"Berlin als Wahlheimat ist schon ein Paradox"
Es sei die deutsche Übersetzung vom "Roman eines Schicksallosen" gewesen, die ihm den Literaturnobelpreis einbrachte - das habe Imre Kertész ihr selbst gesagt, erzählt die Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Weil er anschließend in Ungarn angefeindet wurde, sei er nach Berlin gegangen.
Der 2002 verliehene Literatur-Nobelpreis habe das Leben von Imre Kertész durcheinander gebracht, meint die Literaturkritikerin Sigrid Löffler: "Er wollte nicht plötzlich ein Weltautor sein, der durch die ganze Welt reist und sich überall vorstellt. Weil er ja sein Leben lang sehr zurückgezogen gelebt hat – fast ein Eremit."
Offene Feindseligkeiten der ungarischen Medien
Andererseits sei ihm aus Ungarn viel Feindseligkeit entgegengeschlagen. Die dortigen Medien hätten ihn offen kritisiert und seien enttäuscht gewesen, dass Kertesz den Nobelpreis bekommen habe. "Sie waren der Meinung, dass ein echter Ungar ihn hätte bekommen sollen. Was nichts anderes heißt, dass ein Jude kein echter Ungar ist."
Dass der Holocaust-Überlebende Kertesz dann ausgerechnet Berlin als Wahlheimat wählte und sich dort rund zehn Jahre niederließ sei "natürlich ziemlich paradox", so Löffler. Kertesz habe ihr gesagt, dass die deutsche Übersetzung seines "Roman eines Schicksallosen" ausschlaggebend gewesen sei für den Nobelpreis. "Man kann sich ja denken, die schwedische Akademie liest nicht ungarisch, sie liest deutsch."
Kertesz' grotesker Kampf um eine Veröffentlichung
Das Ungewöhnliche am "Roman eines Schicksallosen" sei, dass hier der junge Kertesz selbst die Deportation nach Auschwitz als Abenteuer erlebe. "Er bemüht sich, sich der Logik des Lagers und der Henker anzupassen, er nimmt die Grausamkeit als Normalität", so Löffler. Doch auch den darauf folgende Roman "Fiasko" hält sie für sehr bedeutend. Kertesz themaisiere darin den grotesken Kampf um die Veröffenlichung seines "Roman eines Schicksallosen" in Ungarn und thematisiere die absurde Lage der Künstler.