Signal aus Zeitz
Aus Protest gegen die Kirchenfeindlichkeit der DDR opferte am 18. August 1976 der Pfarrer Oskar Brüsewitz sein Leben. Auf dem Marktplatz der Stadt Zeitz setzte er sich in Brand und wurde tödlich verletzt. Sein Selbstmord löste heftige Diskussionen über das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR aus.
"Er kam dann zu mir und sagte: Christel, mach doch jetzt für uns ein vorzügliches Frühstück."
Christel Brüsewitz, die Witwe des evangelischen DDR-Pfarrers Oskar Brüsewitz, in dem Dokumentarfilm "Der Störenfried":
"Als ich dann später im Schlafzimmer die Betten machte, kam er zu mir und nahm mich so in die Arme und fragte: Hast du mich noch richtig lieb? Ich sagte: Aber ja, das musst du doch spüren."
Erinnerungen an den Morgen des 18. August 1976 im Pfarrhaus in Rippicha, einem 200-Seelen-Dorf im Süden der DDR. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit Frau und Tochter stieg der 47-jährige Oskar Brüsewitz in seinen schwarzen Wartburg-Kombi und fuhr in die nahe gelegene Kreisstadt Zeitz. Er parkte seinen Wagen am Marktplatz vor der Michaeliskirche, stieg aus, enthüllte zwei handgeschriebene Transparente, befestigte sie auf dem Dachgepäckträger.
"Funkspruch an alle: Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen."
Oskar Brüsewitz holte aus dem Wagen eine mit Benzin gefüllte Kanne, übergoss sich, setzte seinen Talar in Brand und lief schreiend in Richtung Kirche. Menschen eilten herbei, und es gelang, die Flammen zu ersticken. Doch vier Tage später starb der tödlich verletzte Pfarrer im Krankenhaus Halle-Dölau.
1969, nach dem Abschluss des Predigerseminars, war der gelernte Schuster Oskar Brüsewitz nach Droßdorf-Rippicha gekommen, trat seine erste Pfarrstelle an. Schnell merkten die staatlichen Stellen, dass er ein kämpferischer, streitbarer, kompromissloser Christ war. Seine Provokationen gegen den atheistischen Arbeiter- und Bauernstaat riefen schon bald die Staatssicherheit auf den Plan, zum Beispiel, weil er ein weit sichtbar leuchtendes Neonkreuz auf der Rippichaer Kirche installiert hatte oder weil er SED-Losungen Paroli bot. Plakatierte die Partei
"Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein","
setzte er dagegen:
""Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott."
Mit großem Eifer wollte Oskar Brüsewitz in der atheistisch geprägten Gesellschaft die christliche Botschaft verkünden. Umtriebig und einfallsreich organisierte er Kinderfeste, die besser besucht waren als manches Pionier- oder FDJ-Treffen - zum Ärger der ortsansässigen Funktionäre. Schließlich forderte der Rat des Kreises seine Versetzung. Auch die Kirchenleitung war von den provokanten Aktionen des Pfarrers nicht begeistert. Man legte Oskar Brüsewitz nahe, einem Ortswechsel zuzustimmen.
"Durch seine Provokationen gegenüber dem Staat hatten sicher viele ortsansässige Eltern Warnungen gekriegt: Also, wenn Ihr Euer Kind weiter dort hinschickt, wird es nicht ganz leicht für das Kind. "
Joachim Hildebrandt, 1974 Superintendent in Zeitz:
"Er wollte was Gutes dadurch erreichen, den Staat provozieren, aber hintenrum kam es dann so raus, dass die Kinder wegblieben. So hatte er keine Christenlehrekinder, keine Konfirmanden, die Gemeinde schrumpfte weg. Und da war sein Hauptleiden, wo er also nicht mit fertig wurde, was ihn letztlich in diesen, ja, schrecklichen Tod trieb."
Vergeblich hoffte die SED-Führung, den Selbstmord, das "Signal von Zeitz", so der Vorsitzende des Ministerrates Horst Sindermann, geheim halten zu können. Man fürchtete innere Unruhen - und dass der tragische Freitod im Westen propagandistisch ausgeschlachtet würde. Tatsächlich sorgte die Selbstverbrennung Oskar Brüsewitz' in Westdeutschland für Schlagzeilen. Das "Neue Deutschland" reagierte am 31. August mit einem verunglimpfenden Artikel. Da hieß es unter anderem, dass die Selbstverbrennung die Tat eines krankhaft veranlagten Menschen sei, der nicht alle fünf Sinne beisammen habe. Ähnlich las es sich in der "Neuen Zeit", der Zeitung der Ost-CDU.
Die Kirchenleitung protestierte gegen diese Verleumdungen, verlangte vergeblich eine öffentliche Gegendarstellung. Bischof Werner Krusche auf dem Kirchentag in Halle, im September 1976:
"Die Frage an uns, die er uns stellen wollte, ist ganz sicher die: Warum lässt es euch kalt, wenn Menschen verloren gehen, wenn Kinder nicht mehr zur Christenlehre kommen? Und, ich denke, dass auch ein anderes noch dahinter ist: Er ist zunehmend enttäuscht worden, dass Menschen so ihn allein ließen, auch die Pfarrer allein ließen."
Im Rückblick hat die tragische und umstrittene Tat das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR nachhaltig verändert. Der Bürgerrechtler Rainer Eppelmann nannte den Pfarrer einen der "Väter der friedlichen Revolution", als er am 1. Juli 2006 an der Pfarrkirche von Rippicha eine Gedenktafel für Oskar Brüsewitz einweihte.
Christel Brüsewitz, die Witwe des evangelischen DDR-Pfarrers Oskar Brüsewitz, in dem Dokumentarfilm "Der Störenfried":
"Als ich dann später im Schlafzimmer die Betten machte, kam er zu mir und nahm mich so in die Arme und fragte: Hast du mich noch richtig lieb? Ich sagte: Aber ja, das musst du doch spüren."
Erinnerungen an den Morgen des 18. August 1976 im Pfarrhaus in Rippicha, einem 200-Seelen-Dorf im Süden der DDR. Nach dem gemeinsamen Frühstück mit Frau und Tochter stieg der 47-jährige Oskar Brüsewitz in seinen schwarzen Wartburg-Kombi und fuhr in die nahe gelegene Kreisstadt Zeitz. Er parkte seinen Wagen am Marktplatz vor der Michaeliskirche, stieg aus, enthüllte zwei handgeschriebene Transparente, befestigte sie auf dem Dachgepäckträger.
"Funkspruch an alle: Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen."
Oskar Brüsewitz holte aus dem Wagen eine mit Benzin gefüllte Kanne, übergoss sich, setzte seinen Talar in Brand und lief schreiend in Richtung Kirche. Menschen eilten herbei, und es gelang, die Flammen zu ersticken. Doch vier Tage später starb der tödlich verletzte Pfarrer im Krankenhaus Halle-Dölau.
1969, nach dem Abschluss des Predigerseminars, war der gelernte Schuster Oskar Brüsewitz nach Droßdorf-Rippicha gekommen, trat seine erste Pfarrstelle an. Schnell merkten die staatlichen Stellen, dass er ein kämpferischer, streitbarer, kompromissloser Christ war. Seine Provokationen gegen den atheistischen Arbeiter- und Bauernstaat riefen schon bald die Staatssicherheit auf den Plan, zum Beispiel, weil er ein weit sichtbar leuchtendes Neonkreuz auf der Rippichaer Kirche installiert hatte oder weil er SED-Losungen Paroli bot. Plakatierte die Partei
"Ohne Gott und Sonnenschein fahren wir die Ernte ein","
setzte er dagegen:
""Ohne Regen, ohne Gott, geht die ganze Welt bankrott."
Mit großem Eifer wollte Oskar Brüsewitz in der atheistisch geprägten Gesellschaft die christliche Botschaft verkünden. Umtriebig und einfallsreich organisierte er Kinderfeste, die besser besucht waren als manches Pionier- oder FDJ-Treffen - zum Ärger der ortsansässigen Funktionäre. Schließlich forderte der Rat des Kreises seine Versetzung. Auch die Kirchenleitung war von den provokanten Aktionen des Pfarrers nicht begeistert. Man legte Oskar Brüsewitz nahe, einem Ortswechsel zuzustimmen.
"Durch seine Provokationen gegenüber dem Staat hatten sicher viele ortsansässige Eltern Warnungen gekriegt: Also, wenn Ihr Euer Kind weiter dort hinschickt, wird es nicht ganz leicht für das Kind. "
Joachim Hildebrandt, 1974 Superintendent in Zeitz:
"Er wollte was Gutes dadurch erreichen, den Staat provozieren, aber hintenrum kam es dann so raus, dass die Kinder wegblieben. So hatte er keine Christenlehrekinder, keine Konfirmanden, die Gemeinde schrumpfte weg. Und da war sein Hauptleiden, wo er also nicht mit fertig wurde, was ihn letztlich in diesen, ja, schrecklichen Tod trieb."
Vergeblich hoffte die SED-Führung, den Selbstmord, das "Signal von Zeitz", so der Vorsitzende des Ministerrates Horst Sindermann, geheim halten zu können. Man fürchtete innere Unruhen - und dass der tragische Freitod im Westen propagandistisch ausgeschlachtet würde. Tatsächlich sorgte die Selbstverbrennung Oskar Brüsewitz' in Westdeutschland für Schlagzeilen. Das "Neue Deutschland" reagierte am 31. August mit einem verunglimpfenden Artikel. Da hieß es unter anderem, dass die Selbstverbrennung die Tat eines krankhaft veranlagten Menschen sei, der nicht alle fünf Sinne beisammen habe. Ähnlich las es sich in der "Neuen Zeit", der Zeitung der Ost-CDU.
Die Kirchenleitung protestierte gegen diese Verleumdungen, verlangte vergeblich eine öffentliche Gegendarstellung. Bischof Werner Krusche auf dem Kirchentag in Halle, im September 1976:
"Die Frage an uns, die er uns stellen wollte, ist ganz sicher die: Warum lässt es euch kalt, wenn Menschen verloren gehen, wenn Kinder nicht mehr zur Christenlehre kommen? Und, ich denke, dass auch ein anderes noch dahinter ist: Er ist zunehmend enttäuscht worden, dass Menschen so ihn allein ließen, auch die Pfarrer allein ließen."
Im Rückblick hat die tragische und umstrittene Tat das Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR nachhaltig verändert. Der Bürgerrechtler Rainer Eppelmann nannte den Pfarrer einen der "Väter der friedlichen Revolution", als er am 1. Juli 2006 an der Pfarrkirche von Rippicha eine Gedenktafel für Oskar Brüsewitz einweihte.