"Europa wird sich wundern"
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Auch unter US-Präsident Biden sei Europa weniger wichtig für die USA als Südostasien, sagt der frühere Außenminister Sigmar Gabriel. Die Europäer müssten mehr Verantwortung übernehmen anstatt nur zuzuschauen: "Wir werden selber mehr leisten müssen."
Europa muss nach Überzeugung des früheren Außenministers Sigmar Gabriel (SPD) eine aktivere Rolle in der Weltpolitik spielen - unabhängig vom neuen US-Präsidenten Joe Biden. Die USA hätten früh erkannt, dass nicht mehr Europa der Dreh- und Angelpunkt sei, sondern "neue Schwergewichte" in Südostasien lägen, sagt der Vorsitzende der Atlantik-Brücke:
"Europa wird weniger wichtig für die Amerikaner, es ist egal, wer Präsident ist. Das hat für Europa Folgen, nämlich dass wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten mehr kümmern müssen, weil die Amerikaner quasi als Ersatzeuropäer nicht zur Verfügung stehen."
Dass die EU den USA nun einen neuen "Gründungspakt" vorgeschlagen hat, hält Gabriel für übertrieben: "Ich bin immer ein bisschen vorsichtig mit so großen Begriffen, weil ich nicht so richtig weiß, was jetzt neu gegründet werden soll."
Keine Allianz wie nach dem Zweiten Weltkrieg mehr
Die atlantische Allianz nach dem Zweiten Weltkrieg werde man nicht wiederholen können. Die Zeiten seien andere. Von Bedeutung zwischen Europa und den USA bleibe die Zusammenarbeit bei großen Herausforderungen wie dem Klimaschutz. Es gehe darum, die Welt "in Balance" zu halten und sie "nicht den Autoritären" zu überlassen:
"Aber Achtung, Europa wird sich wundern: Wir werden dafür selber mehr leisten müssen. Die Amerikaner werden nicht bereit sein, den Europäern die Lasten, die diese Verantwortung mit sich bringt, alle abzunehmen."
"Die Welt wird für Europa bestimmt ungemütlicher", prognostiziert der frühere Außenminister. Wenn sich die Amerikaner ein Stück weit zurückzögen, entstehe kein Vakuum. Vielmehr würden andere dann diese Räume besetzen: wie Russland, die Türkei, Iran oder China.
"Nur eine Region ist nie dabei: Das ist Europa", kritisiert Gabriel. Vor ihrer "unmittelbaren Haustür" seien die Europäer nur Zuschauer. Ihnen mangele es an einer gemeinsamen Sicht auf die Welt.
Ist Europa bereit und willens, in den Krieg zu ziehen?
Am Ende gehe es auch um die Frage, ob Europa bereit sei, militärisch einzugreifen, um Menschen zu schützen, Kriege zu beenden oder Unrechtsregime in die Schranken zu weisen. Diese Frage sei zwar momentan nicht der erste und wichtigste Punkt auf der Agenda, so Gabriel. "Aber wenn man es gar nicht kann, dann werden es andere machen, und wir sind Zuschauer, dann sind wir Spielball."
(bth)