Siggelkow: Zusätzliches Geld muss direkt bei den Kindern ankommen
Der Gründer des Kinder-Hilfswerks "Die Arche", Bernd Siggelkow, hat mehr Geld für Kinder aus Hartz-IV-Familien gefordert. Es müsse mehr Geld direkt bei den Kindern ankommen, sagte der Berliner Pastor.
Birgit Kolkmann: Was kostet es im Monat, ein Kind zu ernähren, es zu kleiden und entsprechend seiner Talente zu fördern? Dem Staat ist das 211 Euro wert. Das ist der Hartz-IV-Regelsatz für Kinder. Und das reicht gar nicht, sagen die Wohlfahrtsverbände. Diese Kinder müssen zwar nicht hungern, aber sie sind trotzdem arm und leiden darunter, meist im Stillen. Das Bundessozialgericht hat im Januar festgestellt, dass die Hartz-IV-Sätze ungerecht sind. Jetzt muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheiden und heute wird darüber verhandelt. Wie erbärmlich ist die Situation von Kindern, die darauf angewiesen sind? – Bernd Siggelkow hat vor 14 Jahren das Kinderhilfsprojekt Arche ins Leben gerufen. In Berlin, Hamburg, München und Potsdam gibt es jetzt dieses Hilfswerk. Herr Siggelkow, warum kommen die Kinder zu Ihnen?
Bernd Siggelkow: Die Kinder kommen auf der einen Seite zu uns, weil sie mittags hungrig sind, weil sie keine Chance haben, irgendwo in den Sportverein zu gehen oder Musikunterricht zu nehmen, weil sie auch wieder die Möglichkeit haben wollen, Kinder zu sein. Das ist ja ein großes Problem, dass das alles heute mit dem Geld zusammenhängt. Heute kosten Sportvereine Geld, Musikunterricht, und das können sich Kinder aus Hartz-IV-Familien letztendlich nicht leisten.
Kolkmann: Müsste das in einen Hartz-IV-Satz mit hineingerechnet werden, oder sollte der Staat das anders organisieren, also einfach kostenlos bereitstellen?
Siggelkow: Nun, da streiten sich ein bisschen die Geister drüber, was man besser machen kann, ob noch mehr Transferleistungen in die Familien kommen sollen, oder, wie wir es fordern, letztendlich mehr Geld bei den Kindern ankommen. Da kann man letztendlich in das Bildungssystem viel besser investieren, oder den Kindern letztendlich die Möglichkeiten schaffen, auf anderen Ebenen sozusagen das zu bekommen, was sie für ihre Entwicklung brauchen.
Kolkmann: Wie kann man dann sicherstellen, dass auch alle Kinder, die es brauchen und die sich dafür interessieren, es auch bekommen und dass nicht irgendwann der Deckel drauf ist und gesagt wird, für dich ist leider nichts mehr übrig?
Siggelkow: Nun können wir uns da ja dem internationalen Vergleich stellen. Da gibt es Länder wie Skandinavien, in denen das gesamte Bildungssystem kostenlos ist, wo Schulessen überhaupt kein Geld kostet, wo Bildung auch kein Geld kostet. Wir denken hier in Deutschland, Bildung ist auch kostenlos, weil die Schulen nichts kosten, aber Schulmaterialien sind ja etwas, was unwahrscheinlich teuer ist. Und wir haben noch ein ganz anderes Problem: In Städten wie Berlin, wo Kinder letztendlich, um von einem Bezirk in den anderen zu kommen, ein Nahverkehrs-Ticket bekommen, ist ja letztendlich in diesem Hartz-IV-Satz überhaupt keine Regelung getroffen, wie diese Kinder dieses Ticket bezahlen können. Nehmen wir mal an, in einem Berliner Bezirk bekommt ein Kind in der Grundschule eine Empfehlung, auf die Realschule zu gehen, und die Realschule in seinem Bezirk ist voll und es müsste in einen anderen Bezirk fahren. Weil aber das Geld nicht da ist für ein Nahverkehrs-Ticket, bleiben meistens die Kinder in einer niedrigeren Stufe. Das heißt, sie gehen dann auf die Hauptschule. Damit sind ihre Entwicklungschancen und ihre Zukunftschancen schon vorgeprägt.
Kolkmann: Haben denn diese Kinder, die auch zu Ihnen kommen, überhaupt eine Chance jemals aus dem Armutskreislauf herauszukommen unter diesen Bedingungen?
Siggelkow: Also grundsätzlich muss man den Kindern viele Perspektiven aufzeigen, denn sie kommen ja schon aus einem Kreislauf, wo ihre Eltern schon Hartz-IV-Empfänger waren oder Sozialhilfeempfänger und sie das sozusagen weiter vererben. Da sind die Perspektiven schon nicht da. Das hat nicht immer was mit dem Geld zu tun, das hat natürlich auch was mit der Psyche zu tun. Wenn ich mich selber als Elternteil als nichts mehr wert empfinde, dann empfinde ich auch einen geringeren Wert für meine Kinder. Deswegen brauchen Kinder letztendlich Ansprechpartner, die ihnen in diesen Lebenslagen besonders helfen.
Kolkmann: Wie wichtig sind da Menschen wie Sie und Ihre Mitarbeiter? Was haben Sie in den letzten 14 Jahren da erfahren?
Siggelkow: Also ich will jetzt unsere Arbeit nicht größer loben als sie ist, aber wir entdecken eben, dass viele Kinder, die zu uns kommen, überhaupt kein Selbstwertgefühl haben, selten Erfolgserlebnisse haben und ihre Potenziale überhaupt nicht geweckt und gefördert werden, und wir sehen uns da als ein ganz wichtiger Ansprechpartner für die Kinder, als ein Beziehungsfaktor, aber auch als Menschen, die in die Familie hineinwirken und Perspektiven wieder aufweisen. Für die vielen Kinder – und es sind mittlerweile 2.000 in Deutschland – kann man sich ein Leben ohne Arche für die Kinder kaum noch vorstellen, weil sie ist häufig der einzige Strohhalm, den diese Familien noch haben.
Kolkmann: Wenn Sie 2.000 Kinder versorgen, dann bleiben noch sehr viele Tausende übrig, die in ähnlich schlechter Situation sind. An wen können die sich wenden? Der Staat als solcher ist abstrakt, die Schulen sind überfordert. Wo ist die Hilfe?
Siggelkow: Na ja, das ist für mich auch häufig eine Frage. Sicherlich gibt es viele Einrichtungen deutschlandweit, die ähnlich arbeiten wie wir, aber uns erreichen auch viele Briefe von sorgenden Eltern aus anderen Bundesländern, wo es keine Arche gibt, die gar nicht weiter wissen, die mit ihrem Geld nicht klar kommen, die ihren Kindern das bestmögliche geben wollen, auch die bestmögliche Ausbildung, auch Schulausbildung, die aber einfach nicht weiter kommen, weil Nachhilfe ja auch Geld kostet.
Kolkmann: Nun blickt alles heute nach Karlsruhe, wo die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder neu verhandelt werden. Ein Urteil ist gegen Ende des Jahres zu erwarten. Wie sähe Ihr Wunschurteil vom BVG aus?
Siggelkow: Mein Wunschurteil würde so aussehen, dass man sieht, dass die Sätze natürlich nicht ausreichen, da einen deutlichen Strich drunter macht und sich Gedanken darüber macht, wie können wir Geld ausgeben, das direkt bei den Kindern ankommt, dass wir direkt ins Bildungssystem investieren und direkt für die Kinder etwas zur Verfügung stellen, was den Kindern zu 100 Prozent zugute kommt.
Kolkmann: Das heißt, eine Empfehlung und eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts an die Politik. Noch eine Aufgabe für Schwarz-Gelb?
Siggelkow: Noch eine große Aufgabe für Schwarz-Gelb, denn Kinder sind ja nicht nur unsere Zukunft, sondern auch unsere Gegenwart und das, was wir heute in unsere Kinder investieren, das bekommen wir morgen zurück, so oder so.
Kolkmann: Bernd Siggelkow, der Gründer des Kinderhilfswerks Arche in Berlin. Danke fürs Gespräch in der "Ortszeit".
Siggelkow: Sehr gerne.
Bernd Siggelkow: Die Kinder kommen auf der einen Seite zu uns, weil sie mittags hungrig sind, weil sie keine Chance haben, irgendwo in den Sportverein zu gehen oder Musikunterricht zu nehmen, weil sie auch wieder die Möglichkeit haben wollen, Kinder zu sein. Das ist ja ein großes Problem, dass das alles heute mit dem Geld zusammenhängt. Heute kosten Sportvereine Geld, Musikunterricht, und das können sich Kinder aus Hartz-IV-Familien letztendlich nicht leisten.
Kolkmann: Müsste das in einen Hartz-IV-Satz mit hineingerechnet werden, oder sollte der Staat das anders organisieren, also einfach kostenlos bereitstellen?
Siggelkow: Nun, da streiten sich ein bisschen die Geister drüber, was man besser machen kann, ob noch mehr Transferleistungen in die Familien kommen sollen, oder, wie wir es fordern, letztendlich mehr Geld bei den Kindern ankommen. Da kann man letztendlich in das Bildungssystem viel besser investieren, oder den Kindern letztendlich die Möglichkeiten schaffen, auf anderen Ebenen sozusagen das zu bekommen, was sie für ihre Entwicklung brauchen.
Kolkmann: Wie kann man dann sicherstellen, dass auch alle Kinder, die es brauchen und die sich dafür interessieren, es auch bekommen und dass nicht irgendwann der Deckel drauf ist und gesagt wird, für dich ist leider nichts mehr übrig?
Siggelkow: Nun können wir uns da ja dem internationalen Vergleich stellen. Da gibt es Länder wie Skandinavien, in denen das gesamte Bildungssystem kostenlos ist, wo Schulessen überhaupt kein Geld kostet, wo Bildung auch kein Geld kostet. Wir denken hier in Deutschland, Bildung ist auch kostenlos, weil die Schulen nichts kosten, aber Schulmaterialien sind ja etwas, was unwahrscheinlich teuer ist. Und wir haben noch ein ganz anderes Problem: In Städten wie Berlin, wo Kinder letztendlich, um von einem Bezirk in den anderen zu kommen, ein Nahverkehrs-Ticket bekommen, ist ja letztendlich in diesem Hartz-IV-Satz überhaupt keine Regelung getroffen, wie diese Kinder dieses Ticket bezahlen können. Nehmen wir mal an, in einem Berliner Bezirk bekommt ein Kind in der Grundschule eine Empfehlung, auf die Realschule zu gehen, und die Realschule in seinem Bezirk ist voll und es müsste in einen anderen Bezirk fahren. Weil aber das Geld nicht da ist für ein Nahverkehrs-Ticket, bleiben meistens die Kinder in einer niedrigeren Stufe. Das heißt, sie gehen dann auf die Hauptschule. Damit sind ihre Entwicklungschancen und ihre Zukunftschancen schon vorgeprägt.
Kolkmann: Haben denn diese Kinder, die auch zu Ihnen kommen, überhaupt eine Chance jemals aus dem Armutskreislauf herauszukommen unter diesen Bedingungen?
Siggelkow: Also grundsätzlich muss man den Kindern viele Perspektiven aufzeigen, denn sie kommen ja schon aus einem Kreislauf, wo ihre Eltern schon Hartz-IV-Empfänger waren oder Sozialhilfeempfänger und sie das sozusagen weiter vererben. Da sind die Perspektiven schon nicht da. Das hat nicht immer was mit dem Geld zu tun, das hat natürlich auch was mit der Psyche zu tun. Wenn ich mich selber als Elternteil als nichts mehr wert empfinde, dann empfinde ich auch einen geringeren Wert für meine Kinder. Deswegen brauchen Kinder letztendlich Ansprechpartner, die ihnen in diesen Lebenslagen besonders helfen.
Kolkmann: Wie wichtig sind da Menschen wie Sie und Ihre Mitarbeiter? Was haben Sie in den letzten 14 Jahren da erfahren?
Siggelkow: Also ich will jetzt unsere Arbeit nicht größer loben als sie ist, aber wir entdecken eben, dass viele Kinder, die zu uns kommen, überhaupt kein Selbstwertgefühl haben, selten Erfolgserlebnisse haben und ihre Potenziale überhaupt nicht geweckt und gefördert werden, und wir sehen uns da als ein ganz wichtiger Ansprechpartner für die Kinder, als ein Beziehungsfaktor, aber auch als Menschen, die in die Familie hineinwirken und Perspektiven wieder aufweisen. Für die vielen Kinder – und es sind mittlerweile 2.000 in Deutschland – kann man sich ein Leben ohne Arche für die Kinder kaum noch vorstellen, weil sie ist häufig der einzige Strohhalm, den diese Familien noch haben.
Kolkmann: Wenn Sie 2.000 Kinder versorgen, dann bleiben noch sehr viele Tausende übrig, die in ähnlich schlechter Situation sind. An wen können die sich wenden? Der Staat als solcher ist abstrakt, die Schulen sind überfordert. Wo ist die Hilfe?
Siggelkow: Na ja, das ist für mich auch häufig eine Frage. Sicherlich gibt es viele Einrichtungen deutschlandweit, die ähnlich arbeiten wie wir, aber uns erreichen auch viele Briefe von sorgenden Eltern aus anderen Bundesländern, wo es keine Arche gibt, die gar nicht weiter wissen, die mit ihrem Geld nicht klar kommen, die ihren Kindern das bestmögliche geben wollen, auch die bestmögliche Ausbildung, auch Schulausbildung, die aber einfach nicht weiter kommen, weil Nachhilfe ja auch Geld kostet.
Kolkmann: Nun blickt alles heute nach Karlsruhe, wo die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder neu verhandelt werden. Ein Urteil ist gegen Ende des Jahres zu erwarten. Wie sähe Ihr Wunschurteil vom BVG aus?
Siggelkow: Mein Wunschurteil würde so aussehen, dass man sieht, dass die Sätze natürlich nicht ausreichen, da einen deutlichen Strich drunter macht und sich Gedanken darüber macht, wie können wir Geld ausgeben, das direkt bei den Kindern ankommt, dass wir direkt ins Bildungssystem investieren und direkt für die Kinder etwas zur Verfügung stellen, was den Kindern zu 100 Prozent zugute kommt.
Kolkmann: Das heißt, eine Empfehlung und eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts an die Politik. Noch eine Aufgabe für Schwarz-Gelb?
Siggelkow: Noch eine große Aufgabe für Schwarz-Gelb, denn Kinder sind ja nicht nur unsere Zukunft, sondern auch unsere Gegenwart und das, was wir heute in unsere Kinder investieren, das bekommen wir morgen zurück, so oder so.
Kolkmann: Bernd Siggelkow, der Gründer des Kinderhilfswerks Arche in Berlin. Danke fürs Gespräch in der "Ortszeit".
Siggelkow: Sehr gerne.