Sie schuf das Image der modernen Frau
Neue Quellen bringen Licht in das spannende Leben der berühmten Modeschöpferin. Justine Picardie weist nach, wie sehr die entbehrungsreiche Kindheit den puristischen Stil der Coco Chanel beeinflusste. Und sie deckt erstmals auf, wie die glamouröse Geschäftsfrau sich im Krieg mit Hilfe der deutschen Rassegesetze ihrer jüdischen Geschäftspartner entledigte.
Sie ist zweifellos die größte Modeschöpferin aller Zeiten. Und mehr als das: Coco Chanel, die das kleine Schwarze und den Modeschmuck erfand, die Rüschen, Tüll, Korsetts aus dem Kleiderschrank verbannte, Hosen salonfähig machte und Röcke bis zum Knie kürzte – sie kreierte das Image der modernen Frau.
Über ihren rasanten Aufstieg von der kleinen Näherin zur viel kopierten "fashion"-Ikone, die ein weltumspannendes Modeimperium souverän bis zu ihrem Tod 1971 dirigierte, ist viel geschrieben worden. Dieses illustre Leben lieferte den Stoff für eine Reihe von sentimentalen Filmen, Musicals und Biografien, die sich vielfach auf die Selbstaussagen Coco Chanels stützen.
Von früh an setzte sie alles daran, wie einen Kleiderentwurf ihr eigenes Leben zu modellieren, Daten zu verändern (sie machte sich jünger), Unglück wegzulassen - wie die zahlreichen Affären ihres ersten Geliebten - oder legendär zu verbrämen wie ihren Abenteurer-Vater, der sich niemals um sie kümmerte. Gezielt warb sie um Schriftsteller wie Paul Morand oder Edmonde Charles-Roux, in denen sie tatsächlich später ihre verehrungsvollen Chronisten fand.
Auch die britische Modejournalistin und Autorin Justine Picardie schöpft aus dem reichen Fundus der Chanel-Überlieferung. Doch um der Wahrheit näher zu kommen, verknüpft sie diese mit Auskünften letzter Augenzeugen, von Angestellten im Hause Chanel in der Pariser Rue Cambon, mit Freunden wie der Psychoanalytikerin Claude Delay oder der Großnichte Gabrielle Labrunie. Vor allem aber durchforstet sie Nachlässe, in der Auvergne, wo Chanel aufwuchs, in England und Schottland, wo Chanel sich auf den Landsitzen ihrer schwerreichen Liebhaber tummelte, bis zum Archiv des MI 6. Picardies größtes Privileg: Sie erhält als erste Autorin überhaupt Zugang zu Chanels Privatarchiv.
Überaus spannend ist es zu lesen, wie sich die Autorin ihrer These nähert, ein Schlüssel zu Chanels Werk liege in deren entbehrungsreicher Kindheit. Geradezu verblüffend plausibel zeigt sie auf, wie die Armut des Waisenhauses, die karge Strenge des Zisterzienserklosters, in dem die 1883 unehelich geborene Gabrielle nach dem Tod der Mutter aufwuchs, ihren puristischen Stil beeinflusste. Bis zu ihrem raffiniert schlichten Firmenlogo – zwei rücklings aneinandergelehnten Cs –, das sich vielfach variiert in den Fußbodenmosaiken jenes Klosters findet.
Auch die folgenden Lebensabschnitte, so sie bislang im mythischen Dämmer lagen, werden neu beleuchtet. Chanel, die sich für Auftritte im Tingeltangel "Coco" nennt, lässt sich von wohlhabenden Liebhabern ihren ersten Modeladen finanzieren, um innerhalb eines Jahrzehnts zur glamourösesten Geschäftsfrau des Kontinents aufzusteigen. Von nun an kann sie es sich leisten, für ihre Amouren selbst aufzukommen, mit dem abgebrannten Zarenneffen etwa oder dem völlig mittellosen Igor Strawinsky.
Picardie verschweigt auch nicht das unrühmlichste Kapitel im Leben der Coco Chanel. Sie zeichnet nicht nur deren bekannte Romanze mit einem deutschen Besatzungsoffizier nach. Vor allem deckt sie auf, wie Chanel sich mit Hilfe der deutschen Rassegesetze ihrer jüdischen Geschäftspartner entledigte. Dass sie 1945 nicht als Kollaborateurin verfemt und angeklagt wurde, hatte Chanel, wie ihre Biografin nachweist, der schützenden Hand Churchills zu verdanken. Mit dem hatte sie einst auf den Highlands geangelt.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Justine Picardie: Chanel - Ihr Leben
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger und Dörthe Kaiser
Zeichnungen von Karl Lagerfeld
Steidl Verlag, Göttingen 2011
432 Seiten, 38 Euro
Über ihren rasanten Aufstieg von der kleinen Näherin zur viel kopierten "fashion"-Ikone, die ein weltumspannendes Modeimperium souverän bis zu ihrem Tod 1971 dirigierte, ist viel geschrieben worden. Dieses illustre Leben lieferte den Stoff für eine Reihe von sentimentalen Filmen, Musicals und Biografien, die sich vielfach auf die Selbstaussagen Coco Chanels stützen.
Von früh an setzte sie alles daran, wie einen Kleiderentwurf ihr eigenes Leben zu modellieren, Daten zu verändern (sie machte sich jünger), Unglück wegzulassen - wie die zahlreichen Affären ihres ersten Geliebten - oder legendär zu verbrämen wie ihren Abenteurer-Vater, der sich niemals um sie kümmerte. Gezielt warb sie um Schriftsteller wie Paul Morand oder Edmonde Charles-Roux, in denen sie tatsächlich später ihre verehrungsvollen Chronisten fand.
Auch die britische Modejournalistin und Autorin Justine Picardie schöpft aus dem reichen Fundus der Chanel-Überlieferung. Doch um der Wahrheit näher zu kommen, verknüpft sie diese mit Auskünften letzter Augenzeugen, von Angestellten im Hause Chanel in der Pariser Rue Cambon, mit Freunden wie der Psychoanalytikerin Claude Delay oder der Großnichte Gabrielle Labrunie. Vor allem aber durchforstet sie Nachlässe, in der Auvergne, wo Chanel aufwuchs, in England und Schottland, wo Chanel sich auf den Landsitzen ihrer schwerreichen Liebhaber tummelte, bis zum Archiv des MI 6. Picardies größtes Privileg: Sie erhält als erste Autorin überhaupt Zugang zu Chanels Privatarchiv.
Überaus spannend ist es zu lesen, wie sich die Autorin ihrer These nähert, ein Schlüssel zu Chanels Werk liege in deren entbehrungsreicher Kindheit. Geradezu verblüffend plausibel zeigt sie auf, wie die Armut des Waisenhauses, die karge Strenge des Zisterzienserklosters, in dem die 1883 unehelich geborene Gabrielle nach dem Tod der Mutter aufwuchs, ihren puristischen Stil beeinflusste. Bis zu ihrem raffiniert schlichten Firmenlogo – zwei rücklings aneinandergelehnten Cs –, das sich vielfach variiert in den Fußbodenmosaiken jenes Klosters findet.
Auch die folgenden Lebensabschnitte, so sie bislang im mythischen Dämmer lagen, werden neu beleuchtet. Chanel, die sich für Auftritte im Tingeltangel "Coco" nennt, lässt sich von wohlhabenden Liebhabern ihren ersten Modeladen finanzieren, um innerhalb eines Jahrzehnts zur glamourösesten Geschäftsfrau des Kontinents aufzusteigen. Von nun an kann sie es sich leisten, für ihre Amouren selbst aufzukommen, mit dem abgebrannten Zarenneffen etwa oder dem völlig mittellosen Igor Strawinsky.
Picardie verschweigt auch nicht das unrühmlichste Kapitel im Leben der Coco Chanel. Sie zeichnet nicht nur deren bekannte Romanze mit einem deutschen Besatzungsoffizier nach. Vor allem deckt sie auf, wie Chanel sich mit Hilfe der deutschen Rassegesetze ihrer jüdischen Geschäftspartner entledigte. Dass sie 1945 nicht als Kollaborateurin verfemt und angeklagt wurde, hatte Chanel, wie ihre Biografin nachweist, der schützenden Hand Churchills zu verdanken. Mit dem hatte sie einst auf den Highlands geangelt.
Besprochen von Edelgard Abenstein
Justine Picardie: Chanel - Ihr Leben
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger und Dörthe Kaiser
Zeichnungen von Karl Lagerfeld
Steidl Verlag, Göttingen 2011
432 Seiten, 38 Euro