Sieb Posthuma: Der Draht von Alexander Calder
Seemann Henschel Verlag, 2015
24 Seiten, 14,95 Euro
Große Kunst aus Draht auf Papier gebracht
Besonders Draht hatte es dem amerikanischen Bildhauer Alexander Calder angetan, zeitlebens hatte er eine Zange dabei und formte Figuren, Tiere und seine weltbekannten Mobiles daraus. Sieb Posthuma ehrt sein Werk nun mit einem inspirierenden Kinderbuch.
Eine der schönsten Zeichnungen zeigt Alexander und Josephine tanzend durch die Nacht. Zwei filigrane Figürchen, mit wenigen Strichen aufs Blatt geworfen. Er in blauer Hose und grauer Jacke, sie – viel größer als er, mit überlangen Beinen, spiralförmigem Bauch und ebensolchen Brüsten – ganz in schwarz. Über ihnen leuchten die Sterne in allen Farben, am Boden neben dem Paar liegt eine Zange.
Tatsächlich war der Künstler Alexander Calder selten ohne dieses Werkzeug anzutreffen. Und ohne diese Zange gäbe es auch Josephine nicht: Denn die Tänzerin, die hier zu sehen ist, war inspiriert von Josephine Baker, dem Star der Pariser Folies Bergère, und ist aus Draht. Ende der 1920er Jahre hatte der US-amerikanische Bildhauer die lebensgroße Figur geschaffen, als eines seiner frühen Werke aus diesem Material.
Leidenschaft für das biegsame Metall
Was sich aus Draht alles machen lässt, und wie daraus sogar große Kunst entsteht, zeigt das wunderschöne Kinderbuch "Der Draht von Alexander Calder". Darin erzählt der Illustrator Sieb Posthuma wie der 1898 in Pennsylvania geborene Künstler seine Leidenschaft für das biegsame Metall entdeckte und schließlich zu seinen heute weltberühmten Mobiles fand.
"Alexander hatte einen Draht", so beginnt Sieb Posthuma seine Geschichte, die mit wenigen Worten auskommt und sich fast ausschließlich auf die Kraft und Poesie der Illustration verlässt. Seite für Seite zeigt der niederländische Zeichner Calder als kleinen zarten Menschen, der, wo immer er steht und geht, einen Draht zur Hand hat. Anfangs biegt er noch kleine Gegenstände und Tierchen zurecht, doch je mehr er mit dem Material experimentiert, desto komplexer werden die Gebilde.
Viele fantastische Geschöpfe paradieren so vorbei. Etwa das Drahtodil" oder der "Drahtosaurus", die Posthuma für die jungen Leser seines Bilderbuches erfunden hat. Dann tauchen die wichtigen Kunstwerke Calders auf: Josephine eben oder der berühmte kleine Spielzeugzirkus mitsamt Drahtakrobaten, mit denen Alexander Calder Künstlerfreunde wie Piet Mondrian, Fernand Leger oder Joan Miro in Paris begeistert hat. Und schließlich ist es nur noch ein kleiner Schritt in die Abstraktion und zu den grazilen, schwebenden Drahtobjekten, die sich durch den leisesten Lufthauch in Bewegung setzen.
Einfache und schöne Bilder
Sieb Posthuma hat einfache wie schöne Bilder für diese künstlerische Entwicklungsgeschichte gefunden. Zu gerne folgt man seinem Alexander Calder-Figürchen – mit Zangen und Scheren hantierend – im Spiel mit dem Draht. Ob es kniet, liegt, hockt oder hüpft, ob es im Tanz mit einer Linie oder im Kampf mit einem Haufen Metall ist, stets siegt am Ende die Form. Und schließlich entsteht die Kunst des Schwebens: "Peacock", Calders legendäres Mobile aus dem Jahr 1941, schwingt fulminant über die letzte Doppelseite hinweg.
Biografisches über den Künstler und Details über sein Werk erfährt man zwar nicht. Doch was es heißt, der eigenen Fantasie mit Hingabe und Leidenschaft zu folgen, wird mehr als deutlich. Ein inspirierendes Buch.