Überholte Tech-Narrative
Adrian Daub hält den Fokus auf das Silicon Valley, was die Tech-Branche angeht, inzwischen für verfehlt. © imago images/Westend61 / Xavier Lorenzo
Schauen Sie auf Hyderabad!
10:52 Minuten
Das einsame Genie oder die Stehauf-Mentalität sind zwei der Narrative, die oft mit dem Silicon Valley verbunden werden. Der Literaturforscher Adrian Daub hat solche Mythen untersucht und rät, die technologische Zukunft nicht in Kalifornien zu suchen.
Es gibt einige Slogans, die direkt mit dem Silicon Valley in Verbindung gebracht werden: der „Lonesome genius“ gehört zum Beispiel dazu - also diese Vorstellung von einem einsamen - meist männlichen - Genie, das aus sich heraus Großes erschafft. Oder Sprüche wie „move fast & break things“ oder „fail fast – try again“, die eine Stehauf-Mentalität beschwören und eine gewisse Risikobereitschaft feiern.
Solche Sprachbilder und Tech-Narrative hat sich der Literaturwissenschaftler Adrian Daub vorgenommen. Der Professor für Germanistik und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft lehrt an der Stanford University und lebt in Kalifornien - und er hat ein Buch über die Mythen rund um das Silicon Valley geschrieben: „Was das Valley denken nennt“. Über seine Erkenntnisse hat er auch auf der diesjährigen Republica gesprochen.
Disruptive Kräfte auch in Europa
Eines der Narrative aus dem Silicon Valley ist die sogenannte Disruption, zu Deutsch Störung, oder auch Zerstörung: eine neue, einfache, bequemere, kostengünstigere oder schnellere Innovation löst eine alte, etablierte Lösung ab – auch an alten Regeln vorbei. Das spiegelt die Start-up-Mentalität. Die Versprechen des Silicon Valley tendieren im Allgemeinen dazu, ohne den Staat, ohne Regulation und ohne die Zivilgesellschaft zu funktionieren, sagt Daub. Er sieht solche Disruptionen aber nicht nur in unternehmerischen, sondern auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen.
„Es gibt natürlich Kräfte in Deutschland und in Europa, die sich genau diese Disruption wünschen und die nach Silicon Valley gucken“, sagt er, „Leute, die sich Deutschland oder die EU radikalliberaler wünschen.“ Es sei kein Zufall, dass der ehemalige österreichische Bundeskanzler mittlerweile von einem Magnaten aus dem Silicon Valleys bezahlt werde. „Es gibt Europäer, die sich an Disruptionsgedanken orientieren, weil sie eben denken, dass die Kräfte der Zivilgesellschaft eigentlich neutralisiert gehören.“ Einerseits.
Fokus auf Silicon Valley inzwischen verfehlt
Andererseits sei dies genau der Grund, warum für andere Disruption nie mehr als eine schöne Fantasie gewesen sei. Zumal frühere Disruptoren inzwischen selbst zum Ziel der Disruption würden – Stichwort Elon Musk und Twitter.
Im Moment gebe es in Deutschland einen immer noch starken Fokus auf das Silicon Valley. Das liege auch daran, dass deutsche Journalistinnen und Journalisten sich darin noch wiedererkennen könnten. „Es schwingt da auch eine Art deutsche Identitätspolitik mit, dass man nicht unbedingt bereit ist, sich aus Indien sagen zu lassen, wie es eigentlich weitergehen sollte“, vermutet Daub. Er selbst hält diesen Fokus inzwischen für verfehlt. Es würde ihn nicht überraschen, wenn die sehr viel interessanteren Entwicklungen in den nächsten zehn Jahren aus Hyderabad kämen.
(cwu)