Iupiter Dolichenus – der antike Stadtgott von Doliche
Es klingt paradox: Weil ein Brand das Archiv der osttürkischen Stadt Doliche zerstörte, wurden rund 1.000 antike Siegel für die Nachwelt erhalten. Denn das Feuer machte die alten Ton-Siegel haltbar. Auf ihnen entdeckten Forscher den Stadtgott Iupiter Dolichenus.
Etwa 150 Kilometer nördlich vom syrischen Aleppo, in der heutigen Südosttürkei, liegen die Überreste der antiken Stadt Doliche. Der Ort war nicht besonders groß. Er war jedoch im gesamten Römischen Reich bekannt – durch den Stadtgott Iupiter Dolichenus. Prof. Dr. Engelbert Winter von der Universität Münster:
"Er ist ein Gott gewesen, der vor allen Dingen für die Fruchtbarkeit des Landes, für Regen, zuständig gewesen ist. Er hat Blitzbündel und Doppelaxt in den Händen. Das sind Attribute, die ihn auch als einen kraftvollen Gott ausweisen."
Seit mehr als 20 Jahren besitzen er und sein Forscherteam eine Grabungslizenz für das ehemalige Dolicher Stadtgebiet – und den angrenzenden Hügel Dülük Baba Tepesi. Auf ihm befand sich das Heiligtum des Iupiter Dolichenus. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde es an diesem Ort vermutet.
Handschlag zwischen Gott und Kaiser
Die Münsteraner Althistoriker haben 2017 erste wichtige Hinweise auf den Kult des Iupiter Dolichenus im eigentlichen Stadtgebiet von Doliche gefunden, sagt der Archäologe Torben Schreiber:
"Wir haben sehr viele Siegelabdrücke, auf denen der Gott Iupiter Dolichenus halt gezeigt wird – im Handschlag mit dem römischen Kaiser. In anderen Archiven können wir das in dieser Form nicht fassen. Also man kann sagen, dass sich in dem städtischen Archiv auch ein ganz klarer Bezug zum Hauptkult des Ortes fassen lässt. Denn wenn der Kaiser dort im Handschlag dargestellt ist, dann bezeugt das die reichsweite Bedeutung im Imperium Romanum."
Zu welchem Zweck welche Siegelbilder genutzt wurden, konnten die Münsteraner Forscher allerdings noch nicht genau feststellen.
"Dieses Archiv ist, wie vergleichbare Befunde das auch zeigen, durch einen Brand zerstört worden. Und dieser Brand hat eben die Siegel erst haltbar gemacht. In dem Moment, in dem Ton Feuer ausgesetzt wird, trocknet er aus und wird hart. Man muss sich das so vorstellen: Es handelt sich dabei um die Urkundenverschlüsse, die eben aus Ton gefertigt waren. Und die zugehörigen Dokumente, die aus Pergament oder Papyrus gewesen sind, die sind verloren gegangen."
Siegel aus der Zeit um Christi Geburt
Die Historiker haben Siegel in unterschiedlichen Größen gefunden. Kleinere Siegel von etwa einem Zentimeter Durchmesser, wurden vermutlich von Privatpersonen genutzt. Die größeren Exemplare – etwa mit dem Durchmesser einer Zwei-Euro-Münze – ließen sich dank erkennbarer Inschriften als offizielle Stadtsiegel identifizieren. Torben Schreiber:
"Also Urkunden werden schon eine große Rolle gespielt haben, beispielsweise Kaufverträge oder Ähnliches, die dann auch von mehreren Parteien gesiegelt wurden. Aber auch Briefe, die im versiegelten Zustand verschickt worden sind."
Sicher ist jedoch: Die Siegel stammen zu einem großen Teil aus der Zeit um Christi Geburt. Denn nicht nur Iupiter Dolichenus ist häufig zu sehen, erklärt Torben Schreiber:
"Prominent dargestellt ist auch Augustus auf den Siegeln, der auch im Zusammenhang mit Dea Roma dargestellt wird. Und das ist ein Bezug dazu, dass die Dea Roma, die ja gewissermaßen die Staatsgöttin ist, gemeinsam dort mit Augustus verehrt worden ist."
Soldaten verehrten Iupiter Dolichenus
Kaiser Augustus und die Staatsgöttin waren im gesamten Römischen Reich natürlich hinlänglich bekannt. Iupiter Dolichenus, der zunächst nur ein Stadtgott war, wurde schließlich von Soldaten über die Grenzen Doliches hinausgetragen, erläutert Engelbert Winter.
"Offensichtlich ist es die angedeutete Macht dieses Gottes, die für bestimmte gesellschaftliche Gruppen eine hohe Attraktivität hatte. Wir wissen aus den Inschriften, dass besonders im Militär, also unter den Soldaten dieser Gott eine große Anhängerschaft hatte."
"Ubi ferrum nascitur – Iupiter Dolichenus ist dort geboren, wo das Eisen wächst."
Vermutlich waren es auch diese überlieferten Worte aus Weih-Inschriften, die Iupiter Dolichenus für das Militär attraktiv machten. Denn das Gebiet um Doliche war bekannt für seine großen Eisenvorkommen.
Zerstörtes Heiligtum des Stadtgottes
Das Forscherteam um Engelbert Winter hofft nun, bald noch genauere Aufschlüsse über die Siegelpraxis im antiken Doliche zu bekommen – und damit auch über den offenbar religiös geprägten Alltag in der Stadt. Helfen könnten dabei vielleicht Siegelabdrücke aus Archiven in anderen Regionen des Römischen Reichs. Denn teilweise sind dort noch die zugehörigen Dokumente erhalten.
Wie lange der Kult des Iupiter Dolichenus in seiner Heimat tatsächlich noch ausgeübt wurde, ist unklar. Mitte des 3. Jahrhunderts hatten Truppen des noch relativ jungen Neupersischen Reichs Doliche eingenommen – und dabei das Heiligtum des Stadtgottes zerstört. Der Hügel Dülük Baba Tepesi wurde aber auch nach der Dolichenus-Zeit noch religiös genutzt – bis ins 12. Jahrhundert hinein, weiß Engelbert Winter:
"Auch nach dem Untergang des Heidnischen Heiligtums, des Heiligtum des Iupiter Dolichenus, ist der Ort von Christen weiter genutzt worden und es ist ein sehr prominentes Kloster dort entstanden. Heute ist das Gebiet natürlich Teil der islamischen Welt."