch wenn das in der Sache vielleicht wieder verebbt, also wenn das inhaltlich vielleicht im Jahr irgendwie dann tot ist und erledigt oder so, trotzdem, diese Gefühle, die man jetzt freisetzt, und die Vorteile, die man anspricht und nährt, die halten sich ja, die bleiben uns erhalten. Und das finde ich etwas beängstigend, und deswegen kann ich dann trotzdem nicht vor Langeweile dabei einschlafen leider.
Welty: Glauben Sie nicht, dass es eine große schweigende Mehrheit gibt von den Menschen, die sagen, es ist mir egal, ob und welcher Islam zu Deutschland gehört, ich möchte, dass mich der iranische Arzt ordentlich behandelt und dass mir die Fernsehmoderatorin mit türkischen Großeltern ihre Sendung ordentlich erklärt?
Sezgin: Also ich fürchte, dass es keine große schweigende Mehrheit ist. Es gibt viele Menschen, natürlich, viele nicht muslimische, auch deutsch-deutsch oder auch mit anderen Abstammungen, die Menschen haben keinerlei Vorurteile gegenüber dem Islam, aber ich glaube, man muss sich das inzwischen selber schon erstreiten. Man kann einfach nicht mehr normal zu dem iranischen Arzt gehen, sondern man muss sich selber, glaube ich, dabei ertappen, nicht all das über ihn zu denken, was sonst über ihn gedacht wird.
Und in der großen Mehrheit gibt es leider sehr, sehr viele Menschen, die sich haben anstecken lassen von diesen allgemeinen Verdachtshaltungen, gerade was die Frauenfrage angeht, aber auch überhaupt, was die Demokratiefähigkeit angeht, die Integrationswilligkeit, die Friedfertigkeit und all das. Das ist ja allen möglichen seriösen Umfragen zufolge – ich meine jetzt nicht ad hoc diese Schnellschüsse auf den Internetseiten, das meine ich nicht, aber von richtigen Instituten gemacht Umfragen. Es ist immer wieder rausgefunden worden, das ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen und das sind hohe Prozentzahlen, 30 Prozent, 50 Prozent, je nachdem, was Sie fragen.
Welty: Wir befinden uns ja inzwischen in dem Teil zweiten Teil der Integrationsdebatte, nämlich in der nach Wulff. Zum ersten Teil der Debatte, nach Sarrazin, haben Sie gesagt, die läuft völlig falsch. Wie fällt Ihr Urteil jetzt aus?
Sezgin: Ja, zunächst muss man sagen, auch Sarrazin ist ja gar nicht so neu. Vor Sarrazin gab es schon mal Debatte über Kelek, davor gab es schon mal eine Debatte über Islamkritik, letztes Jahr haben wir schon mal Sarrazin gehabt, also das schleppt sich jetzt schon seit also nun gut ein Jahr eigentlich. Wir haben seit einem guten Jahr eine Islamdebatte, die eigentlich immer eine Islamdefizitdebatte ist – das ist natürlich schlimm.
Ja, nach Wulff, also das ist jetzt eigentlich fast eine weitere Eskalationsstufe, weil zunächst dachte ich, okay, irgendwie schöne Rede – man kann darüber streiten, ob sie jetzt so entschieden ist, in dieser Rede steckte sehr viel Verschiedenes drin, ja unter anderem auch was Positives, Anerkennendes für die Muslime –, aber die Reaktionen sind wiederum so heftig, dass, ja, wenn man sich da nicht irgendwie da rein drüber freuen kann, was Wulff sagt, weil eigentlich spricht dadurch der Bundespräsident, um einen bestimmten mäßigenden, harmonisierenden Effekt in der Bevölkerung zu erzielen. Wenn der völlig ausbleibt und wenn sich die Leute noch mehr aufregen als vorher, dann muss man sich fragen, oh je, was machen wir jetzt.
Welty: Was machen wir denn jetzt?
Sezgin: Ach ja – also wir beide arbeiten ja als Journalistinnen, ich glaube tatsächlich, dass den Medien eine große Verantwortung zukommt. Die ganze Sarrazin-Debatte und auch die Debatten davor, die sind ja eigentlich nicht nur in den Medien gelaufen, sondern durch die Medien initiiert worden. Auch wenn man sich darüber aufgeregt hat inhaltlich, man wollte dann doch partizipieren, hat dann doch immer ein bisschen Sarrazin gebracht, dann natürlich auch was gegen ihn, dann hat man in die Talkshows eingeladen, dann hat man jemand dagegen.
Wissen Sie, also es war so komisch paritätisch, man wollte sich den Kuchen, diese ganzen Aufreger ja auch nicht entgehen lassen. Deswegen denke ich, in den Medien hat man tatsächlich sehr viel Verantwortung – dieser Verantwortung müssten wir uns bewusst werden. Also man müsste sich stärker klarmachen, dass wir nicht nur dem Aufreger hinterherjagen dürfen, sondern dass wir eine Verantwortung haben für eine gesellschaftliche Stimmung, und dass es keine Fragen sind, mit denen man einfach so spielen darf, weil es, wie gesagt, Effekt hat für das Zusammenleben ganz realer Menschen. Und das kann man nicht nachher – das ist wie mit dem Geist, den man mal gerufen hat – das kann man dann auch nicht einfach wieder in die Wüste schicken, sagen, okay, ab heute machen wir was anderes. Nein, da trägt man eben eine Verantwortung.
Welty: Vor der Rede des Bundespräsidenten, von der ja vor allem dieser eine Satz übrig zu bleiben scheint, nämlich eben der, dass der Islam zu Deutschland gehört, vor dieser Rede haben Sie und andere einen offenen Brief geschrieben, wo Sie ja diesen Kernsatz schon angelegt haben. Hätten Sie dem Bundespräsidenten gern die ganze Rede geschrieben?
Sezgin: Ha, das wäre ein tolles Angebot, würde ich natürlich sofort annehmen, kommt leider nicht infrage.
Welty: Und was hätte drin gestanden, was jetzt nicht drin stand?
Sezgin: Ach, da hätte ich dieses Geeiere von wegen, ja, aber dass es natürlich Probleme gibt und so, das hätte ich weggelassen, weil es weiß jeder, dass es Probleme gibt. Das ist ja die ganze Zeit die Rede: Ja, man muss endlich mal auch die Probleme ansprechen dürfen. Es werden ja ständig die Probleme angesprochen. Die müssen jetzt sozialpolitisch und bildungspolitisch gelöst werden. Aber immer, wenn man sagt, der Islam gehört zu Deutschland, aber die Probleme müssen noch angesprochen werden – verstehen Sie? –, damit macht man immer ein Stückchen kaputt. Das hätte ich also schon mal weggelassen. Und ich glaube, wir hatten in unserem, aus dem Brief auch den Satz: Sie sind auch unser Präsident – nicht, Sie sind unser Präsident. Wir beanspruchen natürlich nicht, dass der Präsident nur uns gehört, sondern er gehört uns genauso wie allen anderen Bevölkerungsgruppen auch.
Welty: In diesem Brief wehren Sie sich ja auch gegen die generalisierende Bezeichnung Migranten oder auch gegen das Wort Ausländer. Mit welchen Begriffen soll man denn dann noch operieren? So allmählich wird es ja dann eng mit dem Wortschatz.
Sezgin: Ja, aber in diesem Fall ist Migrant wirklich das falsche Wort. Also 50 Prozent der Muslime sind Deutsche, also haben die deutsche Staatsangehörigkeit, von den anderen übrigens wissen wir, dass auch ganz viele sehr lange hier leben und aus verschiedenen Gründen dann eben nicht ihre alte Staatsbürgerschaft abgeben, weil sich Deutschland – das muss man auch dazusagen – ja leider sehr sturköpfig gegen doppelte Staatsangehörigkeit wehrt.
Aber Migranten scheint mir da irgendwie auch nicht der passende Begriff. Aber für diese 50 Prozent wirklich deutschen Muslime ist es ein bisschen beleidigend zu hören, dass sie dann immer noch Migranten sind. Ich zum Beispiel, ich bin ja schon in Deutschland geboren, ich habe auch eine deutsche Mutter, die übrigens auch Muslimin ist, also wenn ich dann höre, dass ich Migrantin sein soll, dann frage ich mich, woher bin ich denn migriert? Ich bin von Frankfurt, habe es jetzt gerade in die Lüneburger Heide geschafft, verstehen Sie?
Welty: Das kann auch schwierig sein!
Sezgin: Nein, es ist ein bisschen was anderes. Ich meine, weiter habe ich es nicht geschafft, so meine ich. Ich bin einfach überhaupt keine Migrantin. Und das geht ganz vielen anderen so, und ich denke, ein Problem unseres Diskurses ist eben so ein bisschen, ja, man sagt immer, Deutschland hat sich jetzt an den Gedanken gewöhnt, Einwanderungsland zu werden – ich würde sagen noch nicht ganz. Wenn man sich ganz dran gewöhnt hat, dann versteht man irgendwann, dass die Leute, die Deutsche sind, Deutsche sind, dann sind das muslimische Deutsche zum Beispiel. Das wäre zum Beispiel ein korrekter Begriff – wieso nicht?
Muslimische Deutsche, meinetwegen auch deutsche Muslime. Übrigens viele von denen, die als Muslime angesprochen werden, das sind überhaupt keine Muslime, die haben vielleicht türkische oder arabische Eltern, die glauben selber überhaupt nicht. Also auch da gibt es natürlich Probleme mit den Begrifflichkeiten. Aber ich denke, es bleiben noch ein paar Wörter übrig.
Welty: Die Autorin Hilal Sezgin im Deutschlandradio Kultur zu der Frage: Gehört der Islam zu Deutschland? Ich danke sehr für Ihre Einschätzungen.
Sezgin: Danke Ihnen!