"Sie waren neu und ungewöhnlich und sie waren frech"
In den 1970er- und 1980er Jahren war die "Muppet Show" ein weltweit erfolgreiches Fernsehformat. Durch die auftretenden Gaststars - darunter Rudolf Nurejew und Orson Welles - hätten die Muppets wunderbar E- und U-Kultur miteinander verknüpft, erklärt Filmwissenschaftler Rolf Giesen. Nun kommt ein neuer Muppet-Film in die Kinos.
Susanne Burg: Er war nur 53 Jahre alt, als er 1990 starb. Aber er hinterließ geradezu ein Puppenimperium: Jim Henson war der Puppenvater der bis dahin erfolgreichsten Fernsehshow aller Zeiten: der Muppet Show. Die Muppet Show lief in den 70er- und 80er-Jahren in mehr als 100 Ländern. Sechs abendfüllende Spielfilme und etliche Fernsehspecials entstanden. Nun kommt ein weiterer Muppets-Film in die Kinos. Er läuft in dieser Woche an. Und bevor wir über den erfolgreichen Puppenkosmos sprechen, erinnert Gerd Brendel an Miss Piggy, Waldorf und Stadler, Kermit und die große Fernsehshow, die sie gemeinsam wöchentlich hingelegt haben:
"Ein Schwein ist ja auch nur ein Mensch!" - Die Muppet-Show wurde in den 70er-Jahren zum Hit
Waldorf und Stadler aus den Muppets. Gerd Brendel hat das mürrische Pärchen und seine Muppets-Kollegen vorgestellt.
Susanne Burg: Wie diese Puppen eine solche Fernseh- und Kulturgeschichte schreiben konnten, darüber will ich jetzt mit dem Filmwissenschaftler und Trickfilmexperten Rolf Giesen sprechen. Guten Tag, Herr Giesen!
Rolf Giesen: Hallo, schönen guten Tag!
Burg: Ja, 235 Millionen Menschen in 100 Ländern haben die Muppet Show in ihren Hochzeiten gesehen. Miss Piggy hat die Frage gerade nicht so richtig beantwortet zum Erfolgsrezept der Muppets, deswegen noch mal an Sie: Was war das Geheimnis der Muppets?
Giesen: Nun, sie waren neu und ungewöhnlich, und sie waren frech. Puppen konnten frecher sein als lebende Akteure – einem Moderator, normalen TV-Moderator hätte man bestimmte Dinge nicht durchgehen lassen können. Außerdem war sehr viel Slapstick drin. Dieses Konzept hat damals, glaube ich, zu einer großen Akzeptanz geführt, die in einer Umbruchsituation des Fernsehens gekommen ist. Wer sich noch erinnert, Fernsehen in den 1960er-Jahren war wirklich sehr, sehr konservativ. Und so eine voluminöse Persönlichkeit wie Miss Piggy zu sehen, dass hatten wir damals noch nicht. Das war schon etwas.
Burg: Sie haben gesagt, die waren sehr frech. Es war ja auch so, dass Stars von Elton John bis Stevie Wonder in die Show gingen und dabei nicht immer eine gute Figur machten. Alice Cooper zum Beispiel musste mit einem hässlichen Puppenvogel schnäbeln. Warum gingen diese Stars trotzdem - muss man ja sagen - in diese Show und taten sich das an? Waren es nur die guten Einschaltquoten damals?
Giesen: Wahrscheinlich. Ich hab's mir noch mal angesehen. In der ersten Saison waren nicht so viele weltberühmte Stars – Vincent Price war drin, ein paar andere, aber es waren nicht die Namen. Aber die erste Staffel war so erfolgreich, dass es ab der zweiten Staffel zum guten Ton gehörte, wenigstens dabei gewesen zu sein – wie heute als Stimme bei den Simpsons. In der zweiten Staffel traten dann plötzlich Peter Sellers, Julie Andrews oder Rudolf Nurejew auf. Mit Nurejew war die ganze Kulturschickeria sofort einbezogen, das heißt, man hatte E und U in den Muppets wunderbar über die Gaststars vereinigt. Peter Ustinov, Orson Welles, alle waren dabei.
Burg: Und es war ja eben auch zu hören in dem kleinen Beitrag, die Muppet Show, die hat ja durchaus viele US-amerikanische kulturelle Bezüge, also zum Beispiel der dänische Koch, der eine Persiflage war auf den Erfolg der Fernsehkochs im US-Fernsehen damals, auch noch viele andere Beispiele, aber die Muppets liefen ja in mehr als 100 Ländern. Warum funktionierten sie Ihrer Meinung nach so grenzüberschreitend?
Giesen: Sie haben amerikanische Prinzipien der Unterhaltungskultur übernommen, und die sind multikulturell. Das Geheimnis von Hollywood, amerikanischem Fernsehen und so weiter ist, dass man weltweit denkt, man denkt in verschiedenen Kulturen. Das tut man bei uns nicht.
Trotzdem sind die Muppets nicht in Amerika gedreht worden. Es wollte sie kein Amerikanischer Sender haben. Jim Henson, der seine Muppets Incorporated 1963 gegründet hat, probierte schon sehr lange, diese Serie vom Stapel laufen zu lassen. Es gab eine kurze Situation, wo er die Sesamstraße hatte, und mit der Sesamstraße hat er einen riesigen Erfolg gehabt – nur leider war das auf Kinder fokussiert.
Das heißt, alle amerikanischen Sender sagten hinterher, du bleibst beim Kinderfunk, bei der Kinderstunde, beim Kinderfernsehen, du kommst nicht ins Erwachsenenfernsehen. Und er musste nach England gehen. Glücklicherweise fand er in England einen Partner, ITV, Sir Lew Grade, und die haben diese amerikanischste der amerikanischen Puppenshows produziert – alles in England gemacht und in England finanziert.
Burg: Ein Erfolgsrezept, das ja dann relativ schnell aufgegangen ist, da hätten sich ja auch andere Länder das abgucken können. Warum ist es aber dann trotzdem so ein US-amerikanisches Phänomen geblieben und zum Beispiel nicht in Deutschland aufgegriffen worden? Warum gab es hier nicht eine Show für Erwachsene, warum sind Puppenshows immer eigentlich bei der Augsburger Puppenkiste, also einer sehr kinderbezogenen Sendung, stecken geblieben?
Giesen: Weder haben wir den Mut, noch sind wir so gut. Tatsächlich, wir sind nicht so gut. Wenn man sieht, wer für Kinder zum Beispiel schreibt oder wer sich herabmüht, für Puppen Dialoge zu schreiben, das ist natürlich eine Situation, die in Deutschland völlig unmöglich ist. Man ist damit U. Und wenn man U ist ...
Burg: Unterhaltung ...
Giesen: ... und Kinder macht und Puppen macht, dann ist man total abgeschrieben, und ein seriöser Produzent würde nicht mit einem arbeiten. Es ist leider Dünkel und es ist leider Unvermögen, was in Deutschland dazu geführt hat, dass wir nie ein ähnliches Format aufgegriffen hatten, obwohl wir mit der Puppenkiste – das muss ich sagen – einen gewaltigen Sympathieträger hatten, der auch viele Erwachsene angesprochen hat.
Burg: Und nun gibt es also einen neuen Muppet-Kinofilm. Disney hat nach dem Tod die Rechte an den Muppets gekauft, Jim Henson wollte ...
Giesen: Die haben alles gekauft. Das ist also hochinteressant, zum Schluss endet fast alles bei Disney, ob es Pixar ist, ob es chinesische Figuren sind und auch die Muppets. Disney hat fast schon ein Monopol auf populäre Figuren, seien sie nun zwei- oder dreidimensional.
Burg: Nun könnte man ja sagen, okay, da sind sie auch ganz gut aufgehoben, in dem Disney-Universum – wie viel ist denn von den frechen, anarchischen Muppets der Anfangsjahre in diesem Kinofilm, der jetzt herauskommt, für Sie übrig geblieben? Wie gut funktioniert das?
Giesen: Eigentlich funktioniert es gar nicht mehr. Man hat an dem Format nichts geändert, man hat also die Shownummern so belassen, wie sie in den 70er-Jahren präsentiert wurden. Das wurde von Leuten gemacht, die keine Liebe zu dem Sujet haben und nur auf die Kasse schielen. Das ist nicht auf Disney jetzt bezogen, aber es mag auf die Idee der Macher bezogen sein, die halt nur rechnen. Die haben gesagt, im Internet und auf YouTube tauchen diese Figuren ja immer noch auf, die haben soundso viel Millionen Downloads, die Hits gehen immer noch, also dürfte auch dieser Kinofilm noch gehen.
Ein innovativer Mensch wie Jim Henson und wie seine Mitarbeiter, die hätten natürlich wirklich probiert, das heutige Zeitgefühl aufzunehmen. Eines haben die Muppets geschafft – und da bin ich sehr dankbar: Die Puppe ist ein Kulturgut der Menschheit. Sie wurde wahrscheinlich in Persien entwickelt, auch das Puppenspiel in Persien, in China hat man mit Strohpuppen gearbeitet, die Puppen hatten einen kultischen Zweck. Und man hat dieses große kultische Format durch die Muppets erhalten und für ein Massenpublikum ja goutierbar gemacht. Das heißt, ohne die Muppets gäbe es vielleicht die Liebe zum Puppenspiel heute nicht mehr. Und das ist doch sehr positiv.
Burg: So enden wir dann auch noch mit einem positiven Schluss. Der Filmwissenschaftler und Trickfilmexperte Rolf Giesen über die, ja, man muss sagen kulturelle Bedeutung und den Erfolg der Muppets. Am Donnerstag läuft auch bei uns der Film "Die Muppets" an. Vielen Dank für Ihren Besuch, Herr Giesen!
Giesen: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Ein Schwein ist ja auch nur ein Mensch!" - Die Muppet-Show wurde in den 70er-Jahren zum Hit
Waldorf und Stadler aus den Muppets. Gerd Brendel hat das mürrische Pärchen und seine Muppets-Kollegen vorgestellt.
Susanne Burg: Wie diese Puppen eine solche Fernseh- und Kulturgeschichte schreiben konnten, darüber will ich jetzt mit dem Filmwissenschaftler und Trickfilmexperten Rolf Giesen sprechen. Guten Tag, Herr Giesen!
Rolf Giesen: Hallo, schönen guten Tag!
Burg: Ja, 235 Millionen Menschen in 100 Ländern haben die Muppet Show in ihren Hochzeiten gesehen. Miss Piggy hat die Frage gerade nicht so richtig beantwortet zum Erfolgsrezept der Muppets, deswegen noch mal an Sie: Was war das Geheimnis der Muppets?
Giesen: Nun, sie waren neu und ungewöhnlich, und sie waren frech. Puppen konnten frecher sein als lebende Akteure – einem Moderator, normalen TV-Moderator hätte man bestimmte Dinge nicht durchgehen lassen können. Außerdem war sehr viel Slapstick drin. Dieses Konzept hat damals, glaube ich, zu einer großen Akzeptanz geführt, die in einer Umbruchsituation des Fernsehens gekommen ist. Wer sich noch erinnert, Fernsehen in den 1960er-Jahren war wirklich sehr, sehr konservativ. Und so eine voluminöse Persönlichkeit wie Miss Piggy zu sehen, dass hatten wir damals noch nicht. Das war schon etwas.
Burg: Sie haben gesagt, die waren sehr frech. Es war ja auch so, dass Stars von Elton John bis Stevie Wonder in die Show gingen und dabei nicht immer eine gute Figur machten. Alice Cooper zum Beispiel musste mit einem hässlichen Puppenvogel schnäbeln. Warum gingen diese Stars trotzdem - muss man ja sagen - in diese Show und taten sich das an? Waren es nur die guten Einschaltquoten damals?
Giesen: Wahrscheinlich. Ich hab's mir noch mal angesehen. In der ersten Saison waren nicht so viele weltberühmte Stars – Vincent Price war drin, ein paar andere, aber es waren nicht die Namen. Aber die erste Staffel war so erfolgreich, dass es ab der zweiten Staffel zum guten Ton gehörte, wenigstens dabei gewesen zu sein – wie heute als Stimme bei den Simpsons. In der zweiten Staffel traten dann plötzlich Peter Sellers, Julie Andrews oder Rudolf Nurejew auf. Mit Nurejew war die ganze Kulturschickeria sofort einbezogen, das heißt, man hatte E und U in den Muppets wunderbar über die Gaststars vereinigt. Peter Ustinov, Orson Welles, alle waren dabei.
Burg: Und es war ja eben auch zu hören in dem kleinen Beitrag, die Muppet Show, die hat ja durchaus viele US-amerikanische kulturelle Bezüge, also zum Beispiel der dänische Koch, der eine Persiflage war auf den Erfolg der Fernsehkochs im US-Fernsehen damals, auch noch viele andere Beispiele, aber die Muppets liefen ja in mehr als 100 Ländern. Warum funktionierten sie Ihrer Meinung nach so grenzüberschreitend?
Giesen: Sie haben amerikanische Prinzipien der Unterhaltungskultur übernommen, und die sind multikulturell. Das Geheimnis von Hollywood, amerikanischem Fernsehen und so weiter ist, dass man weltweit denkt, man denkt in verschiedenen Kulturen. Das tut man bei uns nicht.
Trotzdem sind die Muppets nicht in Amerika gedreht worden. Es wollte sie kein Amerikanischer Sender haben. Jim Henson, der seine Muppets Incorporated 1963 gegründet hat, probierte schon sehr lange, diese Serie vom Stapel laufen zu lassen. Es gab eine kurze Situation, wo er die Sesamstraße hatte, und mit der Sesamstraße hat er einen riesigen Erfolg gehabt – nur leider war das auf Kinder fokussiert.
Das heißt, alle amerikanischen Sender sagten hinterher, du bleibst beim Kinderfunk, bei der Kinderstunde, beim Kinderfernsehen, du kommst nicht ins Erwachsenenfernsehen. Und er musste nach England gehen. Glücklicherweise fand er in England einen Partner, ITV, Sir Lew Grade, und die haben diese amerikanischste der amerikanischen Puppenshows produziert – alles in England gemacht und in England finanziert.
Burg: Ein Erfolgsrezept, das ja dann relativ schnell aufgegangen ist, da hätten sich ja auch andere Länder das abgucken können. Warum ist es aber dann trotzdem so ein US-amerikanisches Phänomen geblieben und zum Beispiel nicht in Deutschland aufgegriffen worden? Warum gab es hier nicht eine Show für Erwachsene, warum sind Puppenshows immer eigentlich bei der Augsburger Puppenkiste, also einer sehr kinderbezogenen Sendung, stecken geblieben?
Giesen: Weder haben wir den Mut, noch sind wir so gut. Tatsächlich, wir sind nicht so gut. Wenn man sieht, wer für Kinder zum Beispiel schreibt oder wer sich herabmüht, für Puppen Dialoge zu schreiben, das ist natürlich eine Situation, die in Deutschland völlig unmöglich ist. Man ist damit U. Und wenn man U ist ...
Burg: Unterhaltung ...
Giesen: ... und Kinder macht und Puppen macht, dann ist man total abgeschrieben, und ein seriöser Produzent würde nicht mit einem arbeiten. Es ist leider Dünkel und es ist leider Unvermögen, was in Deutschland dazu geführt hat, dass wir nie ein ähnliches Format aufgegriffen hatten, obwohl wir mit der Puppenkiste – das muss ich sagen – einen gewaltigen Sympathieträger hatten, der auch viele Erwachsene angesprochen hat.
Burg: Und nun gibt es also einen neuen Muppet-Kinofilm. Disney hat nach dem Tod die Rechte an den Muppets gekauft, Jim Henson wollte ...
Giesen: Die haben alles gekauft. Das ist also hochinteressant, zum Schluss endet fast alles bei Disney, ob es Pixar ist, ob es chinesische Figuren sind und auch die Muppets. Disney hat fast schon ein Monopol auf populäre Figuren, seien sie nun zwei- oder dreidimensional.
Burg: Nun könnte man ja sagen, okay, da sind sie auch ganz gut aufgehoben, in dem Disney-Universum – wie viel ist denn von den frechen, anarchischen Muppets der Anfangsjahre in diesem Kinofilm, der jetzt herauskommt, für Sie übrig geblieben? Wie gut funktioniert das?
Giesen: Eigentlich funktioniert es gar nicht mehr. Man hat an dem Format nichts geändert, man hat also die Shownummern so belassen, wie sie in den 70er-Jahren präsentiert wurden. Das wurde von Leuten gemacht, die keine Liebe zu dem Sujet haben und nur auf die Kasse schielen. Das ist nicht auf Disney jetzt bezogen, aber es mag auf die Idee der Macher bezogen sein, die halt nur rechnen. Die haben gesagt, im Internet und auf YouTube tauchen diese Figuren ja immer noch auf, die haben soundso viel Millionen Downloads, die Hits gehen immer noch, also dürfte auch dieser Kinofilm noch gehen.
Ein innovativer Mensch wie Jim Henson und wie seine Mitarbeiter, die hätten natürlich wirklich probiert, das heutige Zeitgefühl aufzunehmen. Eines haben die Muppets geschafft – und da bin ich sehr dankbar: Die Puppe ist ein Kulturgut der Menschheit. Sie wurde wahrscheinlich in Persien entwickelt, auch das Puppenspiel in Persien, in China hat man mit Strohpuppen gearbeitet, die Puppen hatten einen kultischen Zweck. Und man hat dieses große kultische Format durch die Muppets erhalten und für ein Massenpublikum ja goutierbar gemacht. Das heißt, ohne die Muppets gäbe es vielleicht die Liebe zum Puppenspiel heute nicht mehr. Und das ist doch sehr positiv.
Burg: So enden wir dann auch noch mit einem positiven Schluss. Der Filmwissenschaftler und Trickfilmexperte Rolf Giesen über die, ja, man muss sagen kulturelle Bedeutung und den Erfolg der Muppets. Am Donnerstag läuft auch bei uns der Film "Die Muppets" an. Vielen Dank für Ihren Besuch, Herr Giesen!
Giesen: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.