"Sie war sexy, sie war wild"
Als er Lotti Huber kennenlernte, habe er am liebsten nur noch Filme mit ihr machen wollen, so der Regisseur Rosa von Praunheim. Zum 100. Geburtstag seiner außergewöhnlichen und 1998 verstorbenen Hauptdarstellerin werde er auch eine kleine Träne vergießen, sagte er.
Liane von Billerbeck: Mit 68 Jahren begann ihre Filmkarriere. Mit 75 erklärte sie, jetzt hätte sie ihre kreativste Phase. Lotti Huber. Mit ihren exzentrischen Film- und Bühnenauftritten erreichte das Berliner Unikum so was wie Kultstatus. So amüsant sie sich gab, so erkennbar war hinter dem Witz aber auch eine andere Seite. Als Jüdin hatte sie in Nazi-Deutschland ein Jahr KZ überlebt. Nach Emigration und Jahren im Ausland kehrte sie dann in den 60er-Jahren zurück nach Berlin. Und ihr Ruhm begann, als sie Rosa von Praunheim kennenlernte. Der Underground-Filmregisseur macht Lotti Huber zum Filmstar. Bevor wir mit ihm, mit Rosa von Praunheim, sprechen, erinnert Christian Berndt an Lotti Huber, die Diva, die mit 85 gestorben ist, aber bis heute, an ihrem 100. Geburtstag, in höchst lebendiger Erinnerung ist.
(Einspielung)
von Billerbeck: So klang sie bis zum Schluss. Lotti Huber. Mit 85 Jahren ist sie gestorben, aber heute, da wäre ihr <li_1893980>100. Geburtstag gewesen, und sie hätte ganz sicher auch mit ihrem Entdecker gefeiert, dem Regisseur und Autor Rosa von Praunheim. Schönen guten Tag!
Rosa von Praunheim: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Üblicherweise, Rosa von Praunheim, werden junge Damen von älteren Herren gefördert. In diesem Fall war es aber umgekehrt. Ein jüngerer Mann förderte eine erkennbar alte Frau. Wie das?
von Praunheim: Ja, ich glaube, dass schwule Männer sehr oft ältere Frauen mögen, und zwar ältere, emanzipierte, tolerante, aufgeschlossene Frauen. Und Lotti Huber war das halt. Sie war halt sehr jung in ihrem Kopf. Sie war sexy, sie war wild, war verrückt, war fantasievoll. Das war ein großes Geschenk für mich, als ich sie kennenlernte, und ich wollte eigentlich ein ganzes Leben lang nur noch Filme mit ihr machen.
von Billerbeck: Wie sah sie denn aus, als Sie die Huber das erste Mal sahen? Was war sie für ein Typ? Mochten Sie die?
von Praunheim: Na ja, ich war ein bisschen schockiert, weil sie hat einen sofort vereinnahmt und vollgequatscht, und ich kriegte so ein bisschen Angst und brauchte eine Zeit, um das zu verarbeiten. Und dann hab ich sie engagiert für meinen Film "Unsere Leichen leben noch" und dann sagte sie gleich, ja, also, das war ein Film mit fünf älteren Damen, da sagte sie, eigentlich kannst du die anderen wegschmeißen und eigentlich nur mit mir alleine arbeiten. Das habe ich dann in den folgenden Filmen auch gemacht.
von Billerbeck: Welcher Film von denen, die Sie mit Lotti Huber zusammen gedreht haben, ist denn der, den Sie sich noch am liebsten angucken?
von Praunheim: Also ich denke "Anita - Tänze des Lasters", wo sie eine Nackttänzerin spielt aus den 20er-Jahren, die Anita Berber, die ja schon Ende 20, also sehr jung gestorben ist. Aber ich habe einfach eine Geschichte erfunden, dass dieser Tod nur fiktiv ist und sie eigentlich immer noch lebt und als ältere Dame auf den Kuhdamm geht, sich dort auszieht und dann in die Psychiatrie kommt. Und von dort aus ihre Geschichte dieser jungen Frau erzählt.
von Billerbeck: Nun ist es ja oft so, dass Regisseure gern über Jahre mit der gleichen Schauspielerin arbeiten. Sie sind Lotti Huber auch treu geblieben. Was war es denn, was Sie so an Lotti Huber fasziniert hat?
von Praunheim: Also ich glaube, ihre positive Ausstrahlung. Das hat sie dann ja auch in vielen, vielen Talkshows bewiesen, dass sie begeistert hat die Menschen, dass sie trotz ihres Alters, trotz ihrer komplizierten und oft leidvollen Geschichte im KZ und so weiter, dass sie Humor hatte und eigentlich das Leben positiv sah und anderen Mut gab. Sie gab jung und alt wirklich Mut. Oft kamen dann depressive jüngere Verehrer vorbei und heulten sich aus, und sie hat die dann mit ein paar Witzen wieder fit gemacht und gesagt: Quatsch, zu jammern. Das Leben ist schön, und du hast so viele Chancen und so viele Möglichkeiten, guck dich einfach nur um und mach was, mach was draus.
Und dieses – immer aktiv zu sein, das war so anregend mit ihr. Jedes Mal, wenn wir zusammenkamen, hatten wir eine neue Filmidee oder für ein Tanztheater oder eine verrückte Performance oder wir sind zusammen auf Veranstaltungen gegangen und haben uns wunderbar angezogen. Das war eine große, große Freude.
von Billerbeck: Sie hat sich aber auch so diesen Regeln verweigert, die man als alter Mensch angeblich einhalten muss. Dass man seriös sein muss, gut angezogen, dass man also nicht so auf Krawallcharge machen soll. Und genau das hat sie aber getan.
von Praunheim: Na ja, sie hat sich sehr gut angezogen. Sehr wahrscheinlich besser, als die meisten älteren Damen, aber es war halt ungewöhnlich. Es war auch sehr schwer, sie durchzusetzen. Also am Anfang gab es dann Kritiken, wenn ich mit ihr auftrat, dass so der seriöse "Tagesspiegel", die Karena Niehoff, eine berühmte Kritikerin, die selber mit großen Hüten erschien, war eifersüchtig und sagte also: Kafka hat einen Affen zu einem Menschen gemacht und Rosa von Praunheim macht das umgekehrt. Im "Theater heute" stand irgendwie, es ist ein Kalb mit zwei Köpfen. Das heißt, man hat sie am Anfang nur so als Freak gesehen und hat nicht die Qualität gesehen, die dahinter stand, das heißt, die hohe Intelligenz und den wunderbaren Humor und die große, große Fantasie, die sie hatte. Wir haben ja diese Filme improvisiert, die Ideen kamen ja von ihr.
von Billerbeck: Heute wäre Lotti Huber 100 geworden und man kann sich vorstellen, dass sie groß gefeiert hätte, auch mit Rosa von Praunheim, ihrem Entdecker. Sie wird ja oft mit dem Satz zitiert, ihre größte Leistung sei es, die Nazis überlebt zu haben, nicht nur physisch, sondern auch, weil die es nicht geschafft haben, ihr die Lebenslust – Betonung auf Lust – zu nehmen. War das nur gespielt oder war das alles echt?
von Praunheim: Nein, das war echt, und ich glaube, deshalb mochte man sie auch, weil sie nicht kam jetzt, zurückkam – sie war ja lange in der Emigration, kam nach Deutschland zurück und hätte ja als Racheengel kommen können und sagen können, was habt ihr mir angetan oder meinem Volk. Sie hatte ein sehr, sehr schweres Leben, kam zurück nach Berlin und sie hat sich vorgenommen, eine positive Ausstrahlung zu haben. Sie sagt, was soll ich jammern, was soll ich die anderen belästigen mit meinen kleinen persönlichen Sachen. Ich will eine positive Ausstrahlung. Und das machte so viel Spaß. Also das war auch für mich großartig. Immer, wenn sie da war, war man sofort in Hochstimmung, hatte Ideen, war aktiv und hielt sich nicht auf beim Jammern.
von Billerbeck: Sie haben sie aber auch mal "mein geliebtes Monster" genannt. Wie das?
von Praunheim: Ja natürlich. Bemaltes Monster, weil sie immer überschminkt war mit großen Klunkern und so. Nein, wir haben uns scherzhaft sehr gekabbelt und auch oft gestritten. Das gehört ja einfach dazu, wenn man vital ist – aber immer wieder versöhnt.
von Billerbeck: Berlin war ja der Ort, an dem Lotti Huber berühmt wurde letztlich. Sie ist zwar im Norden geboren, aber hier wurde sie zu der, als die sie uns auch in Erinnerung geblieben ist. Wie wichtig ist die Stadt für Huber und Huber für Berlin?
von Praunheim: Als sie aus der Emigration wiederkam, war das ihre Heimat. Ich meine, sie konnte ja Deutschland nicht vergessen. Das, was sie auf dem Kieler Gymnasium gelernt hatte an deutscher Kultur, an Gedichten, das hat sie natürlich nie vergessen, das konnten ihr andere Länder nicht ersetzen. Und das war ihre Heimat.
von Billerbeck: Nun ist sie mit 85 Jahren vor 15 Jahren gestorben. Fehlt sie Ihnen?
von Praunheim: Ja, ja, natürlich. Sie ist einmalig. Man kann sie nicht ersetzen, ich meine, das ist unmöglich. Und es ist schön, dass man, dass ich mich erinnern kann mit anderen zusammen jetzt an ihrem 100. Geburtstag. Ich werde heute Abend ins Theater gehen, und ja, wir werden sie feiern und auch eine kleine Träne –
von Billerbeck: Vergießen.
von Praunheim: Ja.
von Billerbeck: Rosa von Praunheim war das, der Entdecker Lotti Hubers, heute, an ihrem 100. Geburtstag. Ich danke Ihnen!
von Praunheim: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.</li_1893980>
(Einspielung)
von Billerbeck: So klang sie bis zum Schluss. Lotti Huber. Mit 85 Jahren ist sie gestorben, aber heute, da wäre ihr <li_1893980>100. Geburtstag gewesen, und sie hätte ganz sicher auch mit ihrem Entdecker gefeiert, dem Regisseur und Autor Rosa von Praunheim. Schönen guten Tag!
Rosa von Praunheim: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Üblicherweise, Rosa von Praunheim, werden junge Damen von älteren Herren gefördert. In diesem Fall war es aber umgekehrt. Ein jüngerer Mann förderte eine erkennbar alte Frau. Wie das?
von Praunheim: Ja, ich glaube, dass schwule Männer sehr oft ältere Frauen mögen, und zwar ältere, emanzipierte, tolerante, aufgeschlossene Frauen. Und Lotti Huber war das halt. Sie war halt sehr jung in ihrem Kopf. Sie war sexy, sie war wild, war verrückt, war fantasievoll. Das war ein großes Geschenk für mich, als ich sie kennenlernte, und ich wollte eigentlich ein ganzes Leben lang nur noch Filme mit ihr machen.
von Billerbeck: Wie sah sie denn aus, als Sie die Huber das erste Mal sahen? Was war sie für ein Typ? Mochten Sie die?
von Praunheim: Na ja, ich war ein bisschen schockiert, weil sie hat einen sofort vereinnahmt und vollgequatscht, und ich kriegte so ein bisschen Angst und brauchte eine Zeit, um das zu verarbeiten. Und dann hab ich sie engagiert für meinen Film "Unsere Leichen leben noch" und dann sagte sie gleich, ja, also, das war ein Film mit fünf älteren Damen, da sagte sie, eigentlich kannst du die anderen wegschmeißen und eigentlich nur mit mir alleine arbeiten. Das habe ich dann in den folgenden Filmen auch gemacht.
von Billerbeck: Welcher Film von denen, die Sie mit Lotti Huber zusammen gedreht haben, ist denn der, den Sie sich noch am liebsten angucken?
von Praunheim: Also ich denke "Anita - Tänze des Lasters", wo sie eine Nackttänzerin spielt aus den 20er-Jahren, die Anita Berber, die ja schon Ende 20, also sehr jung gestorben ist. Aber ich habe einfach eine Geschichte erfunden, dass dieser Tod nur fiktiv ist und sie eigentlich immer noch lebt und als ältere Dame auf den Kuhdamm geht, sich dort auszieht und dann in die Psychiatrie kommt. Und von dort aus ihre Geschichte dieser jungen Frau erzählt.
von Billerbeck: Nun ist es ja oft so, dass Regisseure gern über Jahre mit der gleichen Schauspielerin arbeiten. Sie sind Lotti Huber auch treu geblieben. Was war es denn, was Sie so an Lotti Huber fasziniert hat?
von Praunheim: Also ich glaube, ihre positive Ausstrahlung. Das hat sie dann ja auch in vielen, vielen Talkshows bewiesen, dass sie begeistert hat die Menschen, dass sie trotz ihres Alters, trotz ihrer komplizierten und oft leidvollen Geschichte im KZ und so weiter, dass sie Humor hatte und eigentlich das Leben positiv sah und anderen Mut gab. Sie gab jung und alt wirklich Mut. Oft kamen dann depressive jüngere Verehrer vorbei und heulten sich aus, und sie hat die dann mit ein paar Witzen wieder fit gemacht und gesagt: Quatsch, zu jammern. Das Leben ist schön, und du hast so viele Chancen und so viele Möglichkeiten, guck dich einfach nur um und mach was, mach was draus.
Und dieses – immer aktiv zu sein, das war so anregend mit ihr. Jedes Mal, wenn wir zusammenkamen, hatten wir eine neue Filmidee oder für ein Tanztheater oder eine verrückte Performance oder wir sind zusammen auf Veranstaltungen gegangen und haben uns wunderbar angezogen. Das war eine große, große Freude.
von Billerbeck: Sie hat sich aber auch so diesen Regeln verweigert, die man als alter Mensch angeblich einhalten muss. Dass man seriös sein muss, gut angezogen, dass man also nicht so auf Krawallcharge machen soll. Und genau das hat sie aber getan.
von Praunheim: Na ja, sie hat sich sehr gut angezogen. Sehr wahrscheinlich besser, als die meisten älteren Damen, aber es war halt ungewöhnlich. Es war auch sehr schwer, sie durchzusetzen. Also am Anfang gab es dann Kritiken, wenn ich mit ihr auftrat, dass so der seriöse "Tagesspiegel", die Karena Niehoff, eine berühmte Kritikerin, die selber mit großen Hüten erschien, war eifersüchtig und sagte also: Kafka hat einen Affen zu einem Menschen gemacht und Rosa von Praunheim macht das umgekehrt. Im "Theater heute" stand irgendwie, es ist ein Kalb mit zwei Köpfen. Das heißt, man hat sie am Anfang nur so als Freak gesehen und hat nicht die Qualität gesehen, die dahinter stand, das heißt, die hohe Intelligenz und den wunderbaren Humor und die große, große Fantasie, die sie hatte. Wir haben ja diese Filme improvisiert, die Ideen kamen ja von ihr.
von Billerbeck: Heute wäre Lotti Huber 100 geworden und man kann sich vorstellen, dass sie groß gefeiert hätte, auch mit Rosa von Praunheim, ihrem Entdecker. Sie wird ja oft mit dem Satz zitiert, ihre größte Leistung sei es, die Nazis überlebt zu haben, nicht nur physisch, sondern auch, weil die es nicht geschafft haben, ihr die Lebenslust – Betonung auf Lust – zu nehmen. War das nur gespielt oder war das alles echt?
von Praunheim: Nein, das war echt, und ich glaube, deshalb mochte man sie auch, weil sie nicht kam jetzt, zurückkam – sie war ja lange in der Emigration, kam nach Deutschland zurück und hätte ja als Racheengel kommen können und sagen können, was habt ihr mir angetan oder meinem Volk. Sie hatte ein sehr, sehr schweres Leben, kam zurück nach Berlin und sie hat sich vorgenommen, eine positive Ausstrahlung zu haben. Sie sagt, was soll ich jammern, was soll ich die anderen belästigen mit meinen kleinen persönlichen Sachen. Ich will eine positive Ausstrahlung. Und das machte so viel Spaß. Also das war auch für mich großartig. Immer, wenn sie da war, war man sofort in Hochstimmung, hatte Ideen, war aktiv und hielt sich nicht auf beim Jammern.
von Billerbeck: Sie haben sie aber auch mal "mein geliebtes Monster" genannt. Wie das?
von Praunheim: Ja natürlich. Bemaltes Monster, weil sie immer überschminkt war mit großen Klunkern und so. Nein, wir haben uns scherzhaft sehr gekabbelt und auch oft gestritten. Das gehört ja einfach dazu, wenn man vital ist – aber immer wieder versöhnt.
von Billerbeck: Berlin war ja der Ort, an dem Lotti Huber berühmt wurde letztlich. Sie ist zwar im Norden geboren, aber hier wurde sie zu der, als die sie uns auch in Erinnerung geblieben ist. Wie wichtig ist die Stadt für Huber und Huber für Berlin?
von Praunheim: Als sie aus der Emigration wiederkam, war das ihre Heimat. Ich meine, sie konnte ja Deutschland nicht vergessen. Das, was sie auf dem Kieler Gymnasium gelernt hatte an deutscher Kultur, an Gedichten, das hat sie natürlich nie vergessen, das konnten ihr andere Länder nicht ersetzen. Und das war ihre Heimat.
von Billerbeck: Nun ist sie mit 85 Jahren vor 15 Jahren gestorben. Fehlt sie Ihnen?
von Praunheim: Ja, ja, natürlich. Sie ist einmalig. Man kann sie nicht ersetzen, ich meine, das ist unmöglich. Und es ist schön, dass man, dass ich mich erinnern kann mit anderen zusammen jetzt an ihrem 100. Geburtstag. Ich werde heute Abend ins Theater gehen, und ja, wir werden sie feiern und auch eine kleine Träne –
von Billerbeck: Vergießen.
von Praunheim: Ja.
von Billerbeck: Rosa von Praunheim war das, der Entdecker Lotti Hubers, heute, an ihrem 100. Geburtstag. Ich danke Ihnen!
von Praunheim: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.</li_1893980>