"Sie ist sehr klar und kompromisslos"
Der Dokumentarfilmer Eric Friedler hat für seinen Film "Der Sturz - Honeckers Ende", erstmals nach 20 Jahren, ein Gespräch mit Margot Honecker geführt. Er erzählt von einer Frau, die im Interview keine Reue oder Bedauern gegenüber den Opfern der DDR-Diktatur zeigt.
Ulrike Timm: "Der Sturz – Honeckers Ende", so heißt ein NDR-Dokumentarfilm, der heute Abend um 21 Uhr in der ARD gezeigt wird und für den der Filmregisseur Erik Friedler erstmals nach 20 Jahren die Witwe des langjährigen DDR-Staatschefs Erich Honecker sprechen konnte: Margot Honecker, die einst mächtigste und gefürchtetste Frau der DDR. Sie erklärte ihm ganz selbstbewusst und ganz selbstverständlich, dass es tragisch sei, dass die DDR untergegangen sei.
Ich habe Erik Friedler getroffen und ihn zuerst gefragt, wie er denn diese Frau erlebt hat.
Erik Friedler: Das ist eine sehr vitale, sehr agile, sehr selbstbewusste Frau. Sehr kämpferisch, klar in ihrer Haltung, keine Reue, kein Wort des Bedauerns gegenüber Opfern. Sie sieht keine Verantwortung für irgendwelche Dinge, die falsch gelaufen sein sollen in der DDR. Sie sieht, dass die DDR ein Staat war, der funktioniert hat, aber sie sagt, sie hätten zu wenig Zeit gehabt in 20 Jahren, 20 Jahre länger hätten sie noch gebraucht, um auch alles wunderbar in Ordnung zu bringen. Das heißt, man könnte auch fast sagen, aus heutiger Sicht ist das vielleicht realitätsfern, aber sie glaubt daran, das ist ihre klare Haltung. Sie ist überzeugte Sozialistin, sie spricht sehr eloquent, sie ist sehr klar und kompromisslos.
Timm: Der Film ist ja auch ein verstörendes Zeugnis ideologischer Verbohrtheit. Ich möchte ein bisschen was zitieren. "Es gab keinen Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze, es gab nur Waffengebrauchsbestimmungen und die Leute hätten ja nicht über die Mauer klettern müssen. Das ist schon tragisch, dass sie so dumm waren und das gemacht haben." Herr Friedler, wie oft sind Sie bei diesem Interview innerlich schockgefrostet gewesen?
Friedler: Einige Male. Also ich war manchmal einfach nur sprachlos. Aber dann geht ein solches Gespräch dann einfach weiter, und es muss ja dann auch weitergehen, weil man auch dann noch manchmal nachfragt, und sie kommt dann automatisch dann zum nächsten Thema. Aber es gab zahlreiche Momente, wo ich – ja schon, wie sagten Sie?
Timm: Schockgefrostet.
Friedler: Schockgefrostet war, ja.
Timm: Sie haben diesen Film dann natürlich in Beziehung gesetzt zu dem, was 1989 passiert ist, zur Geschichte Erich Honeckers. Und wahrscheinlich wusste Margot Honecker davon nicht, wie Sie das Interview dann reinbauen. Trotzdem: Man braucht ja für so ein Gespräch, egal was jemand sagt und egal, wie verbohrt jemand ist, man braucht ja ein Stück weit Vertrauen?
Friedler: Also, ich hab da kein Rezept, wie ich Vertrauen gewinne. Ich weiß auch gar nicht, ob sie mir vertraut.
Timm: Sie hat Sie als Gesprächspartner akzeptiert.
Friedler: Sie hat mich als Gesprächspartner akzeptiert. Ich saß ihr gegenüber, und dann habe ich Fragen gestellt, und ich hab aber auch bei ihr gemerkt, sie war sehr interessiert daran zu hören, auch aufgrund meiner Fragen, wie ein Journalist aus der Bundesrepublik, aus dem Westen, des BRD-Fernsehens gewisse Dinge sieht. Also sie hat das fast so mit ethnologischem Interesse betrachtet: Ach, so seht ihr das, ja? Und dann kam eine Frage zum anderen. Es war die Begegnung zweier Welten am Ende. Aber ich glaube nicht, dass sie mir vertraut deshalb.
Timm: Was war für Sie eigentlich spannender: Das historische Dokument, von dem Sie wussten, dass es ein Gespräch mit Margot Honecker nach 20 Jahren ja sein würde, oder der psychologisch spannende Blick unter eine Käseglocke, unter der diese Frau ja lebt, und in dem sich nichts verändert. Das sind ja zwei Aspekte, und sie sind beide spannend.
Friedler: Ja, es ist beides spannend, aber das mit der Käseglocke hat sich erst für mich irgendwie herausgestellt, nachdem ich ein oder zwei Gespräche mit ihr geführt habe. Dass ich gemerkt habe, hier kann ich vielleicht auch mal, ab und zu mal drunter schauen. Das war vorher nicht absehbar. Ziel war, ihr Fragen zu stellen mit dem Interesse, was hat sie zu dem einen oder zum anderen zu sagen. Und man kommt dann zurück, und man weiß, man hat ein Interview, aber wie ordnet man das ein? Und das Genre Dokumentarfilm, wie sicherlich auch das Hörfunkfeature, hat insofern doch – das Gute daran ist, dass man die Dinge einordnen kann, auch mit Zeitzeugen, mit Weggefährten, und das in Zusammenhang bringen kann, auch ins Verhältnis setzen kann. Ein Eins-zu-Eins-Gespräch, so mit ihr, wo sie einfach mal so die Sachen offen stehen lässt, unkommentiert, also das hätte ich so nicht gemacht, weil das wäre verantwortungslos gewesen.
Timm: Wir sprechen mit Erik Friedler über seinen Dokumentarfilm "Der Sturz – Honeckers Ende", der heute Abend ab 21 Uhr in der ARD zu sehen sein wird und für den Erik Friedler Margot Honecker hat interviewen können nach 20 Jahren Schweigen. Margot Honecker lebt heute in Chile. Und Sie, Herr Friedler, haben das Gespräch mit Margot Honecker klug eingebettet. Sie haben ihren Worten, ihren Taten filmisch gegenübergestellt. Wir lernen Menschen kennen, die geflohen sind. Kinder, die in fremde Familien kamen und ihren Eltern entrissen wurden und den Pfarrer, der das Ehepaar Honecker zehn Wochen lang aufnahm, bevor es nach Chile ging. Ein Mann, von dessen zehn Kindern kein einziges Abitur hat machen dürfen. Und plötzlich hatte dieser Pfarrer, dieser brandenburgische Pfarrer, den Ex-Staatschef und die Bildungsministerin, die ihm all das eingebrockt hatten, am Küchentisch. Die DDR im Endstadium hatte einen berühmten Obdachlosen. Sie wusste überhaupt nicht, was tun mit ihrem Ex-Staatschef. Was hat Sie daran so fasziniert?
Friedler: Wie geht man mit einem so mächtigen Mann um? Wie gingen die Deutschen mit ihrem letzten deutschen Diktator um? Wir sehen in den arabischen Ländern jetzt, wie man mit den Diktatoren umgeht, man sieht, dass ein Mann wie Gaddafi umgebracht worden ist. Wir sahen auch im Osten vor 20 Jahren, dass ein Mann wie Ceauºescu umgebracht worden ist. Aber die Deutschen, die DDR-Bürger damals, haben es nicht getan. Sie haben sich auch nicht weiter groß um ihn gekümmert, dass er jetzt großartig Schutz hatte, aber sie haben ihn auch nicht verfolgt. Aber ich finde, das fand ich sehr interessant, wie gehen dann Genossen, wie gingen die Genossen mit ihm um – dieser absolute Sturz, dass man nicht tiefer stürzen kann wie Honecker gestürzt ist, bis hin zu einem Dachboden, einem 30 Quadratmeter großen Zimmer, Kinderzimmer zu sein, für zehn Wochen, war er obendrein noch bei einem Pfarrer. Also das ist eine so ungewöhnliche Geschichte gewesen, dass ich gedacht habe, die muss man noch einmal dokumentieren.
Timm: Für Margot Honecker ist das bis heute alles ausschließlich Verrat, Konterrevolution. Sie ist bis heute davon überzeugt, die DDR hätte nicht nur eine Chance gehabt, sondern sie wird irgendwann auch wiederkommen, wahrscheinlich, wenn es sie selber nicht mehr gibt. Sie, Herr Friedler, wussten, das Gespräch mit Margot Honecker wird ein historisches. 20 Jahre lang hat sie geschwiegen. Und Margot Honecker wusste das auch. Haben Sie den Eindruck gehabt, dass sie dieses Interview auch ein wenig als ihr Vermächtnis sieht?
Friedler: Ich habe das Gefühl, dass sie noch eine Menge sagen will. Ich hab das Gefühl, dass, wenn man sie heute fragen würde, sei wieder politisch aktiv, wir brauchen dich, sie sich das überlegen würde. Also ich glaube nicht, dass es etwas ist, wie: Jetzt sage ich noch einmal etwas und gebe mein Vermächtnis und mein Erbe preis. Sie ist so überzeugt von sich und der DDR und in ihrer Haltung, dass ich das Gefühl hatte, das alles ist für sie noch nicht zum Abschluss gekommen.
Timm: Sie haben dieses Gespräch dann konterkariert mit Zeitzeugen, berühmten, Gorbatschow, Helmut Schmidt, eben aber auch mit unbekannten Menschen, die unter Margot Honecker und unter dem Regime Erich Honeckers gelitten haben. Die das dann kommentiert haben, was diese Frau gesagt hat in Chile. Was war da für Sie der bestürzendste Moment?
Friedler: Ja, natürlich. Also wenn man mit den Opfern zu tun hat – mich hat letztens jemand gefragt: War es schwer, an die Opfer zu kommen? Ich kann nur sagen, die Opfer leben unter uns, und es nicht schwer, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, weil es gibt Tausende, die unter der DDR-Diktatur schwer gelitten haben. Bis heute traumatisiert. Herr Lauter, der im Jugendwerkhof Torgau war, sagt: Torgau war lebenslänglich. Er lebt heute noch damit. Und es ist nicht vergessen. Und sie sind empört, diese Menschen, darüber, dass es andere gibt, die das verursacht haben oder mitgetragen haben, aber jetzt ein geregeltes Leben führen, ohne dass man sie in irgendeiner Form angeht. Und da merkt man eine gewisse Diskrepanz.
Timm: Erik Friedler, der Dokumentarfilmer. Sein Film "Der Sturz – Honeckers Ende" ist heute Abend in der ARD zu sehen. Und für diesen Film hat er, zum ersten Mal nach 20 Jahren, Margot Honecker interviewt. Herr Friedler, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Informationen zum Film von Eric Friedler:Der Sturz - NDR
Ich habe Erik Friedler getroffen und ihn zuerst gefragt, wie er denn diese Frau erlebt hat.
Erik Friedler: Das ist eine sehr vitale, sehr agile, sehr selbstbewusste Frau. Sehr kämpferisch, klar in ihrer Haltung, keine Reue, kein Wort des Bedauerns gegenüber Opfern. Sie sieht keine Verantwortung für irgendwelche Dinge, die falsch gelaufen sein sollen in der DDR. Sie sieht, dass die DDR ein Staat war, der funktioniert hat, aber sie sagt, sie hätten zu wenig Zeit gehabt in 20 Jahren, 20 Jahre länger hätten sie noch gebraucht, um auch alles wunderbar in Ordnung zu bringen. Das heißt, man könnte auch fast sagen, aus heutiger Sicht ist das vielleicht realitätsfern, aber sie glaubt daran, das ist ihre klare Haltung. Sie ist überzeugte Sozialistin, sie spricht sehr eloquent, sie ist sehr klar und kompromisslos.
Timm: Der Film ist ja auch ein verstörendes Zeugnis ideologischer Verbohrtheit. Ich möchte ein bisschen was zitieren. "Es gab keinen Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze, es gab nur Waffengebrauchsbestimmungen und die Leute hätten ja nicht über die Mauer klettern müssen. Das ist schon tragisch, dass sie so dumm waren und das gemacht haben." Herr Friedler, wie oft sind Sie bei diesem Interview innerlich schockgefrostet gewesen?
Friedler: Einige Male. Also ich war manchmal einfach nur sprachlos. Aber dann geht ein solches Gespräch dann einfach weiter, und es muss ja dann auch weitergehen, weil man auch dann noch manchmal nachfragt, und sie kommt dann automatisch dann zum nächsten Thema. Aber es gab zahlreiche Momente, wo ich – ja schon, wie sagten Sie?
Timm: Schockgefrostet.
Friedler: Schockgefrostet war, ja.
Timm: Sie haben diesen Film dann natürlich in Beziehung gesetzt zu dem, was 1989 passiert ist, zur Geschichte Erich Honeckers. Und wahrscheinlich wusste Margot Honecker davon nicht, wie Sie das Interview dann reinbauen. Trotzdem: Man braucht ja für so ein Gespräch, egal was jemand sagt und egal, wie verbohrt jemand ist, man braucht ja ein Stück weit Vertrauen?
Friedler: Also, ich hab da kein Rezept, wie ich Vertrauen gewinne. Ich weiß auch gar nicht, ob sie mir vertraut.
Timm: Sie hat Sie als Gesprächspartner akzeptiert.
Friedler: Sie hat mich als Gesprächspartner akzeptiert. Ich saß ihr gegenüber, und dann habe ich Fragen gestellt, und ich hab aber auch bei ihr gemerkt, sie war sehr interessiert daran zu hören, auch aufgrund meiner Fragen, wie ein Journalist aus der Bundesrepublik, aus dem Westen, des BRD-Fernsehens gewisse Dinge sieht. Also sie hat das fast so mit ethnologischem Interesse betrachtet: Ach, so seht ihr das, ja? Und dann kam eine Frage zum anderen. Es war die Begegnung zweier Welten am Ende. Aber ich glaube nicht, dass sie mir vertraut deshalb.
Timm: Was war für Sie eigentlich spannender: Das historische Dokument, von dem Sie wussten, dass es ein Gespräch mit Margot Honecker nach 20 Jahren ja sein würde, oder der psychologisch spannende Blick unter eine Käseglocke, unter der diese Frau ja lebt, und in dem sich nichts verändert. Das sind ja zwei Aspekte, und sie sind beide spannend.
Friedler: Ja, es ist beides spannend, aber das mit der Käseglocke hat sich erst für mich irgendwie herausgestellt, nachdem ich ein oder zwei Gespräche mit ihr geführt habe. Dass ich gemerkt habe, hier kann ich vielleicht auch mal, ab und zu mal drunter schauen. Das war vorher nicht absehbar. Ziel war, ihr Fragen zu stellen mit dem Interesse, was hat sie zu dem einen oder zum anderen zu sagen. Und man kommt dann zurück, und man weiß, man hat ein Interview, aber wie ordnet man das ein? Und das Genre Dokumentarfilm, wie sicherlich auch das Hörfunkfeature, hat insofern doch – das Gute daran ist, dass man die Dinge einordnen kann, auch mit Zeitzeugen, mit Weggefährten, und das in Zusammenhang bringen kann, auch ins Verhältnis setzen kann. Ein Eins-zu-Eins-Gespräch, so mit ihr, wo sie einfach mal so die Sachen offen stehen lässt, unkommentiert, also das hätte ich so nicht gemacht, weil das wäre verantwortungslos gewesen.
Timm: Wir sprechen mit Erik Friedler über seinen Dokumentarfilm "Der Sturz – Honeckers Ende", der heute Abend ab 21 Uhr in der ARD zu sehen sein wird und für den Erik Friedler Margot Honecker hat interviewen können nach 20 Jahren Schweigen. Margot Honecker lebt heute in Chile. Und Sie, Herr Friedler, haben das Gespräch mit Margot Honecker klug eingebettet. Sie haben ihren Worten, ihren Taten filmisch gegenübergestellt. Wir lernen Menschen kennen, die geflohen sind. Kinder, die in fremde Familien kamen und ihren Eltern entrissen wurden und den Pfarrer, der das Ehepaar Honecker zehn Wochen lang aufnahm, bevor es nach Chile ging. Ein Mann, von dessen zehn Kindern kein einziges Abitur hat machen dürfen. Und plötzlich hatte dieser Pfarrer, dieser brandenburgische Pfarrer, den Ex-Staatschef und die Bildungsministerin, die ihm all das eingebrockt hatten, am Küchentisch. Die DDR im Endstadium hatte einen berühmten Obdachlosen. Sie wusste überhaupt nicht, was tun mit ihrem Ex-Staatschef. Was hat Sie daran so fasziniert?
Friedler: Wie geht man mit einem so mächtigen Mann um? Wie gingen die Deutschen mit ihrem letzten deutschen Diktator um? Wir sehen in den arabischen Ländern jetzt, wie man mit den Diktatoren umgeht, man sieht, dass ein Mann wie Gaddafi umgebracht worden ist. Wir sahen auch im Osten vor 20 Jahren, dass ein Mann wie Ceauºescu umgebracht worden ist. Aber die Deutschen, die DDR-Bürger damals, haben es nicht getan. Sie haben sich auch nicht weiter groß um ihn gekümmert, dass er jetzt großartig Schutz hatte, aber sie haben ihn auch nicht verfolgt. Aber ich finde, das fand ich sehr interessant, wie gehen dann Genossen, wie gingen die Genossen mit ihm um – dieser absolute Sturz, dass man nicht tiefer stürzen kann wie Honecker gestürzt ist, bis hin zu einem Dachboden, einem 30 Quadratmeter großen Zimmer, Kinderzimmer zu sein, für zehn Wochen, war er obendrein noch bei einem Pfarrer. Also das ist eine so ungewöhnliche Geschichte gewesen, dass ich gedacht habe, die muss man noch einmal dokumentieren.
Timm: Für Margot Honecker ist das bis heute alles ausschließlich Verrat, Konterrevolution. Sie ist bis heute davon überzeugt, die DDR hätte nicht nur eine Chance gehabt, sondern sie wird irgendwann auch wiederkommen, wahrscheinlich, wenn es sie selber nicht mehr gibt. Sie, Herr Friedler, wussten, das Gespräch mit Margot Honecker wird ein historisches. 20 Jahre lang hat sie geschwiegen. Und Margot Honecker wusste das auch. Haben Sie den Eindruck gehabt, dass sie dieses Interview auch ein wenig als ihr Vermächtnis sieht?
Friedler: Ich habe das Gefühl, dass sie noch eine Menge sagen will. Ich hab das Gefühl, dass, wenn man sie heute fragen würde, sei wieder politisch aktiv, wir brauchen dich, sie sich das überlegen würde. Also ich glaube nicht, dass es etwas ist, wie: Jetzt sage ich noch einmal etwas und gebe mein Vermächtnis und mein Erbe preis. Sie ist so überzeugt von sich und der DDR und in ihrer Haltung, dass ich das Gefühl hatte, das alles ist für sie noch nicht zum Abschluss gekommen.
Timm: Sie haben dieses Gespräch dann konterkariert mit Zeitzeugen, berühmten, Gorbatschow, Helmut Schmidt, eben aber auch mit unbekannten Menschen, die unter Margot Honecker und unter dem Regime Erich Honeckers gelitten haben. Die das dann kommentiert haben, was diese Frau gesagt hat in Chile. Was war da für Sie der bestürzendste Moment?
Friedler: Ja, natürlich. Also wenn man mit den Opfern zu tun hat – mich hat letztens jemand gefragt: War es schwer, an die Opfer zu kommen? Ich kann nur sagen, die Opfer leben unter uns, und es nicht schwer, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, weil es gibt Tausende, die unter der DDR-Diktatur schwer gelitten haben. Bis heute traumatisiert. Herr Lauter, der im Jugendwerkhof Torgau war, sagt: Torgau war lebenslänglich. Er lebt heute noch damit. Und es ist nicht vergessen. Und sie sind empört, diese Menschen, darüber, dass es andere gibt, die das verursacht haben oder mitgetragen haben, aber jetzt ein geregeltes Leben führen, ohne dass man sie in irgendeiner Form angeht. Und da merkt man eine gewisse Diskrepanz.
Timm: Erik Friedler, der Dokumentarfilmer. Sein Film "Der Sturz – Honeckers Ende" ist heute Abend in der ARD zu sehen. Und für diesen Film hat er, zum ersten Mal nach 20 Jahren, Margot Honecker interviewt. Herr Friedler, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Weitere Informationen zum Film von Eric Friedler:Der Sturz - NDR