Silicon Valley

Große Ideen im Rekordtempo

Der neue Apple Campus entsteht in Cupertino, Silicon Valley.
Im kalifornischen Silicon Valley entstehen viele neue Technologien, aber der Fortschritt entzieht sich der staatlichen Kontrolle. © picture alliance/dpa/Duncan Sinfield
Claus Kleber im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Europa sollte sich den technischen Fortschritt nicht von den USA diktieren lassen, warnt der ZDF-Journalist Claus Kleber. Aber dafür sei es wichtig, sich auf Augenhöhe zu bewegen und die Digitalisierung der Gesellschaft voranzutreiben.
"Wir vergötzen Fortschritt und Change und Technik nicht mehr oder nicht mehr so wie die Amerikaner das tun", sagte der ZDF-Fernsehmoderator und Journalist Claus Kleber im Deutschlandradio Kultur. "Ich glaube, in diese große Debatte, die wir weltweit brauchen über diese Fragen, sollten wir Europäer uns einbringe, aber nicht, in dem wir uns aufs Sofa legen und kritische Bücher lesen, sondern in dem wir uns technisch auf Augenhöhe bringen mit diesen Entwicklungen."
Es sei wichtig, in der Lage zu sein, mitzumachen. Kleber kritisierte, dass Deutschland bisher noch nicht in der Lage sei, dieses dichtbesiedelte Land mit einem schnellem Internetzugang für alle Bürger auszustatten und den Schülern in den meisten deutschen Schulen Computertechnik und Computernutzung ausreichend nahe zu bringen. So lange die Bundesrepublik als Industrienation "noch so jämmerlich hintendran" sei, werde man in den USA nicht ernst genommen.

Kein Ort zum Nachdenken

Kleber zeigte sich nach Dreharbeiten für seine ZDF-Dokumentation "Schöne neue Welt" über das Silicon Valley beeindruckt von den technologischen Neuerungen, die dort entstünden. Im Vergleich zu Thomas Morus "Utopia" sei es dort "sehr viel realer, hemdsärmeliger, praxisnaher und eiliger", sagte Kleber. "Wenn es irgendetwas gibt, was Silicon Valley nicht hat, dann ist es das tief durchatmende Nachdenken." Stattdessen gehe es darum, möglichst schnell eine möglichst große Idee zu gebären und sie im Rekordtempo umzusetzen. Der Staat komme aber schon lange nicht mehr hinterher.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: "500 Jahre Zukunft Denken", so heißt unsere Reihe, und in dieser sprechen wir heute mit Claus Kleber. "Schöne neue Welt" hat der Moderator des "Heute-Journal" seine Reportage genannt, die er im Sommer nach einer langen Reise aus dem Silicon Valley mitgebracht hat. Herr Kleber, ich grüße Sie!
Claus Kleber: Guten Tag!
Frenzel: Ihre Reise ins Silicon Valley, hat sich das ein bisschen angefühlt wie Thomas Morus' Reise vor 500 Jahren nach Utopia.
Kleber: Sehr viel realer, sehr viel hemdsärmeliger und sehr viel praxisnäher und eiliger. Wenn es irgendwas gibt, was Silicon Valley nicht hat, dann ist es das tief durchatmende Nachdenken. Es geht immer darum, möglichst schnell eine möglichst große Idee zu gebären und sie dann von der Idee in die Realität zu bringen im Rekordtempo. Das Symbol dieser Entwicklung ist ja das Einhorn, sowohl dort als auch in unserem Film. Dieses eilig nach vorn stürmende, galoppierende magische Tier, in dessen Fell wir uns alle festkrallen können und dann uns in die Zukunft tragen lassen.
Frenzel: Jetzt könnte man böse sagen, da arbeiten viele intelligente junge Menschen an sehr smarten Geräten – ist es mehr als das, gibt es so etwas wie eine Idee von Gesellschaft, die Sie dort erlebt haben?
Kleber: Die Idee ist noch in der Entwicklung, das darf man beim Silicon Valley nicht außer Acht lassen. Es ist ursprünglich eine technische Entwicklung. Es sind Ingenieure, Computeringenieure, Maschineningenieure, Roboteringenieure, Bioingenieure, und der Gedanke, dass man mit Ingenieurfähigkeiten die Probleme der Welt und der Menschheit lösen kann, das ist das gemeinsame Thema.
Frenzel: Welche Zukunftsprojekte, die Sie da erlebt haben, besucht haben, haben Sie besonders beeindruckt?
Kleber: Ich glaube, am meisten war es der Kampf oder das Ringen um die künstliche Intelligenz. Das ist das alles vorantreibende Überthema. Dass wir jetzt – und das konnte sich kein Thomas Morus ausdenken – in der Lage sind, das menschliche Denken so zu steigern in seiner Geschwindigkeit und Effizienz, aber auch irgendwann in seiner Kreativität. Dass wir Menschen praktisch erst mal zu Partnern und auf die Dauer vielleicht gerade noch mühevoll zu Bändigern von Maschinen macht. Irgendwann, das ist durchaus möglich nach dieser Philosophie, können Maschinen uns abhängen, und wir müssen dann schauen, wie wir unsere menschlichen Werte und Wertvorstellungen dann noch in diese Computerprogramme bringen. Es gibt Menschen, die über 50 sind und glauben, dass sie diese Zeit noch erleben werden.

Nur wenige fordern mehr Nachdenken

Frenzel: Ich ahne, das ist jetzt eine sehr deutsche Frage, die ich stelle: Haben Sie so etwas wie Zweifel gespürt, Debatten über Grenzen, die man sich möglicherweise selbst setzen muss, gerade bei der künstlichen Intelligenz?
Kleber: Ja, durchaus. Es gibt Menschen, die darüber nachdenken. Elon Musk, der Mann, der mit Space-X der NASA Konkurrenz macht beziehungsweise inzwischen ihr Partner ist, einer von den großen Machern in Silicon Valley, der gehört zu einem kleinen Kreis von Superingenieuren dort, die sagen, wir müssen uns jetzt zuerst mal zurücklehnen, die Bremse einlegen und gründlich darüber nachdenken, was wir da tun, bevor es zu spät ist und wir was extrem Dummes, einen nie wieder gut zu machenden Fehler gemacht haben.
Frenzel: Alles, was Sie berichten, auch in Ihrer langen Dokumentation, was wir aber auch hören aus dem Silicon Valley, Sie haben es gesagt, sind technische, technologische Schritte nach vorn. Es sind Debatten, die dann auch darüber hinaus in diesen Zirkeln stattfinden. Etwas, was gar nicht stattfindet, ist so etwas wie der Staat – ist das problematisch oder ist das anarchisch-modern?
Kleber: Wahrscheinlich ist es anarchisch-modern. Einer unserer Hauptgesprächspartner, ein ursprünglich Deutscher, inzwischen durch und durch Amerikaner, Sebastian Thrun, der Mann übrigens, der das selbstfahrende Auto praktisch wesentlich vorangetrieben hat, ursprünglich für die Stanford-Universität und dann für Google, und der inzwischen, weil dieses Problem ja gelöst ist, sich um völlig neue Dinge kümmert.
Und Sebastian sagte in einem Interview den wirklich programmatischen Satz: Wir sind unter anderem deshalb hier so schnell und so erfolgreich, weil der Staat überhaupt nicht mehr mitkommt. Bevor die kapiert haben, was wir machen, sind wir schon wieder zwei Stufen weiter, und wenn der Staat effizienter und effektiver wäre darin, in unsere Tätigkeit einzugreifen, wären wir wahrscheinlich längst nicht so weit. Und er lacht dazu, weil er glaubt, dass es für das Bessere der Menschheit ist, dass man die Ingenieure machen lässt. Und in der Tat sind auch viele dieser Projekte wirklich großartig, aber sie haben sich tatsächlich jeder gesellschaftlichen Kontrolle inzwischen entzogen.

Sozialstische Utopie bei Megaunternehmern

Frenzel: Nicht mitkommen – das ist ein Stichwort, das ich ganz spannend finde. Das gilt möglicherweise für den Staat, für die Institutionen, aber gilt es möglicherweise auch für Menschen, für ganz normale Menschen, die komplett überrollt werden durch diese Entwicklung? Oder anders gefragt, ist das, was sich da entwickelt, diese Silicon-Valley-Weltutopie, ist das etwas, das letztendlich nur einen ganz kleinen, hochgebildeten, schnellen, agilen Kreis erreichen kann?
Kleber: Wenn keine Menschen mehr im Straßenverkehr sterben würden, um mal bei diesem selbstfahrenden Auto zu bleiben, und wenn das so perfekt funktionieren würde, wie die versprechen, dann hätten wir alle was davon. Wenn Erbkrankheiten beseitigt werden können, hätten wir alle was davon. Wenn es möglich wäre, Pflanzen zu ziehen, die mit einem Bruchteil des Wassers auskommen in Dürregebieten, hätten wir alle was davon. Aber die steuernden Elemente dieser Gesellschaft, die in der Tat sind in Gefahr abzuheben und viele Menschen hinter sich zu lassen.
Da gibt es aber auch, ausgerechnet in Silicon Valley, Leute, die durchaus darüber nachdenken, was das sozial bedeutet. Wollen wir eine Gesellschaft, in der nur noch ein Prozent der Menschen mega-, ultrareich ist und die anderen sich durchkrebsen müssen? Oder ist es nicht vielmehr Zeit, zum Beispiel so etwas wie ein allgemeines Grundeinkommen unabhängig von Arbeit jedem Menschen per Geburt zuzusprechen. Das ist eine sozialistische Utopie, die ich ausgerechnet bei diesen Megaunternehmern wiedergetroffen habe.

Weltweite Debatte nötig

Frenzel: Herr Kleber, Sie scheinen selbst sehr begeistert von dieser Welt, die Sie da erlebt haben. Ist das etwas, das auch weltweit funktioniert, also könnten wir sagen, dieser amerikanische Geist, der funktioniert auch in Europa?
Kleber: Ich finde, Europa sollte sich nicht von Amerika diktieren lassen, was kommt. Ich bin europäisch erzogen, ich habe lange genug in Amerika gelebt, fast 17 Jahre, um genügend Amerikaner in mir zu haben, um zu verstehen, was die motiviert, und auch, das zu schätzen und mich auch davon mal anstecken zu lassen. Aber ich bin auch gleichzeitig Europäer, und wir vergötzen Fortschritt und Change und Technik nicht so oder nicht mehr so, wie die Amerikaner das tun.
Und ich glaube, in diese große Debatte, die wir weltweit brauchen über diese Fragen, sollten wir Europäer uns einbringen, aber nicht indem wir uns aufs Sofa legen und kritische Bücher lesen, sondern indem wir uns technisch auf Augenhöhe bringen mit diesen Entwicklungen, in der Lage sind, mitzumachen. Und solange dieses Land noch nicht mal in der Lage ist, dieses dicht besiedelte Land, schnellen Internetzugang für alle zu geben, solange die meisten deutschen Schulen noch nicht in der Lage sind, den Kids wirklich durch alle Wissensgebiete hindurch Computertechnik und Computernutzung nahezubringen, solange wir noch so jämmerlich hinten dran sind als Industrienation, sind wir von dort nicht ernst genommen.
Frenzel: Keine Utopie, fast schon ein ganz konkreter politischer Plan. Herr Kleber, vielen Dank für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Was ist aus den Utopien und Visionen von Thomas Morus geworden? Der Schwerpunkt "Zukunft denken. 500 Jahre 'Utopia'" in Deutschlandradio Kultur sucht nach Antworten vom 18. bis 27. Dezember. Die Übersicht der Themen und alle bereits gesendeten Beiträge gibt es hier zu lesen und zu hören: Utopien in Politik, Gesellschaft und Kunst - Welche anderen Welten sind möglich?
Ausschnitt aus "Paradies", dem Mittelportal des Triptychons "Der Garten der Lüste" von Hieronymus Bosch (um 1450−1516)
"Paradies" von Hieronymus Bosch© Bild: Imago
Mehr zum Thema