Sie schoss auf Warhol
Am 3. Juni 1968 schoss die amerikanische Radikalfeministin Valerie Solanas auf den Popkünstler Andy Warhol. Die Schwedin Sara Stridsberg, geboren 1972, beschreibt in ihrem Roman das Leben einer intelligenten und ganz und gar rücksichtslosen Person, einer Schriftstellerin, die verdammt und verloren war. 2007 erhielt Stridsberg dafür den Nordischen Literaturpreis.
Das Bristol Hotel in San Francisco ist noch heute, schreibt Sara Stridsberg, eine Anlaufstelle für Sozialfälle, Prostituierte, Drogensüchtige, Aids-Kranke. Ein Hospiz für den Abschaum Amerikas. Hier starb Ende April 1988 Valerie Solanas, ein körperliches Wrack. So dramatisch und drastisch wie sie hat kein anderer Andy Warhols Behauptung illustriert, in Zukunft werde jeder für fünfzehn Minuten berühmt sein. Sie wurde es, indem sie auf diesen Warhol schoss.
Wobei ihr der Mordanschlag doch etwas mehr als fünfzehn Minuten Ruhm einbrachte. Was im Grunde nur eine Folge unserer Sensationsgier ist. Denn berühmt müsste Solanas wegen eines Textes sein, ihres SCUM-Manifestes. Es ist eine schonungslose Abrechnung mit der männlichen Welt; "SCUM" (engl. "Abschaum") ist die Abkürzung für "Society of Cutting up Men" (Gesellschaft zur Vernichtung/Zerstückelung der Männer). Am Anfang steht der Satz: "Es bleibt den verantwortungsvollen Frauen nur eins: die Regierung zu stürzen, das ökonomische System abzuschaffen und das männliche Geschlecht zu zerstören." Das klingt wie die zügellose Entgegnung auf ein anderes zügelloses Manifest, Marinettis Manifest des Futurismus: "Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten und die Verachtung des Weibes."
Sara Stridsbergs biographischer Roman ist allerdings nicht die blinde Heroisierung einer radikal kompromisslosen, psychisch labilen Existenz, sondern die stürmische und wagemutige Solidaritätserklärung für eine Frau, die in einer Art konstruktiver Verblendung wütend für Selbständigkeit und Integrität eintritt und übrigens für die scheinemanzipierten, small-talkenden, nett gekleideten Mittelklassefrauchen von heute nichts als Verachtung übrig gehabt hätte.
Solanas tritt auch, man höre und staune, für die Liebe ein. Die aber kann nur unkörperlich sein. Wofür man sich vorher in eine Art negative Abhängigkeit der Körperlichkeit begeben muss: "Du musst eine Menge Sex hinter dich gebracht haben, um zum Antisex zu kommen." Dafür (und um ihr Psychologiestudium und später ihr Leben zu finanzieren) hat sie sich auch prostituiert – aber: "Eine Hure verkauft niemals Intimität. Sie verkauft ein schwarzes Loch im All. Sie ist nicht anwesend."
Der Roman ist grundsätzlich chronologisch geschrieben (von Valeries unglücklicher Kindheit bis zu ihrem Tod im Bristol Hotel). Gleichzeitig springt er aber in den Zeiten und von Ort zu Ort und ist aus verschiedenen, aber immer wiederkehrenden Perspektiven geschrieben. Trotzdem verliert man nie den Überblick, weil das sehr logisch geschieht und Stridsbergs Sprache brillant ist, fiebrig, aber deutlich. Auch der Einblick ins Arbeiter-, Uni-, Künstler-Milieu der USA von den 40er bis zu den 80er Jahren ist großartig, im Mittelpunkt aber steht der zärtliche und messerscharfe Blick ins Denken einer maßlosen, faszinierenden Person.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Sara Stridsberg: Die Traumfabrik
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
S. Fischer, Frankfurt/Main 2010
336 Seiten, 21,95 EUR
Wobei ihr der Mordanschlag doch etwas mehr als fünfzehn Minuten Ruhm einbrachte. Was im Grunde nur eine Folge unserer Sensationsgier ist. Denn berühmt müsste Solanas wegen eines Textes sein, ihres SCUM-Manifestes. Es ist eine schonungslose Abrechnung mit der männlichen Welt; "SCUM" (engl. "Abschaum") ist die Abkürzung für "Society of Cutting up Men" (Gesellschaft zur Vernichtung/Zerstückelung der Männer). Am Anfang steht der Satz: "Es bleibt den verantwortungsvollen Frauen nur eins: die Regierung zu stürzen, das ökonomische System abzuschaffen und das männliche Geschlecht zu zerstören." Das klingt wie die zügellose Entgegnung auf ein anderes zügelloses Manifest, Marinettis Manifest des Futurismus: "Wir wollen den Krieg verherrlichen – diese einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten und die Verachtung des Weibes."
Sara Stridsbergs biographischer Roman ist allerdings nicht die blinde Heroisierung einer radikal kompromisslosen, psychisch labilen Existenz, sondern die stürmische und wagemutige Solidaritätserklärung für eine Frau, die in einer Art konstruktiver Verblendung wütend für Selbständigkeit und Integrität eintritt und übrigens für die scheinemanzipierten, small-talkenden, nett gekleideten Mittelklassefrauchen von heute nichts als Verachtung übrig gehabt hätte.
Solanas tritt auch, man höre und staune, für die Liebe ein. Die aber kann nur unkörperlich sein. Wofür man sich vorher in eine Art negative Abhängigkeit der Körperlichkeit begeben muss: "Du musst eine Menge Sex hinter dich gebracht haben, um zum Antisex zu kommen." Dafür (und um ihr Psychologiestudium und später ihr Leben zu finanzieren) hat sie sich auch prostituiert – aber: "Eine Hure verkauft niemals Intimität. Sie verkauft ein schwarzes Loch im All. Sie ist nicht anwesend."
Der Roman ist grundsätzlich chronologisch geschrieben (von Valeries unglücklicher Kindheit bis zu ihrem Tod im Bristol Hotel). Gleichzeitig springt er aber in den Zeiten und von Ort zu Ort und ist aus verschiedenen, aber immer wiederkehrenden Perspektiven geschrieben. Trotzdem verliert man nie den Überblick, weil das sehr logisch geschieht und Stridsbergs Sprache brillant ist, fiebrig, aber deutlich. Auch der Einblick ins Arbeiter-, Uni-, Künstler-Milieu der USA von den 40er bis zu den 80er Jahren ist großartig, im Mittelpunkt aber steht der zärtliche und messerscharfe Blick ins Denken einer maßlosen, faszinierenden Person.
Besprochen von Peter Urban-Halle
Sara Stridsberg: Die Traumfabrik
Aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein
S. Fischer, Frankfurt/Main 2010
336 Seiten, 21,95 EUR