Signal "für die Zukunft der Währungsunion"

Ferdinand Fichtner im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Der Abteilungsleiter Konjunkturpolitik des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Ferdinand Fichtner, hat die Beteiligung privater Gläubiger am Schuldenschnitt für Griechenland als Erfolg bewertet. Die erreichten 85 Prozent seien ein "ganz bemerkenswertes Ergebnis", sagte er.
Hanns Ostermann: Längst nicht nur für Griechenland, auch für die gesamte Eurozone war das ein spannender Abend gestern. Um 21 Uhr lief die Frist ab für den freiwilligen Forderungsverzicht der Gläubiger. Athen brauchte eine hohe Zustimmungsquote – und die scheint erreicht. Heute früh legte man die Bilanz vor.

Was bedeutet jetzt dieser Schuldenschnitt, und wie geht es weiter? Darüber möchte ich mit Ferdinand Fichtner sprechen. Er ist Konjunkturchef am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen, Herr Fichtner!

Ferdinand Fichtner: Schönen guten Morgen!

Ostermann: Hatten Sie mit diesem Ergebnis gerechnet?

Fichtner: Also wahrscheinlich nicht in der Höhe, dass jetzt tatsächlich 85 Prozent der Gläubiger sich bereit erklärt haben, auf doch einen ganz erheblichen Teil ihrer Forderungen zu verzichten – das finde ich schon bemerkenswert. Dass es klappen würde, die relevante Quote zu erreichen, die dann für eine Übertragung notwendig ist auf die anderen Gläubiger, damit war, glaube ich, schon zu rechnen, weil auch die Politik da doch ganz erheblichen Druck ausgeübt hat auf die Banken, auf die Versicherungen, die ja zum großen Teil diese griechischen Staatsanleihen gehalten haben.

Aber es ist jetzt doch in der Tat, muss man sagen, ein ganz bemerkenswertes Ergebnis, diese 85 Prozent, das ist schon solide und, glaube ich, bringt auch eine gewisse Beruhigung in die Märkte, einfach weil dadurch dieser ganz große Druck, die ganz großen Daumenschrauben wegfallen, die einfach darin bestanden hätten, dass man das ganze überträgt auf alle anderen Gläubiger.

Ostermann: Also kann man jetzt von einer Art Hoffnungsschimmer sprechen, oder ist das immer noch zu früh?

Fichtner: Na, es ist immer noch zu früh, also zumindest, was jetzt die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Perspektiven für Griechenland angeht, und deswegen leider wohl auch die Perspektiven für die Währung angeht, ist es sicherlich noch zu früh zu sagen, das sei jetzt der ganz große Durchbruch. Aber was wir jetzt – und das kann man vielleicht erst mal einfach festhalten, was wir jetzt eben erlebt haben, ist, dass neben den Rettungspaketen, die von den staatlichen Helfern in den letzten zwei Jahren aufgelegt wurden, jetzt eben auch die privaten Gläubiger mit dazu gebracht wurden, diese Unterstützung Griechenlands zu leisten, indem sie eben auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, das ist sicherlich ein ganz wichtiger Fortschritt.

Das heißt alles noch nicht, dass Griechenland jetzt aus dem Gröbsten raus ist – im Gegenteil, es ist nach wie vor so, dass Griechenland über 100 Prozent Staatsverschuldung, gemessen an seiner jährlichen Produktionsleistung hat, und immer noch so, dass natürlich die wirtschaftlichen Bedingungen, wenn man es jetzt etwas breiter sich anschaut, also die Strukturen der griechischen Wirtschaft, auch der nach wie vor ja sehr aufgeblähte Staatssektor, dass das alles weiterhin doch Probleme sind, die bestehen bleiben. Wir haben jetzt auf der finanziellen Seite ein Problem gelöst, man hat einen Teil der Schulden, ist man losgeworden, das ist sicher gut, aber man wird jetzt anfangen müssen, an die Strukturprobleme in dem Land zu gehen. Und da ist sicherlich noch ein ganz weiter Weg, bis man Griechenland wieder zu einem Land gemacht hat, das in der Lage ist, auch wirklich aus eigener Kraft seine Schulden zurückzubezahlen, weil das tut es ja bisher nicht.

Ostermann: Auf diese Probleme kommen wir gleich noch mal zu sprechen, aber die Eurofinanzminister werden heute über die Lage sprechen. Wenn nicht alle Gläubiger zugestimmt haben – das sind ja Pi mal Daumen 15 Prozent –, könnte das bedeuten, das 130-Milliarden-Paket muss ergänzt, aufgestockt werden?

Fichtner: Zunächst mal, denke ich, nicht. Man hat ja grundsätzlich dieses Paket Anfang März schon vereinbart, und es war nur immer klar, dass dieser Schuldenschnitt zunächst zustande kommen soll, bevor die Finanzminister dann grünes Licht für die Auszahlung der Mittel geben. Das war letztlich auch ein Trick, um den privaten Gläubigern zu signalisieren, wenn ihr jetzt nicht auch was beitragt, dann ist es auch nicht einzusehen, dass wir noch weiter Geld nach Griechenland schicken. Dann lassen wir das Land pleitegehen. Das war sozusagen so ein bisschen sicherlich ein strategisches Verhalten der Finanzminister – ich würde nicht davon ausgehen, dass es jetzt notwendig ist, dass man wegen der etwas geringeren Beteiligung das Paket aufstockt. Ob dieses zweite 130-Milliarden-Paket reicht, ist sicherlich eine ganz andere Frage, aber darüber wird man dann eher in zwei Jahren diskutieren als heute.

Ostermann: Das reicht bis 2014, das heißt, an einem weiteren Hilfspaket wird man kaum vorbeikommen.

Fichtner: Das weiß man nicht, es ist ganz schwer abzuschätzen, würde ich ganz ehrlich sagen – ganz schwer abzuschätzen, wie es gelingt, dass Griechenland wieder an die privaten Kapitalmärkte kommt. Es ist ja so, dass im Prinzip sich jetzt nach dem heutigen Schuldenschnitt für alle Neugläubiger Griechenlands die Situation, die Chancen, dass sie ihr Geld irgendwann wieder bekommen, eher verbessert hat, weil die finanzielle Situation Griechenlands ist, nachdem jetzt ein Teil der Schulden gestrichen wurde, tatsächlich etwas verbessert. Und vor dem Hintergrund könnten sich manche Gläubiger auch überlegen: Ich leihe jetzt Griechenland wieder eher Geld, einfach weil die Chancen größer sind, dass das Geld zurückkommt. Und damit könnten die Aussichten, dass Griechenland von normalen privaten Anlegern eben im Unterschied zum Rettungsschirm Geld bekommt, die könnten eigentlich durch diesen heutigen Schuldenschnitt gestiegen sein

Also ich würde da jetzt keine Prognosen wagen, ob in zwei Jahren dann noch mal ein Rettungspaket notwendig ist. Was, glaube ich, klar ist, und das ist sicherlich die zweite Dimension, was, glaube ich, klar ist, ist, dass Griechenland weiterhin sehr viel Geld benötigen wird, um den angesprochenen strukturellen Wandel zu bewältigen, um den Wandel von einer agrarischen, einer fast schwellenlandähnlichen Struktur hin zu einer modernen Industrienation zu schaffen. Da braucht es weiterhin, denke ich, viel Unterstützung. Aber das hat mit den Rettungspaketen, wie wir sie jetzt die letzten zwei Jahre diskutiert haben, eher weniger zu tun.

Ostermann: Sie haben diese strukturellen Probleme angesprochen. Sehen Sie da die Hoffnung, dass in der Tat die Angebote, die ja auch aus Deutschland an Griechenland gemacht werden – ich denke da an das Steuersystem oder andere Dinge –, dass diese Angebote auf fruchtbaren Boden fallen.

Fichtner: Ach, das ist so schwierig – fruchtbarer Boden ist so ein schwieriges Wort. Ich glaube, dass es möglich ist, dass man auch in Griechenland Strukturen herstellen kann – das hat man schließlich auch in anderen Ländern geschafft – Strukturen herstellen kann, die vereinbar sind mit einem modernen Industriestaat. Es ist aber ganz klar so, dass Griechenland eben eine andere wirtschaftliche Entwicklung hinter sich hat, als wir es hier im Norden Europas und auch in Spanien, Italien gesehen haben. Und das ist ein weiter weg, das muss man ganz klar sagen.

Und es ist dann immer noch die Hoffnung oder es ist dann immer noch die Sorge, der entscheidende Punkt, ob Griechenland überhaupt bereit ist, diese Hilfe anzunehmen, oder ob das Gefühl dann doch eher in der Bevölkerung vorherrscht, man möchte sich nicht von dem Rest Europas oder gar von Berlin diktieren lassen. Das sind so ein bisschen sicherlich auch Animositäten, die im Land dann letztlich entschieden werden müssen. Dass es grundsätzlich möglich ist, ein solches Land neu auszurichten, davon gehe ich aus. Aber wie lange dieser Prozess dauert, und mit welchen Wirkungen, das ist ganz schwierig zu prognostizieren.

Ostermann: Wagen Sie eine Prognose, was diese Entscheidung heute Nacht, heute früh für den Euro bedeutet?

Fichtner: Also in Zahlen haben wir es ja schon gesehen, der Euro hat ein bisschen angezogen gegenüber dem US-Dollar. Das heißt, er hat ihm eine gewisse Stärke wiedergegeben – das ist aber jetzt der reine Wechselkurs, spricht allerdings dafür, dass die Kapitalmärkte dieser Entscheidung so ein bisschen das Signal entnehmen, dass der Euro doch relativ stabil ist, dass wenn es sein muss, wenn es drauf ankommt, auch harte Einschnitte durchgebracht werden können. Und das, denke ich, spricht dann für die Zukunft der Währungsunion als Konzept und nicht nur für den Wechselkurs, sondern das spricht auch dann dafür, dass die Währungsunion eigentlich eine ganz realistische Chance hat, zu überleben, und zwar auch in ihren jetzigen Strukturen.

Ich denke, dass die Kapitalmärkte, und das völlig zu Recht, erwarten werden, dass im Gefolge dieser heutigen Entscheidungen viele weitere andere Entscheidungen noch fallen müssen. Wir müssen drüber nachdenken, wie wir nicht nur auf der geldpolitischen Ebene, also auf der Ebene der gemeinsamen Währung, stärker zusammenarbeiten, sondern wie wir es auch schaffen, dass auch darüber hinaus eine gewisse Koordination zwischen den Mitgliedsländern der Währungsunion stattfindet. Wir müssen also in dieser Hinsicht viel, viel enger zusammenrücken. Alles das, was wir früher unter dem Stabilitätspakt schon so ein bisschen versucht haben zu regeln, muss offensichtlich viel strikter geregelt werden, damit wir nicht wieder in so eine Situation reinrutschen, wie wir sie im Moment gerade haben.

Aber dann kann diese Krise, wie wir sie jetzt erleben, und wie sie jetzt vielleicht langsam zu Ende geht, wenn wir Glück haben, dann kann diese Krise tatsächlich ein positives Moment sein für die Währungsunion, ein positiver Impuls sein für die Währungsunion, weil sie eben dazu führt, dass wir eher noch enger zusammenrücken, als dass es uns auseinandertreibt.

Ostermann: Ferdinand Fichtner, Konjunkturchef am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Fichtner, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Fichtner: Danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema