Sie wäscht ihre Hände in Unschuld
In der Euro-Krise nehmen viele Deutsche ihre Kanzlerin als Hüterin deutscher Interessen wahr, die sich fast heroisch einer erdrückenden Übermacht entgegenstellt. Mit der Realität hat das allerdings nichts mehr zu tun.
Die Geschehnisse der letzten Monate werden eines Tages ihren Eingang in die Geschichtsbücher finden. Im Mittelpunkt dürfte dann auch die unrühmliche Rolle stehen, die die Kanzlerin gespielt hat. Anstatt zu regieren, sich der Öffentlichkeit und dem Parlament zu stellen, überlässt sie das Handeln der Europäischen Zentralbank und das Entscheiden dem Bundesverfassungsgericht.
Auch einige hochrangige Persönlichkeiten sehen das Handeln von Angela Merkel mit Sorge. Bundespräsident Gauck etwa hatte sie erst vor einigen Monaten höflich aufgefordert, den Kurs ihrer Koalition in der Eurokrise besser zu erklären. Und Altkanzler Helmut Kohl fürchtet, sie würde "sein" europäisches Projekt ruinieren.
Dass es so erstaunlich still bleibt um die Kanzlerin, hat vermutlich damit zu tun, dass ihr nicht in erster Linie Europa, sondern ihr eigener Erfolg am Herzen liegt. Wichtige Wahlen stehen an – da will man alles, aber nicht unpopuläre Entscheidungen vertreten müssen.
Dabei gäbe es so viel zu diskutieren, nachdem die EZB sich bereit erklärt hat, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen notleidender Euroländer zu kaufen. Und auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das ein weiteres Mal die nationalen parlamentarischen Rechte im europäischen Krisenmanagement schärfte, wirft weitere Fragen auf. Die Stellungnahmen der Kanzlerin dazu sind dünn. Bei jeder möglichen Gelegenheit zu wiederholen, dass im Falle eines Scheiterns des Euro auch Europa scheitern werde, mag zwar sachlich richtig sein, doch es fehlt die Begründung.
Nun könnte man argumentieren, Angela Merkel habe klare rote Linien gezogen, weshalb sie in weiten Teilen Europas als "Madame Non" wahrgenommen wird. Eine Banklizenz für den Rettungsfonds ESM? Eurobonds? Beides vom Tisch, weil die deutsche Kanzlerin nicht mit sich reden lassen wollte.
Und die Umfragewerte, sowohl der Union, als auch der Kanzlerin als Person, lassen darauf schließen, dass viele Deutsche sie genau deshalb als Hüterin deutscher Interessen wahrnehmen, die sich fast heroisch der erdrückenden Übermacht entgegenstellt. Mit der Realität hat das allerdings nichts mehr zu tun, denn die roten Linien sind spätestens mit der Entscheidung der EZB überschritten. Und zwar mit dem Segen der Kanzlerin.
Angela Merkel, das kann man aus ihren Reaktionen schließen, weiß sehr genau, was Europa an der Entscheidung der EZB hat. Sie ist vermutlich sogar dankbar dafür, weil ihr dadurch erspart blieb, einen ähnlichen Schritt politisch begründen und durchsetzen zu müssen. Das allerdings gefährdet, gerade weil es Methode hat, die Demokratie. Denn das Notwendige zu tun, überlässt sie einem Gremium, das sich eben nicht vor einem Parlament rechtfertigen muss.
Die mächtigste Frau Europas wäscht sich ihre Hände gewissermaßen in Unschuld, weil sie an den wichtigsten Entscheidungen am Ende nicht beteiligt war. Die Arbeitsplatzbeschreibung einer Regierungschefin sollte eigentlich anders aussehen.
Keine Frage, innenpolitisch nutzt dieser Weg Merkels Koalition. Weitere deutsche Kredithilfen für angeschlagene EU-Mitglieder sind unpopulär. Durch den Umweg über die EZB können Union und FDP nun im Wahlkampf in Bayern und Niedersachsen einigermaßen glaubhaft eine ESM- und EZB-kritische Linie vertreten, ohne sich dabei gegen die eigene Mannschaft in Berlin stellen zu müssen.
Sollte diese Taktik aufgehen, darf man davon ausgehen, dass Angela Merkel ein ähnliches Spiel, nur mit etwas weniger Getöse als Dobrindt, Söder und Co., im Bundestagswahlkampf spielen wird. Sie scheint bereit dazu, in Kauf zu nehmen, dass sich ein neuer Nationalismus in Form von Vorurteilen gegen die südlichen Nachbarn immer weiter ausbreitet.
Gauck und Kohl liegen mit ihrer Sorge also alles andere als falsch. Im schlimmsten Fall lässt Angela Merkel durch Unterlassung das scheitern, worum derzeit doch alle vorgeben zu kämpfen, nämlich darum, die angeschlagene Idee der europäischen Einigung von einem Eliten- zu einem Bürgerprojekt weiterzuentwickeln.
Christoph Giesa arbeitet als Publizist und Unternehmensberater in Hamburg, war Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Rheinland-Pfalz, Initiator der Bürgerbewegung zur Unterstützung von Joachim Gauck als Bundespräsidentschaftskandidat und Mitbegründer der linksliberalen FDP-Vereinigung "Dahrendorfkreis". Er schrieb das Buch "Bürger. Macht. Politik” (Campus-Verlag 2011). Das Zeitgeschehen kommentiert er in seinem Blog und als Kolumnist von "The European".
Auch einige hochrangige Persönlichkeiten sehen das Handeln von Angela Merkel mit Sorge. Bundespräsident Gauck etwa hatte sie erst vor einigen Monaten höflich aufgefordert, den Kurs ihrer Koalition in der Eurokrise besser zu erklären. Und Altkanzler Helmut Kohl fürchtet, sie würde "sein" europäisches Projekt ruinieren.
Dass es so erstaunlich still bleibt um die Kanzlerin, hat vermutlich damit zu tun, dass ihr nicht in erster Linie Europa, sondern ihr eigener Erfolg am Herzen liegt. Wichtige Wahlen stehen an – da will man alles, aber nicht unpopuläre Entscheidungen vertreten müssen.
Dabei gäbe es so viel zu diskutieren, nachdem die EZB sich bereit erklärt hat, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen notleidender Euroländer zu kaufen. Und auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das ein weiteres Mal die nationalen parlamentarischen Rechte im europäischen Krisenmanagement schärfte, wirft weitere Fragen auf. Die Stellungnahmen der Kanzlerin dazu sind dünn. Bei jeder möglichen Gelegenheit zu wiederholen, dass im Falle eines Scheiterns des Euro auch Europa scheitern werde, mag zwar sachlich richtig sein, doch es fehlt die Begründung.
Nun könnte man argumentieren, Angela Merkel habe klare rote Linien gezogen, weshalb sie in weiten Teilen Europas als "Madame Non" wahrgenommen wird. Eine Banklizenz für den Rettungsfonds ESM? Eurobonds? Beides vom Tisch, weil die deutsche Kanzlerin nicht mit sich reden lassen wollte.
Und die Umfragewerte, sowohl der Union, als auch der Kanzlerin als Person, lassen darauf schließen, dass viele Deutsche sie genau deshalb als Hüterin deutscher Interessen wahrnehmen, die sich fast heroisch der erdrückenden Übermacht entgegenstellt. Mit der Realität hat das allerdings nichts mehr zu tun, denn die roten Linien sind spätestens mit der Entscheidung der EZB überschritten. Und zwar mit dem Segen der Kanzlerin.
Angela Merkel, das kann man aus ihren Reaktionen schließen, weiß sehr genau, was Europa an der Entscheidung der EZB hat. Sie ist vermutlich sogar dankbar dafür, weil ihr dadurch erspart blieb, einen ähnlichen Schritt politisch begründen und durchsetzen zu müssen. Das allerdings gefährdet, gerade weil es Methode hat, die Demokratie. Denn das Notwendige zu tun, überlässt sie einem Gremium, das sich eben nicht vor einem Parlament rechtfertigen muss.
Die mächtigste Frau Europas wäscht sich ihre Hände gewissermaßen in Unschuld, weil sie an den wichtigsten Entscheidungen am Ende nicht beteiligt war. Die Arbeitsplatzbeschreibung einer Regierungschefin sollte eigentlich anders aussehen.
Keine Frage, innenpolitisch nutzt dieser Weg Merkels Koalition. Weitere deutsche Kredithilfen für angeschlagene EU-Mitglieder sind unpopulär. Durch den Umweg über die EZB können Union und FDP nun im Wahlkampf in Bayern und Niedersachsen einigermaßen glaubhaft eine ESM- und EZB-kritische Linie vertreten, ohne sich dabei gegen die eigene Mannschaft in Berlin stellen zu müssen.
Sollte diese Taktik aufgehen, darf man davon ausgehen, dass Angela Merkel ein ähnliches Spiel, nur mit etwas weniger Getöse als Dobrindt, Söder und Co., im Bundestagswahlkampf spielen wird. Sie scheint bereit dazu, in Kauf zu nehmen, dass sich ein neuer Nationalismus in Form von Vorurteilen gegen die südlichen Nachbarn immer weiter ausbreitet.
Gauck und Kohl liegen mit ihrer Sorge also alles andere als falsch. Im schlimmsten Fall lässt Angela Merkel durch Unterlassung das scheitern, worum derzeit doch alle vorgeben zu kämpfen, nämlich darum, die angeschlagene Idee der europäischen Einigung von einem Eliten- zu einem Bürgerprojekt weiterzuentwickeln.
Christoph Giesa arbeitet als Publizist und Unternehmensberater in Hamburg, war Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Rheinland-Pfalz, Initiator der Bürgerbewegung zur Unterstützung von Joachim Gauck als Bundespräsidentschaftskandidat und Mitbegründer der linksliberalen FDP-Vereinigung "Dahrendorfkreis". Er schrieb das Buch "Bürger. Macht. Politik” (Campus-Verlag 2011). Das Zeitgeschehen kommentiert er in seinem Blog und als Kolumnist von "The European".