"Niederlage des deutschen Sportjournalismus"
Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit kritisiert nach dem deutschen WM-Sieg die Presse. Die aktuelle DFB-Elf sei das beste Team, das es je gab. Und: Sie sei das Gegenstück zum Großmachtswahn in der deutschen Politik.
Nana Brink: Das sind die Bilder, die wir gestern Abend sehen wollten: Erschöpfte, aber völlig glückliche Spieler, die den goldenen Pokal – manchmal etwas mühsam, hatte man den Eindruck – in die Höhe recken. Kein Wunder nach diesen 120 Minuten. Ein Bundestrainer, für den es ein Moment der Ewigkeit war, eine strahlende Angela Merkel nebst Bundespräsidenten in der Kabine, beim Feiern, das war wohl auch unvermeidlich. Also alle glücklich, happy, auch die 80 Millionen deutschen Fans. Die Nacht war schwarz-rot-gold, und da gehen einem schon fast die Superlative aus. Der Soziologe Professor Klaus Theweleit hing natürlich auch gestern vor dem Fernseher. Noch müde? Schönen guten Morgen!
Klaus Theweleit: Noch müde, ja klar.
Brink: War das das Spiel, das Sie erwartet haben?
Theweleit: Ja, ziemlich genau.
Brink: Was hat Sie so fasziniert?
Theweleit: Fasziniert, nein – an dem Spiel nichts Besonderes, wie das ganze Turnier.
Brink: War das die große Dramatik bis zum Schluss, die das eigentlich wirklich so perfekt gemacht hat?
Theweleit: Ja. Dass Argentinien ungefähr so spielen würde, wie sie es getan haben, war zu erwarten, defensiv und auf Konter aus. Hätte ja auch ein, zwei Mal beinahe gut geklappt –aber zwei sehr ebenbürtige Mannschaften mit ein bisschen mehr Glück für Löws Jungs diesesmal.
Brink: Löws Jungs. Jetzt ist natürlich ganz Deutschland im Freudentaumel, der ist ja auch verständlich. Zu was führt denn dieser Freudentaumel?
Eine Niederlage des deutschen Sportjournalismus
Theweleit: Zu was soll der führen? Das weiß ich nicht. Mich interessiert aber auch weniger Deutschland, sondern tatsächlich diese Fußballmannschaft, die ja vor dem Turnier sehr schlecht geschrieben wurde, immer mit Erinnerung an das verlorene Halbfinale Italien, das sogar in den Siegartikeln über Brasilien sieben zu eins immer noch erwähnt und zitiert wurde. Also für mich ist das vor allen Dingen eine Niederlage des deutschen Sportjournalismus.
Brink: Also das hat Sie gestört, das hat Sie sehr gestört?
Theweleit: Ja, widerlich. Ich fand die deutsche Schreibe über dieses Turnier, über diese Mannschaft ekelhaft.
Brink: Nun spricht man von dieser Mannschaft ja immer von der goldenen Generation, und ich habe mich immer gefragt, was ist denn das Goldene? Also jetzt, klar, haben sie den Pokal, jetzt könnte man sagen golden. Was heißt goldene Generation?
Das beste Team, das es je gab
Theweleit: Das heißt gar nichts. Diese goldene Generation gibt es, wenn schon, dann seit 2006. 2010 in Südafrika sehr gut gespielt, ein bisschen unglücklich ausgeschieden, da war es gegen Spanien. Hätten sie jetzt wieder verloren, wäre diese Schreibe weiter gegangen. Ich weiß bis jetzt nicht, was die deutsche Sportpresse gegen Löw hat, außer, dass er ein sehr selbstständiger Mensch ist, der sich wenig beeindrucken ließ von dem, was geschrieben wurde, und – ja nun, jetzt, gut – belohnt wurde, belohnt hat.
Brink: Die große Kritikerschelte. Aber gucken wir noch mal auf diese Mannschaft. Sie sagten ja, wir sollten uns über diese Mannschaft freuen. Was hat Sie denn so erfreut, und über was sollten wir uns dann freuen.
Theweleit: Nicht nur gerade dieses Spiel war – null zu eins – wirklich nicht nur eines der schwersten, sondern das schwerste, weil eine sehr gut stehende, spielende argentinische Mannschaft besiegt wurde. Das hätte auch schon in Polen passieren können bei der EM, wo es alle erwartet haben und dann beleidigt waren, dass sie nun im Halbfinale ausschieden. Diese Mannschaft spielt seit 2000, also seit Löw nach Klinsmann diese Mannschaft übernommen hat, spielt regelmäßig auf höchstem Niveau, sehr gut, was eine deutsche Mannschaft vorher nie so, über einen so langen Zeitraum getan hat. Das ist das beste Team, das es je gab.
Brink: Das beste Team, was es je gab, nach diesem Halbfinale. Bisher wurden ja WM-Titel – also gucken wir jetzt auf 1954 oder auf 1990 – ja immer mit politischen Rahmenbedingungen verknüpft. Ist das jetzt auch so, oder müsste das so sein.
Das Gegenstück zum politischen deutschen Großmachtswahn
Theweleit: Nein, überhaupt nicht. Dieses Löw-Team – also, was den Deutschen vorgeworfen wird, politische Dominanz in der EU, auch die Kriegseinsätze, die zu Recht vorgeworfen werden, in Afghanistan, Afrika, Waffenexporte und so weiter – damit hat diese Mannschaft überhaupt nichts zu tun, sie ist geradezu das Gegenstück, das Gegenbild zum deutschen Großmachtswahn, der politisch läuft.
Brink: Also ist es eigentlich ein Grund, sich genau darüber zu freuen. Ist das die Seite von Deutschland, wo man sagen kann, ja, das ist das, was wir nach außen eigentlich transportieren wollen, und das kommt –
Theweleit: Sollten, ja. Das würde mich am meisten freuen. Diese Mannschaft ist geradezu wirklich das Gegenstück zur Merkel-Politik und zur deutschen Politik, dem, nach außen.
Brink: Ja, Angela Merkel hat sich ja sehr gefreut und ist auch gleich wieder in die Kabine gegangen.
"Merkel ist das Gegenteil dieser Mannschaft"
Theweleit: Na klar freut die sich jeder Kanzler, wie Kohl oder sonst wer, begibt sich da in die Kabine und holt sich seine Popularitätspunkte ab – hat nichts mit Merkel zu tun. Merkel ist das Gegenteil dieser Mannschaft.
Brink: Da möchte ich noch ein bisschen dran bleiben. Noch mal an das Faszinierende gefragt: Was haben die denn transportiert, was so –
Theweleit: Dass sie spielen. Die deutsche Außenpolitik spielt ja auf Macht. Dieses Team spielt überhaupt nicht auf Macht, auch Löw nicht. Nie betont, kein bisschen, sondern dass man mit einer bestimmten Konstanz am Spielerischen bleibt. Und das, was mich am meisten gewundert hat: trotz des Ausfalls von Khedira. Ich kriegte richtig einen Schreck!
Brink: Wir alle.
Theweleit: Ein paar Minuten vor dem Spiel zu hören, der nun gerade gegen Brasilien einer der wichtigsten Spieler war auf dem Platz, ersetzt werden musste. Dann noch die Schiedsrichterschelte. Die muss natürlich weitergeben, dass das grobe Foul an Kramer gleich übersehen wurde, es keinen Elfmeter gab, das waren nun wirklich Schreck- nicht nur -Sekunden, sondern halbe Stunden, beinah das Spiel durch, die gingen … und dann wunderbar mit dem eingewechselten Götze, dass der das Tor macht. Auch das, gerade der Spieler, der gescholten wurde wegen seines Spiels – eben und nicht Kampf und (Anmerkung der Redaktion: Wort unverständlich) und so weiter, Mann, sondern eleganter, kleiner, der Kleinste auf dem Feld und unter den Deutschen – dann das Siegtor macht: sehr schön.
Deutsche Tugenden sind eine Erfindung der englischen Boulevardpresse
Brink: Ich würde trotzdem noch mal gerne ein bisschen dran bleiben an dieser Faszination über diese Mannschaft und traue mich einfach mal zu sagen, sind das auch die deutschen Tugenden wie Zusammenhalt, Disziplin, die da auch zum Vorschein kamen, in einer guten Variante?
Theweleit: Nein, also die guten Sportreporter, einer der wenigen, der an Löw immer festhielt, war Peter Unfried in der "taz" … Hat mit deutschen Tugenden nichts zu tun. Erstens gibt es die nicht mehr, wenn es sie je gegeben haben sollte. Auch '74, '70, '79 und '90 gab es die nicht. Das waren immer gut spielende, deutsche Mannschaften, die da gewonnen haben. Technisch hoch und intelligent spielende Mannschaften. Deutsche Tugenden sind schlicht Quatsch, das ist eine Erfindung von der englischen Boulevardpresse und der europäischen, die von deutschen Tanks und Panzern geschrieben hat – alles Quatsch. Diese Mannschaften von Beckenbauer, Breitner, Hoeneß, Hölzenbein und so weiter, und so weiter, waren immer sehr gut technisch spielende Mannschaften. Selbst gegen die Holländer waren sie technisch nicht schlecht, als sie gewonnen haben. Das ist alles dummes Gerede.
Brink: Professor Klaus Theweleit. Herzlichen Dank! Und ich glaube, wir freuen uns alle heute noch diesen Tag weiter.
Theweleit: Ja, super.
Brink: Schönen Dank für das Gespräch.
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